Vorschlag in TV-Duell - Scholz will mit einem Trick Bürgergeld-Faulenzer entlarven - doch der hat einen Haken
Im TV-Duell von „Welt“ und „Bild“ zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) kam auch das Reizthema Bürgergeld auf den Tisch. Die Redaktion spielte einen Film mit dem Bürgergeld-Empfänger Frank R. aus Berlin ein.
Seit zwei Jahrzehnten erhält Frank staatliche Unterstützung. Sein monatliches Budget belaufe sich auf 460 Euro, erklärte der Mann. „Ich existiere am Minimum, aber ich habe mich damit halt arrangiert“, sagte er. Zudem betonte er: „Ich bin 58, also irgendeinen Job zu machen, jetzt bloß um arbeiten zu gehen: nein.“
Sowohl Scholz als auch Merz halten das für inakzeptabel. Bürgergeld „ist kein bedingungsloses Grundeinkommen“, sagte Scholz schließlich. Eine Abschaffung des Bürgergeldes lehnte er aber ab. „Aber wir müssen natürlich mit harten Sanktionen dafür Sorge tragen, dass Leute, die konkret mögliche Beschäftigung ablehnen, dann auch von uns angegangen werden können.“
Bürgergeld: Scholz macht Vorschlag zur Verschärfung
Sein Vorschlag: Bürgergeld-Empfängern, die eine mögliche Arbeit ablehnen, sollte ein öffentlich gefördertes Jobangebot gemacht werden. Dabei soll das Jobcenter aktiv einen Arbeitsplatz bereitstellen und dem Betroffenen konkrete Ansagen machen: „Mein Freund, da gehst du morgen früh hin, und zwar um 7 Uhr“, sagte Scholz. Falls der Bürgergeld-Empfänger sich weigert, solle dies dann zu Leistungskürzungen führen.

Somit sei es dann einfacher, nachzuweisen, dass jemand eine angebotene Arbeit tatsächlich ablehnt. Damit könne vermieden werden, dass Betriebe mit der Erbringung dieses Nachweises belastet werden, erklärt der Kanzler. „Wir müssen es hinkriegen.“ Dafür müsse man Geld ausgeben, aber er halte es für richtig.
Ist dieser Bürgergeld-Vorschlag vom Kanzler neu?
Der Vorschlag des Kanzlers ist jedoch nicht gänzlich neu. Arbeitsmarktforscher Enzo Weber vom am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung teilte kürzlich das Für und Wider solcher Maßnahmen und schrieb: „Eine Arbeitspflicht gibt es bereits, bei Ablehnung von Stellen drohen Sanktionen. Im Grunde geht es also um eine Pflicht zu ganz bestimmter – üblicherweise gemeinnütziger – Arbeit.“
Die Agenda 2010, ein Reformpaket, das die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder Anfang der 2000er-Jahre initiierte, um den deutschen Arbeitsmarkt zu modernisieren und die hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, umfasste unter anderem die sogenannten Arbeitsgelegenheiten, auch bekannt als „Ein-Euro-Jobs“.
Diese sollten Langzeitarbeitslosen die Möglichkeit geben, durch gemeinnützige Tätigkeiten wieder an den Arbeitsmarkt herangeführt zu werden. Die Teilnehmer erhielten zusätzlich zu ihren Sozialleistungen eine geringe Aufwandsentschädigung.
Ein-Euro-Jobs gibt es auch heute noch – und sie können positiv wirken
Ein-Euro-Jobs gibt es auch heute noch, allerdings in veränderter Form. Der offizielle Begriff lautet „Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung“. Sie werden vom Jobcenter vermittelt und sind für die Teilnehmenden verpflichtend, wenn sie zugewiesen werden. Die Mehraufwandsentschädigung beträgt heute meist zwischen 1 und 2,50 Euro pro Stunde, zusätzlich zum Bürgergeld.
Arbeitsmarktforscher Weber schreibt dazu auf dem Jobportal LinkedIn: „Langzeitarbeitslosigkeit habe eine Vielzahl individueller Gründe. Arbeitsroutine in einer Arbeitsgelegenheit zu stärken kann helfen, dieselbe Maßnahme für alle wird oft aber auch nicht passen.“
Diese Arbeitsgelegenheiten können dem Arbeitsmarktforscher zufolge tatsächlich positiv wirken. „Aber meist nur bei Menschen, die es auf dem ersten Arbeitsmarkt besonders schwer haben, und, wenn es um eher marktnahe Tätigkeiten geht“, so Weber. Sonst könnten Menschen auch von weiterer beruflicher Entwicklung abgehalten werden.
Und: „Die Pflichtjobs müssen zusätzlich sein, dürfen also nicht auf Kosten regulärer Beschäftigung gehen.“ Weber fragt: „Marktnah aber nichts auf dem Markt verdrängen? Die Schwierigkeit, solche Jobs in größerer Zahl zu schaffen, ist offensichtlich“, meint er.
Zusätzlich geht dem Forscher zufolge damit auch eine Gefahr einher: „Möglicherweise schafft man damit auch Bereiche, die von der billigen Arbeit abhängig werden.“ Weber wirft die Frage auf: „Sollte man gemeinnützige Arbeit nicht besser ernst nehmen und aufwerten?“ Denn: Mit vielen eher unwilligen Personen umzugehen, dürfte für die Träger zudem herausfordernd werden, so der Experte.
