Ich debattiere mit Grünen-Chefin über AfD-Verbot - plötzlich sind wir uns einig
„Gehört die AfD verboten, Frau Brockhaus?“ – ich weiß nicht, wie oft mir diese Frage in den letzten Monaten in Talkshows, Podcast-Interviews oder persönlichen Zusammentreffen gestellt wurde. Zu oft, um eine Zahl benennen zu können.
Zuletzt debattierte ich darüber vergangenen Freitag im Bundestag mit der Grünen-Co-Chefin Franziska Brantner. Eine knappe Stunde diskutierten wir zu zweit in ihrem Büro bei einer Tasse Tee – über die AfD, Corona, Inklusion, Migration und das deutsche Handynetz.
Brantner plädierte für ein AfD-Verbotsverfahren
Vorausgegangen war ein gemeinsamer Auftritt im WELT-Talk. Das Thema: Wie umgehen mit der AfD? Brantner plädierte im Talk für ein AfD-Verbotsverfahren:
„Aus unserer Sicht geht es hier um die Einleitung eines Verbotsverfahrens. Der Bundestag kann keine Partei verbieten. Wir müssen unsere demokratischen Institutionen schützen, und ich finde es gleichzeitig wichtig, dass wir alle, die hier sitzen, unser Bestes geben, um die Wähler der AfD wieder für demokratische Parteien zu gewinnen.“
Sie fuhr fort: „Der Verfassungsschutz sagt: Liebe politische Akteure, es gibt eine Partei, die aus seiner Sicht gesichert rechtsextrem ist und eine Gefahr für unsere demokratischen Institutionen darstellt. Das nehme ich sehr ernst. (…) Da ist der Bericht noch nicht ausreichend, aber er ist notwendig, um so ein Verbotsverfahren auf den Weg zu bringen. Das Verfahren ist noch nicht das Verbot, aber es ist der Weg, am Ende die Berichte entscheiden zu lassen.“
Verfassungsrechtler haben Zweifel an Verbotsverfahren
Ich frage mich schon seit Längerem: Wozu ein AfD-Verbotsverfahren einleiten, das sowieso nicht glücken wird? Auf jeden Fall nicht, wenn man Verfassungsrechtlern zuhört. Viele äußern erhebliche Zweifel daran, dass ein AfD-Verbot vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg hätte.
Die Hürden für ein Parteiverbot sind nach der Rechtsprechung des Gerichts hoch: Es muss nachgewiesen werden, dass die Partei in ihrer gesamten Breite verfassungsfeindlich ist und aktiv darauf hinarbeitet, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen.
Auch der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier – der es ja wissen muss – rät im "Tagesspiegel" zur Zurückhaltung: „Das würde der AfD nur in die Hände spielen.“ Das Grundgesetz setze für ein Parteiverbot in Artikel 21 hohe Hürden.
Wir führen eine AfD-Verbots-Scheindebatte
Selbstverständlich gibt es in Deutschland auch Verfassungsrechtler, die für ein AfD-Verbotsverfahren plädieren. Aber mich überzeugen die Argumente von Papier und Co. mehr. Vor allem, weil der Bericht des Verfassungsschutzes meiner Ansicht nach nicht mehr als ein Zitat-Pamphlet war – unbestritten mit durchaus menschenfeindlichen Aussagen einiger AfDler. Aber reicht das zum AfD-Verbot? Ganz sicher nicht.
Anstatt also über die durchaus schwierige Thematik im Parteiprogramm zu sprechen – Stichwort: Inklusion, Austritt aus dem Euro etc. –, führen wir freudig die AfD-Verbots-Scheindebatte.
Vor allem gibt es bei der Einleitung eines AfD-Verbotsverfahrens auch gesellschaftliche Risiken. Bei einem gescheiterten AfD-Verbotsverfahren kann sich die AfD wie immer in der Opferrolle suhlen und sich als Märtyrerin inszenieren. Zukünftig möchte ich gerne viel mehr darüber debattieren: über die Inhalte im AfD-Parteiprogramm, darüber, wofür die AfD steht – und nicht über die Einleitung eines Verbotsverfahrens.
Inklusion? Nicht mit der AfD!
Auch Franziska Brantner möchte mehr über die Inhalte debattieren: „Die inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD ist notwendig. Was ist mit deren Sozialpolitik? Die ist nämlich eine katastrophale. Was ist mit der Inklusion? Was passiert mit Kindern mit Behinderungen, die nicht mehr in die gleichen Schulen gehen dürfen? Die sind dann nämlich draußen. Das Rezept ist: gutes Regieren und die Schwierigkeiten angehen, die es gibt. Und die schwierigen AfD Positionen thematisieren, die die AfD selbst nicht oft adressiert. Da müssen wir viel mehr machen.“
Wie bei jeder ausgewogenen, guten Debatte kommen Franziska Brantner und ich beim Punkt Inklusion auf einen Nenner: Uns beide besorgt die AfD-Position zur Inklusion. In Brantners Bundestagsbüro sprachen wir darüber, was das für viele Familien in unserem Land bedeuten würde.
Was nämlich die wenigsten wissen: Die AfD lehnt eine umfassende, flächendeckende Inklusion im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention ab und spricht sich stattdessen für den Erhalt von Förderschulen aus. Sie lehnt die inklusive Beschulung an Regelschulen ab und fordert, dass Kinder mit Behinderungen weiterhin in Förder- und Sonderschulen unterrichtet werden sollen.
Ich habe das Gespräch mit Brantner genossen
Ich habe noch einen weiteren Wunsch speziell an Sie, liebe Leser: Debattieren Sie! Respektieren Sie nicht nur die Meinung des anderen – zelebrieren Sie sie! Ich habe den Austausch mit Grünen-Co-Chefin Franziska Brantner sehr genossen, weil wir – außerhalb der Inklusion – bei kaum einem Thema einer Meinung waren. Es gibt doch wenig Spannenderes, als mit einem Menschen zu diskutieren, der alles ganz anders sieht als man selbst.
Aber nun interessiert mich, was Sie denken, liebe Leser: Sind Sie für ein AfD-Verbotsverfahren oder dagegen? Sind Sie diese Woche Team Brantner oder Team Brockhaus?
Seien Sie sich gewiss: Ich lese immer all Ihre Kommentare, Mails und Nachrichten. Wenn Sie mögen, lesen wir uns nächste Woche wieder. Was ich mir wünsche: Debattieren Sie! Respektieren Sie nicht nur die Meinung des anderen – zelebrieren Sie sie!
Ihre Nena Brockhaus
Über die Kolumnistin
Nena Brockhaus, geboren 1992, ist Wirtschaftsjournalistin, Fernsehmoderatorin, politische Kommentatorin und fünffache SPIEGEL-Bestsellerautorin (Unfollow, Pretty Happy, Ich bin nicht grün, Alte Weise Männer, Mehr Geld als Verstand). Ihr aktuelles Buch MGAV stieg auf Platz eins der SPIEGEL-Bestsellerliste ein. Nach Stationen bei Handelsblatt, Wirtschaftswoche und Bunte moderierte sie für BILD die tägliche Polit-Talkshow Viertel nach Acht. Seit 2024 kommentiert Brockhaus für WELT TV wöchentlich die deutsche Innenpolitik. Mit ihrer Kolumne „Nena und die andere Meinung“ für FOCUS online möchte sie zu einem differenzierten Meinungsbild in unserer Gesellschaft beitragen – gerne auch mit unpopulären Thesen und der Erweiterung des Sagbaren.