Verluste an Ukraine-Front: Schrotflinten-Drohne macht Jagd auf Putins Soldaten

  1. Startseite
  2. Politik

Kommentare

Drohnenkrieg als neue Realität: Beide Seiten schenken sich nichts und gehen mittlerweile mit Selbstbau-Drohnen auf einzelne Soldaten los. © IMAGO / TASS / Alexei Konovalov

Menschenjagden mittels Drohnen – Nachrichten darüber häufen sich. DIe Ukraine kündigt an, vier Millionen billige Drohnen pro Jahr produzieren zu können.

Kiew – „Diese ukrainische Drohne hat zwei Schrotflinten“, hatte Andrew Perpetua auf Telegram gepostet; und gleich hinzugefügt: „Wenn Sie diese Drohnen unterstützen möchten, können Sie spenden“. Der hinterlegte Link führt zu Lesia UA, einer ukrainischen Fundraising-Organisation, die im Ukraine-Krieg ihren Teil dazu beitragen möchte, die Invasionstruppen Wladimir Putins aus dem Land zu werfen. Offenbar versucht sich die Ukraine immer offensiver am Krieg der Drohnen gegen Drohnen.

Darüber berichtet auch das Magazin Defense Express aktuell: Demnach würde die Ukraine immer häufiger mit Drohnen Jagd auf russische Drohnen machen. „Wir haben gesehen, wie ukrainische Drohnen russische Drohnen mitten in der Luft rammen – oder Netze von oben auf sie abwerfen“, schreibt das Magazin. Als neueste Neuigkeit verkauft Defense Express die ukrainische Drohne mit den zwei Schrotflinten.

News zum Ukraine-Krieg: „Es ist auch hier wieder ein Katz-und-Maus-Spiel der Innovation“

Obwohl es sich derzeit eher um Einzelaktionen als um weitverbreitete Fälle handeln sollte, scheint wahrscheinlich, dass die ukrainischen Streitkräfte daran arbeiten, diese Methode zur Bekämpfung russischer Drohnen auszuweiten. „Es ist auch hier wieder ein Katz-und-Maus-Spiel der Innovation, aber die Ukraine hat gute Fortschritte gemacht. Mittlerweile ist die Mehrheit der verwendeten Systeme der elektronischen Kriegsführung aus ukrainischer Produktion“, sagt Fabian Hinz. Der Analyst hat jüngst gegenüber der Tagesschau nochmals betont, dass die Ukraine quasi zur Innovation gezwungen ist, weil die Drohnen ihr Rekrutierungsproblem zumindest verringern helfen.

„Das bedeutet, dass man bei der Extrapolation von Szenarien aus der Ukraine vorsichtig sein muss. Die Behauptung, der Krieg in der Ukraine habe die Dominanz kleiner und billiger Drohnen gegenüber größeren, ausgefeilteren und teureren Systemen gezeigt, könnte eine gefährliche Fehleinschätzung sein.“

„Wenn sie Drohnen-Crews haben, die beispielsweise FPV-Drohnen bedienen, dann sind die in einem sichereren Abstand von der Frontlinie als der Soldat in vorderster Reihe im Schützengraben“, sagt Hinz. Es gehe darum, mehr Truppen von der Frontlinie wegzuholen, sagte Oleksandr Kamyshin dem Magazin Foreign Policy. Kamyshin ist ukrainischer Minister für strategische Industrien und insofern Motor der neuen Entwicklungen – die sind aus der Not geboren, wie beispielsweise die Nachrichtenagentur Associated Press berichtet: „Die Ukraine kämpft mit Arbeitskräftemangel, überwältigenden Übermächten und ungleichmäßiger internationaler Hilfe und hofft, in einem verlassenen Lagerhaus oder einem Fabrikkeller einen strategischen Vorteil gegenüber Russland zu finden“, schreibt die Agentur über den Versuch der Verteidiger, mittels günstiger Roboter die fehlenden Infanteristen zu ersetzen.

Beziehungsweise, um die kämpfenden Soldaten möglichst lange am Leben zu halten, wie Kamyschin laut Foreign Policy sagt: „Wir zählen die Leute und wollen, dass unsere Leute so weit wie möglich von der Frontlinie weg sind. Das ist die Hauptphilosophie.“ „Der Fortschritt der Drohnen in der Ukraine könnte die Entstehung von Killerrobotern bewirken“, hat AP vor mehr als einem Jahr gemutmaßt. Wahrscheinlich war der Konjunktiv bereits zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der AP-Meldung überholt. John Allen spricht davon, dass „der Hyperkrieg kommen wird“. In einem Interview mit dem Italian Institute for International Political Studies (ISPI) sagte der US-General und politische Analyst, dieser werde „ein Krieg mit einer Geschwindigkeit sein, die wir Menschen uns nicht mehr vorstellen können“.

Verteidiger im Vorteil: Die Ukrainer könnten jetzt russische Drohnen im Flug jagen

Die Ukrainer könnten jetzt russische Drohnen im Flug jagen – lange bevor diese für die Bodentruppen eine Gefahr darstellten, schreibt David Axe. Der Autor des Magazins Forbes hat die ukrainische Innovation „Winchester“-Drohne getauft. Axe spielt damit an das aus Western bekannte Gewehr, das die Winchester Repeating Arms Company gegen 1860 auf den Markt gebracht hat; deren Charakteristikum war die Nachladefähigkeit mittels eines Unterhebelrepetierers, also einer Mechanik unterhalb des Gewehrkolbens zum Durchladen. Die Feuergeschwindigkeit dieser Mechanik stellte alles bis dahin Bekannte in den Schatten.

