Merz-Regierung verweigert sich der Fleisch-Fakten: Was die Minister nicht zugeben wollen

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Fleischkonsum gilt als Klimakiller – doch Minister im Kabinett Merz vermeiden klare Worte. Warum ist Fleisch in der Politik so ein Tabuthema?

Berlin – Aus Sicht der Wissenschaft ist die Lage eindeutig: Fleischkonsum schadet dem Klima. Knapp ein Sechstel aller vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen gehen auf das Konto von Nutztierhaltung, wie Daten der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zeigen. Die Bundesregierung hat sich auf die Fahnen geschrieben, bis 2045 treibhausgasneutral zu sein. Eigentlich müsste der Fleischkonsum also Thema sein. Doch sowohl Agrarminister Alois Rainer (CSU) als auch Bundesminister für Klimaschutz Carsten Schneider (SPD) vermeiden, das offen zu sagen.

Alois Rainer verteidigt, wie es sich für die CSU gehört, den Fleischkonsum. Die Merz-Regierung steht dabei aber ein wenig in Kritik. © Imago 2x

Laut Umweltbundesamt entstehen bei der Tierhaltung große Mengen an klimaschädlichen Gasen – vor allem Methan aus Rindermägen, Lachgas aus Düngern wie Gülle und CO₂ durch Abholzung zum Anbau von Futtermitteln. Auch trockengelegte Moore zur Viehzucht sind ein Klimaproblem. Das Pariser Klimaschutzziel sei ohne eine Ernährung mit weniger tierischen Produkten nicht zu erreichen, sagt der Klimaforscher Hermann Lotze-Campen der Tagesschau. Laut dem Klimaforscher müsste der Fleischkonsum um 70 Prozent sinken, um die deutschen Klimaziele zu erreichen.

Klimaziele in Gefahr, doch die Politik schweigt beim Thema Fleisch

Landwirtschaftsminister Rainer gab gegenüber dem ARD-Magazin „Panorama“ unlängst zu Protokoll, Fleischkonsum habe seines Erachtens mit dem Klimaschutz nichts zu tun. Auf Nachfrage des NDR erklärte das Ministerium nur vage, der Einfluss des Konsumverhaltens auf das Klima sei wissenschaftlich belegt. Minister Rainer habe damit gemeint, dass Klimaschutz über den privaten Konsum hinausgehe – konkrete Vorgaben zum Fleischkonsum wolle die Bundesregierung nicht machen. Rund ein Drittel der Emissionen in Deutschland gehen laut einer Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung auf den privaten Konsum zurück, der Löwenanteil kommt aus der Industrie und Energiewirtschaft.

Weiter hieß es vom Ministerium: „Wer Fleisch essen möchte, soll das auch tun dürfen.“ Auch auf erneute Nachfrage des NDR blieb offen, ob Rainer den hohen Fleischkonsum grundsätzlich für klimaschädlich hält. Wissenschaftler plädieren, Fleisch steuerlich nicht weiter zu begünstigen und den Mehrwertsteuersatz von 7 auf 19 Prozent anzuheben. Auch der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung (WBAE) hat dies kürzlich erneut empfohlen. Landwirtschaftsminister Rainer lehnt eine Erhöhung jedoch ab. Sein Ministerium verweist auf die Zuständigkeit des Bundesfinanzministeriums. Das wiederum gibt gegenüber der ARD an, es seien keine Änderungen vorgesehen.

„Niemand geht an mein Schnitzel!“: Wie Fleisch plötzlich zum Symbol politischer Freiheit wird

Klimaschutzminister Schneider windet sich ebenfalls, klar zu sagen, dass die Deutschen ihren Fleischkonsum reduzieren sollten. „Klimaschutz steht wie viele andere Punkte im Grundgesetz und hat natürlich eine hohe Priorität, aber dieses Gegeneinander ist nichts, was ich teile“, kommentiert der Minister im Gespräch mit „Panorama“. Fleisch hatte sich zuletzt zum Aufregerthema gewandelt. „Sie wollen uns die Schweinshaxe, die Bratwurst, das Schnitzel verbieten! Und ich kann euch sagen, ich lasse mir nicht mein Schnitzel wegnehmen. Niemand geht an mein Schnitzel!“, ließ AfD-Parteivorsitzende Alice Weidel Deutschland 2023 in einer Rede wissen.

Die Union verfolgt die Strategie, die AfD „inhaltlich zu stellen“, wie es aus den eigenen Reihen heißt. Vielleicht fällt es den Ministern der schwarz-roten Koalition deshalb so schwer, den Fleischkonsum öffentlich zu verdammen. Beim Streit übers Essen gehe es im Grunde darum, welche Werte und Identitäten Menschen mit bestimmten Lebensmitteln verbinden, sagt die Psychalologin Britta Renner von der Uni Konstanz der Tagesschau. Beim Fleisch gehe es deshalb nicht nur um Nährstoffe und Geschmack, sondern auch um Zugehörigkeit und soziale Anerkennung.

Wie Politiker mit Schnitzel und Co. Stimmen gewinnen wollen

In der Politik weiß man das und hat Essgewohnheiten längst politisch instrumentalisiert. In der Kommunikationswissenschaft ist auch von „Gastropopulismus“ die Rede. Ein Vertreter dieses Genre: Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der in den sozialen Medien unter dem Hashtag #söderisst immer wieder Bilder von Essen postet. In der Regel ist das „volksnah“ und fleischlastig, also Currywurst, Bratwurst, Schnitzel und Co. Auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) wagte während des Wahlkampfs einen solchen Versuch in einer McDonald's Filiale – mit dem Wortspiel „Burgersprechstunde“.

Das Schnitzel wird damit plötzlich zur nationalen Verteidigungslinie und Fleischreduktion gilt als Angriff auf die Freiheit. Sachliche Diskussionen und unaufgeregte Lösungsversuche werden dann von populistischen Äußerungen wie von Alice Weidel übertönt. Ein Blick auf den aktuellen Stand der Forschung zeigt dabei sogar: Weniger Fleisch ist sogar gesünder. Wie etwa eine Zwillingsstudie unlängst ergab, stellten sich bei veganer Ernährung bereits nach vier Wochen positive Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System ein. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt maximal 300 Gramm Fleisch und Wurst pro Woche – es darf aber gerne auch weniger sein.

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