Bundesamt für Strahlenschutz: Bundesweit erste Sonde stand in Holzkirchen - Heute dichtestes Netz der Welt
1974 wurde in Holzkirchen ein Meilenstein erreicht. Eine Messsonde für Radioaktivität kennzeichnete den Beginn einer Ära. Heute ist das Netz des Bundesamts für Strahlenschutz weltweit einzigartig.
Landkreis – Es war der 14. April 1974, als das Bundesamt für Zivilschutz den Gemüsegarten des Holzkirchner Krankenhauses untersucht hat. Die Mitarbeiter müssen zufrieden gewesen sein mit dem, was sie sahen. Nur kurze Zeit danach stellten sie hier eine Messsonde für Radioaktivität auf. Es war die bundesweit erste ihrer Art – und sie markierte den Beginn einer Ära mitten im Kalten Krieg. „Damals“, sagt Marco Reichel, „war ein Angriff mit Kernwaffen das Szenario, das beobachtet werden sollte.“ Heute, 50 Jahre später, bilden mehr als 1700 Sonden das weltweit dichteste Netz zur Erfassung der Gamma-Ortsdosisleistung (ODL). Alle 20 Kilometer eine Station, die bei Gefahr sofort Alarm schlagen würde. Und auch wenn der Kalte Krieg seit über 30 Jahren vorbei und die erste Sonde in Holzkirchen nach dem Aus des Krankenhauses abgebaut wurde: An eine deutliche Reduzierung der Struktur ist nicht zu denken, wie Reichel, Leiter des Sachgebiets für den Messnetzknoten München in der Abteilung Radiologischer Notfallschutz, erklärt.
Der promovierte Chemiker ist zur Erklärung der Technik aus Oberschleißheim nach Fischbachau gekommen, wo seit 1987 eine Messstation steht. Hier im Kurpark, zwischen Kneippbecken, Parkbänken und dem Musikpavillon, erfasst rund um die Uhr ein Geiger-Müller-Zähler die Strahlenbelastung. Hochmoderne Technik, die nichts mit einem Relikt aus alten Zeiten gemein hat.
Sonden reagieren extrem sensibel – Sogar Schutt sorgt für Meldung
„An einer anderen Sonde“, erinnert sich sein Kollege Reinhard Edler, „ist der Wert einmal leicht angestiegen und nicht mehr gesunken“. Doch schuld daran war nicht etwa ein atomarer Unfall. „Der Bauhof hatte zwei Lkw-Fuhren Granit abgekippt“, erklärt der Techniker des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS) und schmunzelt. Es ist eine von vielen harmlosen Geschichten, die hinter erhöhten Messwerten stecken können. Die Mitarbeiter erzählen sie gern, um zu verdeutlichen, wie extrem sensibel die Sonden reagieren.

Verantwortlich dafür sind zwei Zählrohre im Innern, die in Fischbachau über ein Erdkabel mit dem benachbarten Feuerwehrhaus verbunden sind. Das ist kein Zufall: Wie schon in Holzkirchen im Krankenhaus, sucht das BfS gezielt nach Gebäuden, die in öffentlicher Hand sind. Und während das Landratsamt Miesbach 1974 die deutschlandweit schnellste Zusage auf das Amtshilfegesuch gab, ist der Kurpark in Fischbachau vor allem räumlich bestens geeignet. „Die Sonden sollen in einem Radius von 20 Metern frei stehen“, erklärt Reichel. Sieben Meter drumherum dürfen zudem keine Bäume stehen.
Rufbereitschaft rund um die Uhr erreichbar
Die Daten, die so ungestört im Feuerwehrhaus ankommen, werden verschlüsselt über ein LTE-Modul übertragen, für das Techniker Reinhard Edler zuständig ist. Er sorgt für eine Notstromversorgung per Akku, hält die Technik auf dem neuesten Stand und wartet die Geräte alle vier Jahre vor Ort.