Das jüngste Video eines „Winchester-Quadrocopters“ zeigte nicht nur die Jagd einer Drohne auf eine andere Drohne, sondern sie zeigte, wie bereits mehrfach vorher, die Jagd auf einzelne Soldaten: „Offenbar nutzte ein Bediener eine flüchtige Gelegenheit und nahm auch einen einzelnen russischen Soldaten ins Visier – oder einen nordkoreanischen, wenn das Gefecht im Bezirk Kursk im Westen Russlands stattgefunden hatte – der auf einer unbefestigten Straße unter der Flugroute der Winchester marschierte“, schreibt Axe.

Tatsächlich schreibt auch die Kiew Post aktuell davon, dass ein nordkoreanischer Soldat mit seinem Sturmgewehr den Kampf mit einer ukrainischen Drohne aufgenommen hätte. Wahr allerdings ist, dass der Soldat ziemlich archaisch gegen die Drohne sein Leben verteidigt hat – und am Ende unterlegen ist, wie das Video auch zeigen soll. Offenbar schenken sich beide Seiten nichts, die Videos von Menschenjagden nehmen gefühlt zu. Das hat auch mit der zunehmenden Transparenz auf dem Schlachtfeld zu tun. Drohnen können inzwischen auch Wärmebildsignaturen empfangen und auswerten. Davor kann sich ein einzelner Soldat auch in der Nacht kaum verbergen. Selbst in tiefster Dunkelheit in ihren Unterständen sind Soldaten dem Kameraauge schutzlos ausgeliefert.

DIY-Offensive: Drohnen-Bau ist in der Ukraine zu einem Massenphänomen geworden

Diese Entwicklung unterstreicht Swetlana Schtscherbak mit ihrer Einschätzung, die Schrotflinten-Drohnen seien aktuell eher Einzelfälle; die Defense Express-Autorin hält aber für „wahrscheinlich, dass die ukrainischen Streitkräfte daran arbeiten, diese Methode zur Bekämpfung russischer Drohnen auszuweiten“, wie sie schreibt. Allerdings sieht Forbes-Autor Axe den Nachteil dieser Bewaffnung darin, dass die Schrotflinte lediglich auf kurze Distanz wirken könne, also nah an den Feind heranrücken müsste und somit selbst verwundbar würde.

Offenbar kann sich die Ukraine diese kurzen Distanzen allerdings leisten. Drohnen-Bau ist in der Ukraine zu einem Massenphänomen geworden. Unter dem Titel „Löten für den Luftkrieg“ hat Yelizaveta Landenberger im Magazin jungle.world darüber berichtet, wie Zivilisten und Nichtregierungsorganisationen (Non-Governmental-Organisations, NGO) für die Armee Zeit und eigenes Geld in den Drohnenbau stecken. Tatsächlich fordere der ukrainische Staat Zivilpersonen zur Do-It-Yourself-Drohnenproduktion auf, wie Landenberger schreibt. Mychajlo Fedorow halte die Menschen dazu an, zu Hause Drohnen für das Militär zusammenzubauen.

Selenskyj vollmundig: Ukraine glaubt, bis zu vier Millionen Drohnen jährlich produzieren zu können

Laut Landenberger habe der Minister für digitale Transformation beispielsweise ein Projekt der NGO Victory Drones beworben – Victory Drones biete demnach via Internet Kurse zum Bau von 7-Zoll-FPV-Drohnen (First Person View). Schätzungsweise seien in der Ukraine etwa 100 verschiedene Arten von Drohnen im Einsatz, von Systemen in Spielzeuggröße bis hin zu größeren Modellen mit einer Flügelspannweite von fast 20 Metern, schreibt Ulrike Franke. Die Politikwissenschaftlerin des Thinktanks European Council on Foreign Relations (ECFR) hat festgehalten, dass die Ukraine inzwischen bis zu vier Millionen Drohnen jährlich produzieren zu können glaubt – der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte sich im Oktober vergangenen Jahres dahingehend geäußert.

Franke hält die Ukraine deshalb für eine Blaupause dessen, was der Westen künftig von sich selbst verlangen sollte – allerdings mit dem nötigen Augenmaß. Ihrer Meinung nach spräche vieles dafür, dass ein kommender Krieg dem in der Ukraine ähnele. Das müsse aber kein Automatismus sein. Was die eine Seite an offensiven Innovationen biete – beispielsweise auch mittels einer „Winchester-Drohne“ – könne die Gegenseite in verschwindend geringer Zeit durch elektronische Gegenmaßnahmen kassieren. Drohnen provozieren geringe Innovationszyklen, wie sie schreibt:

„Das bedeutet, dass man bei der Extrapolation von Szenarien aus der Ukraine vorsichtig sein muss. Die Behauptung, der Krieg in der Ukraine habe die Dominanz kleiner und billiger Drohnen gegenüber größeren, ausgefeilteren und teureren Systemen gezeigt, könnte eine gefährliche Fehleinschätzung sein.“

Auch interessant

Kommentare