Ende des Ukraine-Kriegs: Experte erklärt zwei Optionen – und was „unterschätzt“ wird
Nachhaltigen Frieden in der Ukraine kann es wohl nur geben, wenn sich der Westen im Land engagiert. Ein Experte vergleicht zwei mögliche Modelle.
Hamburg – Bislang unterstützt der Westen Kiew im Ukraine-Krieg militärisch vor allem durch Lieferungen von Waffen und Ausrüstung. So konnten die Verteidiger die russische Invasion bereits über dreieinhalb Jahre einbremsen. Nach Angaben der Bundesregierung umfasst die militärische Unterstützung Deutschlands rund 38 Milliarden Euro – inklusive der geplanten Leistungen für die kommenden Jahre.
Doch längst ist klar, dass die bisherige Taktik nicht ausreichen wird, um Kreml-Chef Wladimir Putin von seinem Plan abzuhalten, seinen Machtbereich auf das gesamte Nachbarland auszuweiten. Auch infolge des jüngsten Ukraine-Gipfels bei US-Präsident Donald Trump, an dem unter anderem auch Bundeskanzler Friedrich Merz teilnahm, drehen sich die aktuellen Diskussionen nicht nur darum, wie der Ukraine-Krieg beendet werden kann, sondern auch um die Frage, wie der Frieden danach gesichert werden soll.
Frieden in der Ukraine: Experte erwartet „drei oder fünf Brigaden“ aus dem Westen
Im Interview mit dem Spiegel führt der österreichische Verteidigungs- und Militär-Experte Franz-Stefan Gady zwei Optionen dazu aus. Er betont, es gehe darum, „einen Nachfolgekrieg mit Russland zu verhindern“. Um dies zu erreichen, „müssen die Kosten für den Kreml so hoch sein, dass es sich nicht lohnt, die Ukraine nochmal anzugreifen“. Seiner Meinung nach sind dafür „drei oder fünf Brigaden“ nötig. Also: von der „Koalition der Willigen“ entsandte Truppen.
„Die kleinere würde einen neuen russischen Angriff nicht aufhalten, würde ihn aber genügend verlangsamen, um ihn militärisch zu kostspielig zu machen“, erklärt 42-Jährige: „Fünf Brigaden, gut integriert mit den ukrainischen Streitkräften, könnten russische Gebietsgewinne sogar verhindern.“

Zu bedenken sei, dass im Fall von fünf Brigaden diese wohl „nur zwei bis drei Jahre“ vor Ort bleiben könnten. Länger sei ein solches Projekt logistisch und militärisch möglicherweise nicht aufrechtzuerhalten. Dagegen könnte ein „Modell mit drei oder vier Brigaden unter deutscher sowie türkischer Mithilfe“ länger einsatzbereit bleiben.
Was kommt nach Ende des Ukraine-Kriegs? Europäische Brigaden an drei Einfallsachsen positionieren
Gady schwebt im Fall des kleineren Kontingents vor, dass Uno-Blauhelme aus Ländern des globalen Südens an der Front patrouillieren. Dahinter stehe die ukrainische Armee, während drei europäische Brigaden mit etwa 15.000 Soldaten „die drei offensichtlichen Einfallsachsen im Osten der Ukraine im Hinterland sichern“ würden. Ihr Einsatzgebiet sei dann vermutlich Charkiw und Sumy im Norden, Dnipro im Zentrum und Saporischschja im Süden.
Als Absicherung brauche es „mindestens 72 Kampfjets sowie eine türkische Mission im Schwarzen Meer“. Seiner Rechnung zufolge müsste Putin dann „bis zu 60.000 Soldaten“ für „einen tiefen Durchbruch an der Front“ schicken.
Allerdings verweist der Experte auf verschiedene Unsicherheiten. Da wäre die schwierige Verzahnung zwischen Ukrainern und einer sogenannten Abschreckungstruppe: „Man unterschätzt die Zeit, die hier benötigt wird. Bis es gemeinsame Kommandostrukturen gibt, Sprachkurse abgeschlossen sind und eine Logistik aufgebaut wurde, vergehen im günstigsten Fall etwa 13 Monate.“
Zudem könnte die Kooperation des Westens schnell bröckeln – etwa, falls in Frankreich 2027 das Rassemblement National um Marine Le Pen an die Macht kommen sollte. „Russland würde so was bei einem möglichen Angriff natürlich einkalkulieren und einfach auf den besten Moment warten“, warnt Gady.
Militär-Experte über Sicherheitsgarantien: „Land A zieht für Land B in den Krieg“
Bereits zuvor hatte er in der ORF-Sendung „ZiB 2“ betont, worauf sich die Europäer einlassen würden, wenn sie der Ukraine Sicherheitsgarantien aussprechen. „Wenn ein Land einem anderen Land eine Sicherheitsgarantie gibt, dann sagt das eine Land dem anderen Land militärische Unterstützung im Ernstfall zu. Das bedeutet, Land A zieht für Land B in den Krieg, um in dem Fall die Ukraine zu verteidigen“, verdeutlicht der Buchautor: „Das heißt, Europa und die USA würden gegen Russland in den Krieg ziehen.“
Zwar sei letzteres der Extremfall, doch diese Grundsatzfrage müsste geklärt werden. „Russland kann nur durch militärische Stärke abgeschreckt werden. Das heißt, wir müssen ein substanzielles Truppenaufgebot in die Ukraine schicken, um einen potenziellen Konflikt abschrecken zu können“, macht er deutlich.

Ukraine hofft auf Frieden: „In sehr starke militärische Lage versetzen“
Zugeschaltet war hier auch Ljudmyla Melnyk. Die Leiterin des Ukraine-Programms am Institut für Europäische Politik in Berlin versprühte Hoffnung auf ein zeitnahes Kriegsende. Auch dabei komme es aber auf den Westen an: „Wenn die Ukraine in sehr starke militärische Lage versetzt wird, dann wird der Frieden sehr schnell kommen. (…) Verschärfungen der Sanktionen könnten ein Thema sein, oder Zahlungen von Reparationen.“
Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte in einer Videoansprache: „Der Druck auf Russland, den Krieg zu beenden, muss erhöht werden. Putin versteht nichts außer Macht und Druck.“ Es müsse alles Mögliche unternommen werden, um das Land und die Bevölkerung zu beschützen. Auch hier wird sich der Westen angesprochen fühlen. (mg)