Zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen veröffentlichten die Vereinten Nationen eine erschütternde Zahl: 80.000 Femizide. So viele Taten gab es im Jahr 2024 weltweit, die meisten durch (Ex-)Partner. Für die Rechtsanwältin Sandra Günther ist diese Zahl keine abstrakt Statistik – sie prägt ihren Arbeitsalltag.
"Manchmal kann man auch mit allen Mitteln, die einem da zur Verfügung stehen, die Taten leider nicht verhindern", sagt sie im Interview mit FOCUS online. Die nüchterne Feststellung kommt nach einer Reihe von Fällen, die deutlich machen, wie oft Betroffene trotz Hilfsangeboten in Gefahr bleiben.
Gewalt trotz Schutzanordnung
Eine ihrer Mandantinnen wurde immer wieder von ihrem Partner attackiert – sogar gebissen. "Er dachte, er ist Dracula. Er hatte eine schizophrene Störung und das Problem war einfach, dass wir mit Gewaltschutzanordnungen, mit allem, was uns zur Verfügung gestanden hat, dieser Frau kaum helfen konnten. Immer wieder stand er vor ihrer Tür", erzählt Günther. Trotz gerichtlicher Maßnahmen wurde die Frau weiterverfolgt und angegriffen. Erst nach langen, komplexen Verfahren kam der Mann in die Forensik. Die Mandantin musste weit wegziehen, unter Schutzvorkehrungen, die verhindern sollten, dass ihr Aufenthaltsort bekannt wird.
"An diesem Abend hat er sie erwürgt"
Besonders beschäftigt Günther der Fall einer Mutter von vier Kindern, die von ihrem Ex-Partner erwürgt wurde. "Ich weiß, er wird mich umbringen", hatte die Frau zuvor in einer Vernehmung gesagt. Trotz Aufenthalt im Frauenhaus und der Hoffnung auf einen Neuanfang ließ sie den Mann mutmaßlich für ein Gespräch in die neue Wohnung.
"An diesem Abend hat er sie dann erwürgt und die Kinder sind im Nebenraum gewesen und haben geschlafen", berichtet Günther. Später stellte sich heraus: Der Täter hatte bereits in den Niederlanden eine frühere Ehefrau getötet.
Wer sind die Betroffenen?
Die Vorstellung, dass vor allem junge, unerfahrene Frauen betroffen sind, weist Günther entschieden zurück. "Es betrifft sehr, sehr viel mehr Menschen, als man denkt", erklärt sie. Die Dunkelziffer sei immens, die Betroffenen seien "durch die Bank" unterschiedlich alt und aus allen sozialen Schichten.
Gemeinsam sei vielen jedoch eine emotionale Bindung, die sie nicht loslässt: "Es sind die, die nach Liebe suchen, die sich nach Liebe sehnen, die nach Liebe schreien. […] Die Opfer, die sich wirklich dann von dominanten Menschen runterdrücken lassen." Das toxische Muster beginne meist mit intensiver Zuwendung, "Love Bombing" und ende in Abwertung, Beleidigung und körperlicher Gewalt.
Viele Frauen, sagt Günther, verharrten jahrelang in solchen Beziehungen. "Sie reden immer nur davon, was Ihr Partner sagt. […] Es muss ihnen egal sein. Sie müssen Ihr Ding durchziehen. Sie müssen verstehen, diese Beziehung schadet ihnen", sagt sie Betroffenen immer wieder.
Extreme Fälle – und Erfolge
Ein weiterer Fall, der Günther besonders bewegt: Eine Mutter, die nach massiver Gewalt durch ihren Mann im Ausland mit Hirnblutungen im Krankenhaus landete. "Sie ist dann wirklich kurz nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde, raus, ist mit ihrer Verletzung hierher geflogen ins Frauenhaus und hat sich dann Stück für Stück mit meiner Hilfe ihre Kinder wieder zurückgeholt." Ein Erfolg, der sie bis heute stolz macht.
Ein wichtiger Appell
Die geschilderten Fälle machen deutlich, wie komplex und gefährlich Gewalt in einer Partnerschaft sein kann – und wie wichtig funktionierende Schutzstrukturen und frühe Interventionen sind. Gleichzeitig zeigen sie, dass Betroffene trotz großer Hürden Wege aus der Gewalt finden können. "Wenn Ihr merkt, dass Ihr in so einer Situation seid, seht zu, dass Ihr das irgendwie beendet, weil es wird im Zweifel nicht besser", rät Günther.
Am Ende bleibt vor allem die Erkenntnis: Früh erkannte Warnsignale und verlässliche Unterstützung können entscheidend sein, um Leben zu schützen und neue Perspektiven zu eröffnen.
Hilfe bei Häuslicher Gewalt und Femizidgefahr
Sollten Sie selbst oder jemand den Sie kennen von Häuslicher Gewalt betroffen sein, finden Sie hier Hilfe und Beratungsangebote:
- Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“: anonym und kostenlos rund um die Uhr erreichbar, berät telefonisch unter 116 016 oder online per Mail oder Chat, mehr Infos unter www.hilfetelefon.de
- Hilfetelefon bei sexualisierter Gewalt: anonym und kostenlos, Telefon-Sprechzeiten Montag, Mittwoch, Freitag 9-14 Uhr und Dienstag, Donnerstag 15-20 Uhr unter 0800 22 55 530, Beratung und Information online unter https://www.hilfe-portal-missbrauch.de/online-beratung
- Frauenhäuser und lokale Beratungsstellen bieten Betroffenen Schutz und Unterstützung, regionale Anlaufstellen finden Sie beim Verein Frauenhauskoordinierung und auf https://www.frauenhaus-suche.de/
- Weißer Ring: Eine Opferschutzorganisation, die Beratung für Betroffene anbietet, berät mit Hilfe von Dolmetscherinnen auch in vielen verschiedenen Sprachen, telefonisch (0116 006, täglich 7 bis 22 Uhr), vor Ort und online erreichbar, siehe https://www.weisser-ring.de/
- Telefonseelsorge: anonym, kostenfrei und 24/7 erreichbar unter 0800/1110111, 0800/1110222 und 116123
- Notruf: In akuten Gefahrenlagen und Notsituationen ist die Polizei unter 110 erreichbar.