Niemand soll sagen, Schwarz-Rot würde nicht liefern. Im Gegenteil: Die mittelgroße Koalition der ziemlich großen Uneinigkeit liefert sehr zuverlässig Szenen einer (Zwangs)-Ehe.
Nicht jede Meinungsverschiedenheit zwischen Union und SPD ist gleich der medial zugespitzte „Streit“. Wenn aber der linke SPD-Flügel den mühsam gefundenen Bürgergeld-Kompromiss nun mit Mitgliederbefragung bedroht, dann sollte die Gesamtpartei noch mal in sich gehen, ob sie tatsächlich mitregieren möchte. Opposition ist nämlich auch in der Regierung Mist, frei nach Müntefering.
Ohne nachzudenken
Seit Monaten erleben wir ein politisches Reiz-Reaktions-Schema. Der Begriff aus der Psychologie beschreibt, wie ein Stimulus etwas auslöst, ohne Nachdenken zu erfordern. Beispiel: Klingeln an der Tür – Hund bellt. Oder: Handy-Akku wird rot – panischer Griff zum Ladekabel.
Bei Schwarz-Rot herrscht kein Mangel an Reizen. Auch dank dem Bundeskanzler: „Sozialstaat nicht finanzierbar“ – „…es der SPD bewusst nicht leicht machen“ – „Problem im Stadtbild“.
Viel Sensibilität, wenig Vertrauen
Die Reaktionen lauten: „Bullshit“ – „unverantwortlich“ – „Rassismus“. Und stimulieren eine frische Gegenreaktion. Und so schaukelt sich das Projekt „Läuft noch immer nicht bei uns“ in ungesunder Regelmäßigkeit hoch.
Das muss nicht mal gewollt sein: Als die SPD – teils unter Schmerzen – das Ende des Familiennachzugs unterstützte, lobte Merz die Anstrengung. Einige sozialdemokratische Sensibelchen sahen sich dadurch väterlich bevormundet.
Klingbeil kritisiert Merz öffentlich
Zwar wird das Verhältnis zwischen SPD-Chef Klingbeil und dem CDU-Chef als gut beschrieben. Deshalb zu glauben, die beiden tauschten sich täglich aus, wäre jedoch falsch. Es sei denn, man meint öffentlichen (Schlag-)Austausch.
Im Adenauer-Haus wird es durchaus als unfreundlicher Akt vermerkt, wenn Klingbeil von Washington aus Wehrpflicht-Ideen der CDU rügt. Oder dem Kanzler, wie zuletzt, wenig verklausuliert vorwirft, ein Spalter zu sein.
Mehr Nähe als vermutet
Dabei attestieren Soziologen wie Steffen Mau unserer Gesellschaft, dass wir es höchstens mit einer „gefühlten Polarisierung“ zu tun haben. Studien zeigen, dass bei den meisten politischen und gesellschaftlichen Themen großer Konsens herrscht.
Selbst bei dem vermeintlich strittigen Thema Einwanderung sind die Deutschen inhaltlich ziemlich nah beieinander. Eine stille, breite Mitte.
Diese, blickt man auf die Umfragen, ist auch für die Bürgergeld-Reform. Das scheint einigen Selbstzerstörern in der SPD egal zu sein. Zeit für die Parteispitze, sie einzufangen – bevor sie noch mehr Schaden anrichten.
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