Ein neuer Präsident als Herausforderung für deutsch-polnisches Verhältnis
Mit dem Amtsantritt des neuen polnischen Präsidenten Nawrocki steht die deutsch-polnische Zusammenarbeit vor einer Herausforderung. Dabei ist sie so notwendig wie nie zuvor – gerade angesichts einer aggressiven russisch-belarussischen Bedrohung, gegen die ein integriertes Verständnis von Landesverteidigung im Nato-Bündnis entscheidend ist.
Premierminister Tusk hat mit der Einführung stichprobenartiger Grenzkontrollen auch auf polnischer Seite ein Signal gesetzt. Ein Konfliktpunkt zwischen Regierung und Präsident, zwischen Tusk und Nawrocki, wird wohl die Deutschlandpolitik Polens betreffen.
Deutschland unwichtig? Polen schafft wichtige Koordinatorenstelle ab
Zwar waren die schrillen, deutschlandkritischen Töne der PiS nicht ausschlaggebend für Nawrockis Wahlerfolg. Doch auch Tusk vermeidet eine offene Deutschlanddebatte oder -politik, die seinen politischen Gegnern Auftrieb geben könnte. Die aktuelle Abschaffung des polnischen Koordinators für die bilaterale Zusammenarbeit ist wohl als weiteres Zeichen in diese Richtung zu lesen.
Gleichzeitig ist Deutschland politisch im Dauerkrisenmodus: Zwischen Ukrainekrieg, Nahostkonflikt und Zollstreit mit den USA bleibt kaum Raum, eine strategische Vision für das Verhältnis zu Polen zu entwickeln.
Die überambitionierten Absichtserklärungen mit unzähligen kleinteiligen Projekten reichen nicht aus. Polen ist seit über 20 Jahren ein gleichwertiger Partner in der EU und hat sich diese Augenhöhe hart erarbeitet. Es braucht jetzt eine bilaterale Vision, die diesem Anspruch gerecht wird – klar, pragmatisch, zukunftsfähig. Der seit Jahren schwelende Streit um Binnengrenzkontrollen hilft dabei nicht.
Laut Deloitte plant Polen, bis 2035 rund 1,9 Billionen Zloty in seine Armee zu investieren. Schon jetzt beeindruckt die Einkaufsliste der polnischen Regierung: Viele sehen Polen auf dem Weg zur am besten ausgerüsteten Armee Europas. Auch Deutschland rüstet auf. Im Rahmen der sogenannten Zeitenwende soll die Bundeswehr zur stärksten konventionellen Armee Europas werden. Wieviel Synergien sind hier möglich, wären gar nötig?
Deutsche Aufrüstung kann populistisch instrumentalisiert werden
Doch gerade diese sicherheitspolitische Einigkeit birgt Sprengstoff für die deutsch-polnischen Beziehungen. In Polen sitzt die historische Erinnerung nicht nur an 1939, die Jahrhunderte davor, tief: Ein hochgerüstetes Deutschland, das über Polens Kopf hinweg mit der Sowjetunion verhandelte und anschließend überfiel.
Ohne dass Regierung oder Opposition dies offen thematisieren müssten, kann die deutsche Aufrüstung leicht populistisch instrumentalisiert werden. Umgekehrt birgt Polens neuer Selbstanspruch als wirtschaftliche, politische und militärische Regionalmacht die Gefahr, dass die gegenseitige militärische Abhängigkeit nicht mehr ausreichend kommuniziert, oder sogar angenommen wird, Polen sei stark genug auch ohne Deutschland.
Deutschland und Polen sind unentbehrlich füreinander
Schon unter Präsident Duda entwickelte die PiS nationale Verteidigungspläne, die den Nato-Kontext lediglich "ergänzen" sollten. Dabei ist für eine glaubhafte Abschreckung Russlands im konventionellen Ernstfall die Logistik entscheidend: Deutschland ist für Polens Nachschub und die Verteidigung der Ostsee unentbehrlich – genauso wie Polen für die Verteidigung Deutschlands.
Diese einfache Wahrheit muss in eine politische Vision gegossen werden. Sie muss von Warschau und Berlin parteiübergreifend entwickelt und offensiv kommuniziert werden. Auch wenn sie nicht sofort auf breite innenpolitische Zustimmung stoßen wird: Unsere Freiheit werden wir nur gemeinsam verteidigen können. Wir müssen darüber reden, in Deutschland und in Polen und miteinander!
Der Autor Manuel Sarrazin (Jahrgang 1982) saß von 2008 bis 2021 für die Grünen im Bundestag. Neben Geschichte und Rechtswissenschaft studierte er an der Universität Bremen auch das Fach Polonistik. Von 2022 bis 2025 war er unter anderem Sonderbeauftragter der Bundesregierung für den Westbalkan.