Zusammen mit sogenannten InSitu-Messungen, bei denen Stephan Ziegltrum und seine Kollegen weitere Daten vor Ort sammeln, werden die Ergebnisse in Oberschleißheim gebündelt – in einem von bundesweit sechs Messknotenpunkten des BfS.
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Hier kommt Udo Heinz ins Spiel, der sogenannte Plaus-Prüfer. Er überprüft die stündlich eingehenden Daten auf ihre Plausibilität. Nach 25 Jahren Dienst, anfangs noch in den Warnämtern zu Zeiten des Kalten Kriegs, hat Heinz viele Erinnerungen. Die Ämter, die dem Bundesamt für Zivilschutz (heute Bevölkerungsschutz) unterstanden und ihr Messnetz später an das BfS abgaben, arbeiteten noch analog. „Wir mussten früher jede Messstation einzeln per Festnetz anrufen“, schildert Heinz. Heute laufe die Abfrage automatisch. Und während viele ältere Sonden den Supergau in Tschernobyl nur rudimentär sichtbar machen konnten, lösen die hochsensiblen Nachfolge-Modelle bei höheren Werten heute sofort Alarm aus. Heinz und seine Kollegen teilen sich dafür eine Rufbereitschaft auf – „rund um die Uhr“.
Werte in Fischbachau „absolut im Normalbereich“
Dabei gilt früher wie heute: „Wenn eine Wolke über das Land zieht und von mehreren Sonden Daten vorhanden sind, können diese verifiziert werden“, sagt Heinz. Deshalb könne das dichte Netz sehr schnell Messwerte für ein Bild der radiologischen Lage liefern, auf dessen Basis Entscheidungen über eine Evakuierung oder das Verteilen von Jod-Tabletten möglich sei, ergänzt Pressesprecherin Nicole Meßmer. „Ergänzt durch mobile Messungen und das Erfassen der Wettersituation kann so auch eine Prognose erstellt werden.“
+++ Radioaktive Strahlung in Deutschland: Karte zeigt Belastungen der Regionen +++
Glücklicherweise lagen etwaige Ausschläge bisher an ganz anderen Ursachen. Plaus-Prüfer Heinz erinnert sich an eine Station, bei der ein Mann mit Schilddrüsenerkrankung nach seiner Strahlentherapie regelmäßig für erhöhte Werte gesorgt hatte. In Fischbachau ist indes alles in Ordnung. Trotz leichten Schwankungen bei Regen, der in der Luft verdünntes Radon „auswaschen“ kann, liegen die Werte durchschnittlich unter 0,1 Mikrosievert pro Stunde. Die Normalwerte in Deutschland bewegen sich zwischen zwischen 0,05 und 0,2 Mikrosievert. Edler betont: „Das ist absolut im Normalbereich.“ nap
Zeitliche Abfolge
Im Kalten Krieg war die BRD schon vor dem Aufbau des Messnetzes der Ortsdosisleistung (ODL) mit der Standortsuche befasst. Im Weißbuch zur zivilen Verteidigung aus dem Jahr 1972 heißt es: „Zur systematischen Erfassung der ABC-Lage werden für den Warndienst im gesamten Bundesgebiet im Abstand von 12 bis 15 Kilometern Beobachtungs und ABC-Meßstellen aufgebaut.“
Dafür stellten die Warnämter Amtshilfegesuche. Weil das Landratsamt Miesbach besonders schnell antwortete und das Krankenhaus Holzkirchen vorschlug, entstand hier 1974 die erste Sonde. Kurz nach dem Tschernobyl-Supergau (1986) wurde eine weitere Sonde in Fischbachau installiert. Die Messstellen blieben auch nach dem Ende des Kalten Kriegs (1991) in Betrieb, doch 1998 schloss das Krankenhaus. Der Garten, in dem die Sonde stand, wich dem Sportplatz an der Probst-Sigl-Straße. 2003 bot das Altenheim St. Anna einen Wiederaufbau an. Der Standort wäre geeignet, doch wegen der Sonde in Fischbachau und einer weiteren in Kreuth bestand dafür kein Bedarf mehr, wie Marco Reichel erklärt. nap
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