Exil-Iranerin: Ich bin gegen die Mullahs – aber auch gegen blinde Zerstörung
Ich bin im Krieg geboren. Iran, 1980. Irak gegen Iran. Bomben, Sirenen, Flucht. Ich war noch ein Baby, aber der Krieg hat sich in meine Zellen eingebrannt. Ich habe früh gelernt, was Ohnmacht bedeutet.
Was es heißt, zu hoffen, dass andere deine Stimme hören – und gleichzeitig zu wissen, dass niemand kommt. Heute bin ich 45. Und zum ersten Mal seit Langem ist sie wieder da: diese Bedrohung.
Was gerade passiert, fühlt sich nicht wie Befreiung an
Diese Beklemmung. Israel greift den Iran an – gezielt, laut, mit der ganzen Kraft eines modernen Militärs. Und ich frage mich: Ist das der Weg zur Freiheit? Oder der Anfang der nächsten Katastrophe?
Ich bin gegen das Regime. Aber nicht blind für das Leid der Menschen. Ich habe nie geschwiegen über das, was die Islamische Republik aus meinem Geburtsland gemacht hat. Ich habe das Unrecht benannt – die Unterdrückung von Frauen, das Verschwinden von Regimegegnern, die permanente Angst, die viele jeden Tag begleitet.
Aber das, was gerade passiert, fühlt sich nicht wie Befreiung an. Es fühlt sich an wie ein weiterer Akt der Macht – und es trifft wieder die Falschen. Ich verstehe die Angst Israels. In Teheran zählt seit Jahren eine große digitale Uhr rückwärts – bis zur symbolischen „Zerstörung Israels“.
Was passiert, wenn das Regime fällt?
Ein zynisches und erschütterndes Bild. Wer so bedroht wird, reagiert nicht kühl. Aber Angst darf niemals zur Legitimation für grenzenlose Gewalt werden. Und Sicherheit darf nicht nur denen gehören, die sie sich nehmen können. Was passiert, wenn das Regime fällt? Viele hoffen, dass die Luftangriffe den Weg zur Freiheit bahnen.Aber was, wenn stattdessen ein Vakuum entsteht?
Ich habe gesehen, was nach Saddam im Irak kam. Ich habe beobachtet, wie Libyen zerfiel. Und wie in Afghanistan „Demokratie“ durch Chaos ersetzt wurde.
Wenn ein autoritäres Regime ohne Plan gestürzt wird, folgen selten Reformen – meistens folgen neue Gewaltherrscher. Viele im Iran fragen sich nicht nur, ob etwas passiert – sondern vor allem: Was danach? Wandel braucht Mut – aber auch Verantwortung. Ein echter Wandel im Iran wird nicht durch Raketen entstehen.
Er entsteht, wenn Menschen im Inneren sich organisieren können – mutig, vernetzt, gestärkt. Was es dafür braucht:
- Hoffnung statt Isolation
- Mutige Stimmen, die nicht allein gelassen werden
- Wirtschaftliche Lebensgrundlagen statt Sanktionen, die das Volk treffen
- Internationale Verantwortung, die über Lippenbekenntnisse hinausgeht
Deutschland könnte dabei mehr tun – nicht militärisch, sondern moralisch. Nicht mit Waffen, sondern mit Haltung. Mit Zuhören. Mit Klarheit.
Eine Merz-Aussage hat mich fassungslos gemacht
Besonders fassungslos hat mich eine Aussage von Friedrich Merz gemacht: Israel erledige für uns „die Drecksarbeit“. Wie herzlos kann man sein? Das ist keine verantwortungsvolle Sprache. Das ist kaltes Kalkül.
So spricht man nicht über Menschen, die gerade um ihr Leben fürchten – in Teheran, Isfahan oder auch in Gaza. Natürlich hat Israel ein Recht auf Sicherheit. Natürlich muss Antisemitismus überall bekämpft werden. Aber wer Solidarität ernst meint, darf auch Freundschaft nicht mit Blindheit verwechseln.
Man darf – ja muss – auch Freunden sagen, wenn etwas falsch läuft. Zwischen den Fronten leben Menschen. Und dann lese ich Trumps Aufruf: „Verlasst Teheran.“ Als wäre das ein einfacher Schritt.
Es braucht keine Bomben, um Freiheit zu schaffen
Meine Tante ist 84. Sie lebt allein. Kein Auto. Keine Hilfe. Wie soll sie fliehen? Wohin?
Diese Sätze aus der Sicherheit westlicher Studios sind für viele Iraner*innen einfach nur zynisch. Millionen Menschen sind gefangen – nicht nur in ihren Städten, sondern in Angst, Unsicherheit und der bitteren Erfahrung, dass niemand wirklich zuhört.
Es braucht keine Bomben, um Freiheit zu schaffen. Ich bin müde. Müde von der Vorstellung, dass Gewalt Erlösung bringt. Müde davon, dass Menschenleben als Kollateralschäden verbucht werden.
Es gibt andere Wege: Zuhören. Verstehen. Verantwortung übernehmen. Hoffnung geben. Und vor allem: Nicht vergessen, dass zwischen den Systemen Menschen leben. Mit Sehnsucht. Mit Geschichten. Mit Mut – und oft ohne Stimme.
Ich bin eine dieser Stimmen. Und ich sage: Freiheit darf nicht das Nebenprodukt von Zerstörung sein. Freiheit wächst dort, wo Menschlichkeit Wurzeln schlagen darf.
Über die Kolumnistin
Saina Cortez (ehem. Bayatpour) ist eine mehrfach ausgezeichnete Unternehmerin, Uni-Dozentin, Autorin und Speakerin. Sie studierte Germanistik, Anglistik und Markt- und Werbepsychologie in München und gründete bereits mit 27 Jahren ihr erstes Unternehmen. Mit "SHECIETY" unterstützt Bayatpour Frauen auf dem Weg zum Erfolg. Sie war außerdem Jury-Mitglied des „Constructive World Award" 2024.