„Ich hätte ihn nicht zum Gegner haben wollen“: Dekan Weigl spricht über Luther und sein Erbe
Der Reformationstag ist für Dekan Christian Weigl ein besonderes Fest. Zu Halloween als Konkurrenz zum eigenen Feiertag hat er eine klare Haltung.
Freising - Für Menschen mit evangelischem Glauben ist der 31. Oktober ein besonderer Tag, feiern sie doch Reformation, die Gründung ihrer Kirche. Im FT-Interview berichtet Dekan Christian Weigl, ob Martin Luther auch ein guter Widerstandskämpfer gegen die dritte Startbahn gewesen wäre, wie er das Verhältnis zur katholischen Kirche sieht, und wie er damit umgeht, dass mit Halloween für den Reformationstag eine große Konkurrenz entstanden ist.
Herr Dekan Weigl, warum ist der Reformationstag etwas Besonderes in Ihrem Kirchenjahr?
Er ist für uns Evangelische eine Art „Gründungsfest“, darum versuchen wir auch, es besonders zu begehen. In Freising gibt es da die Tradition der „Zeitansage“: Prominente Zeitgenossen, die auch wirklich etwas zu sagen haben, werden in den Gottesdienst eingeladen zur Kanzelrede. Diese hat in aller Regel mit drängenden Themen unserer Zeit zu tun. Dieser gesellschaftspolitische Ansatz harmoniert wunderbar mit dem Geist der Reformation. Die Reformation war ja durchaus eine zeitkritische Bewegung und widerständig gegen die Obrigkeiten von damals.
Was sind für Sie denn die Kernbotschaften des Reformationstag?
Ich versuche eine Antwort in nicht-kirchlicher Sprache: Neben mancher theologischen Neuausrichtung ist für mich zentral, dass die Reformation die Autorität von Kirche maßgeblich beschränkt hat, indem sie ihr, salopp gesagt, keine Stellvertreterrolle mehr auf Erden für den lieben Gott zugestanden hat. Sie hat im Gegenzug den Menschen mit seinem Gewissen und seiner direkten Beziehung zu Gott verstärkt in den Blick genommen. Und dazu braucht es zunächst keine Kirche.
Und wie kam Martin Luther ins Spiel?
Luther hat für seine Einsicht nicht wild mit Versatzstücken von Philosophie und Theologie argumentiert, sondern er hat schlichtweg die Bibel aufgeschlagen und nachgesehen, was da drin steht – und was nicht. Die Beschränkung kirchlicher Autorität in den Köpfen der Menschen, also in dem, was sie glauben, hat dann zu erbitterten Auseinandersetzungen geführt. Kein Wunder! Heute haben sich evangelische und katholische Kirche längst angenähert und wissen beide sehr wohl, dass es bei beiden theologischen Grundhaltungen der Kirchen Licht- und Schattenseiten gibt. Die Zeit des Rechthabens ist vorbei. Es geht längst ums Verbindende. Wir brauchen einander.
Welches thematische Hauptaugenmerk legen Sie in diesem Jahr auf den Reformationstags?
In der „Zeitansage“ haben wir dieses Mal Amelie Fried zu Gast, die über „Frauenbilder“ sprechen wird. Es ist also kein unmittelbar reformatorisch-theologisches Thema, aber ein Thema, das in der Gesellschaft widersprüchlich diskutiert und wahrgenommen wird, zu dem wir Christen auch etwas zu sagen haben und wo wir womöglich gegen den Strom schwimmen. Das ist gutes reformatorisches Erbe: Nicht im „Mainstream“ bleiben, sondern selber nachdenken.
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Aktuell brandet wieder das Thema 3. Startbahn aufgrund des „Ewigkeitsbeschlusses“ auf. Wäre Luther, der ja seine Widerstandsfähigkeit gegenüber Obrigkeiten an den Tag gelegt hat, auch ein guter Kämpfer gegen den Bau der Startbahn?
Eine kühne Frage! Luther war ein Kind seiner Zeit, die keine demokratische Gesellschaft kannte - und Flugzeuge und Startbahnen noch weniger. Er war auch kein grundsätzlicher Feind von Obrigkeit, im Gegenteil, denn, so argumentierte er, irgendwer müsse ja für das weltliche Leben Ordnung schaffen, dafür habe Gott schließlich die Obrigkeit gemacht. Aber: Die weltliche Obrigkeit muss sich vor Gott verantworten können! Das ist die entscheidende Frage. Luther hätte versucht, biblisch zu argumentieren. Und wenn sich für ihn als Ergebnis herausgestellt hätte, dass das, was die Obrigkeit plant, dem Geist des Evangeliums widerspricht, hätte sich Luther dem auch wortgewaltig entgegengestellt. Ich hätte ihn nicht zum Gegner haben wollen.
Stört es Sie eigentlich, dass mit Halloween inzwischen eine deutlich zunehmende Konkurrenz am 31. Oktober für den Reformationstag entsteht?
Ich gehöre nicht zu den Hardcore-Kirchenleuten, denen Halloween ein großer Dorn im Auge ist. Warum sollen vor allem Kinder und Jugendliche nicht ihren Spaß haben? Dass es eine große Schnittmenge zwischen Halloween-Fans und Kirchgängern gibt, sehe ich nicht. Natürlich bedaure ich etwas, dass das Bewusstsein für den Reformationstag schwindet. Die Reformation war ein zentrales, einschneidendes geistesgeschichtliches und letztlich auch politisches Ereignis, das die Welt in Europa und darüber hinaus maßgeblich verändert hat. Das schleichende Vergessen von Gedenktagen – das geht ja nicht nur dem Reformationstag so! – für geschichtlich relevante Ereignisse macht mich schon manchmal nachdenklich.