Auf der anderen Seite könne eine Arbeitspflicht jedoch die Verbindlichkeit des Systems erhöhen. „Menschen würden ihr Verhalten im Vorhinein anpassen, um gar nicht erst in Berührung mit der Arbeitspflicht zu kommen“, meint Weber. Derartige Effekte seien auch bei Sanktionen nachgewiesen. Umgekehrt steige aber das Risiko, dass unter dem erhöhten Druck verstärkt Jobs mit wenig Perspektive aufgenommen werden.
Auch Union und FDP forderten Arbeitsverpflichtung für Bürgergeldempfänger
Merz warf beim TV-Duell mit Blick auf den dort gezeigten Arbeitslosen ein: „Wir haben im Jahresdurchschnitt 2024 700.000 nicht besetzte offene Stellen. Warum muss man für Frank einen öffentlich geförderten Job schaffen?“ Damit würde man noch mehr Geld ausgeben für „dieses verkorkste System“. „Der Dissens bleibt“, sagte Merz. „Die Beweislast beim Staat zu lassen, führt uns doch genau in dieses Elend.“
Politiker der FDP und der Union haben sich bereits Anfang des Jahres dafür ausgesprochen, Bürgergeldempfänger zu einer Arbeit zu verpflichten. Christoph Meyer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP im Bundestag, nannte als Beispiel Tätigkeiten im öffentlichen Raum.
Dazu würden laut Meyer „Reinigungs- und Hilfsarbeiten für Spielplätze, Parks oder auch Bahnhöfe“ gehören. Er betonte weiter: „Wer selbst zumutbare Arbeit verweigert und vom Geld der arbeitenden Bevölkerung lebt, muss den öffentlichen Raum für alle anderen ordentlich und sauber halten.“
Auch Thorsten Frei, parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, äußerte sich in diese Richtung. Im Deutschlandfunk forderte er, dass arbeitsfähige Bürgergeldbezieher ohne gesundheitliche Einschränkungen oder pflegebedürftige Angehörige zur Arbeit verpflichtet werden sollten.
Sozialrechtsexperte: „Es ist verfassungswidrig“
Der frühere BA-Vorstandschef Detlef Scheele hält eine Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger indes für unpraktikabel und unnötig. Gegenüber der „Zeit“ erklärte er, dass die meisten Betroffenen ohnehin schnell eine reguläre Beschäftigung suchten, während andere krank oder sozial belastet seien.
Zudem sei der organisatorische Aufwand enorm: „Angenommen, man verpflichtet eine Gruppe von zwölf Arbeitslosen zu Laubarbeiten im Park – dann braucht man einen Bus für den Transport und auch einen Fahrer oder eine Fahrerin.“ Auch Personal für Anleitung und Verwaltung wäre erforderlich, was hohe Kosten verursache.
Laut der Zeitung betrifft die Sanktionierung aufgrund der Ablehnung von Jobs oder Maßnahmen nur eine geringe Anzahl von Langzeitarbeitslosen – konkret 15.777 Personen.
Rechtliche Hürden sieht zudem Sozialrechtsexperte Sven Adam. Er verwies im Thinktank „Das Momentum“ auf Artikel 12 des Grundgesetzes, wonach niemand zur Arbeit gezwungen werden dürfe. Sein Fazit: „Es ist verfassungswidrig.“
Wahlprogramm der SPD lässt Fragen zu Bürgergeld-Sanktionen offen
Ein Blick ins SPD-Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2025 bringt zunächst auch nicht mehr Licht ins Dunkel, was genau Olaf Scholz jetzt mit seinem Vorschlag meint.
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Zwar betont die Partei des Kanzlers mehrfach, dass das Bürgergeld keine bedingungslose Leistung sei und Mitwirkung von den Empfängern eingefordert werde. Allerdings steht in dem Programm nichts explizit zu der von Scholz geforderten verpflichtenden Jobzuweisung durch das Jobcenter mit harten Sanktionen bei Ablehnung.
Konkret heißt es im Wahlprogramm: „Jede Bürgerin und jeder Bürger hat das Recht auf Arbeit. Deshalb soll jeder Bürgergeldbezieher ein passendes Angebot erhalten.“ Dies deutet darauf hin, dass alle Bürgergeld-Empfänger ein individuelles Jobangebot bekommen sollen – jedoch bleibt unklar, ob dies als freiwillige Maßnahme oder auch als verpflichtende Zuweisung gedacht sein kann.
Was nicht näher ausgeführt wird, ist die konkrete Sanktionierung bei Arbeitsverweigerung. Zwar hält die SPD am Prinzip des „Forderns“ fest und bekräftigt, dass das Bürgergeld kein bedingungsloses Grundeinkommen sei, doch gibt es keine expliziten Aussagen darüber, ob und in welcher Form harte Sanktionen bei Arbeitsverweigerung eingeführt oder verschärft werden sollen.
Auch eine staatlich organisierte Jobzuweisung, wie Scholz sie im TV-Duell angedeutet hat, wird nicht konkret erwähnt. Es bleibt also offen, inwieweit der Vorschlag des Kanzlers mit dem Wahlprogramm übereinstimmt, oder ob hier eine Verschärfung über das Programm hinaus diskutiert wird.
FOCUS online hat bei der SPD angefragt und um Konkretisierung des Kanzler-Vorschlags gebeten. FOCUS online wollte unter anderem wissen, wie verhindert werden soll, dass dadurch andere Arbeitsplätze vernichtet werden? Und: Welche konkreten Sanktionen sind geplant, wenn ein Bürgergeld-Empfänger eine zugewiesene Arbeit verweigert? Die Antwort der SPD steht aktuell noch aus.