Experte: "Trump war unendlich nett zu Putin – das hatte 3 Gründe"
Roter Teppich, freundlicher Händedruck, warme Worte – und kein einziges kritisches Statement. Beim Alaska-Gipfel trat Donald Trump so auf, als habe Putin die Rolle des Gastgebers übernommen. Während viele Beobachter auf Fortschritte im Ukraine-Krieg hofften, ging der US-Präsident leer aus – zumindest offiziell.
Politikwissenschaftler und Geopolitik-Experte Klemens Fischer von der Uni Köln erklärt im Gespräch mit FOCUS online, warum nun sowohl Selenskyj als auch Moskau äußerst vorsichtig agieren müssen.
"Trump war unendlich nett zu Putin, aber das hatte einen Grund"
FOCUS online: Herr Fischer, viele waren überrascht, wie freundlich Trump gegenüber Putin auftrat: Händedruck, viel Redezeit für den Russen, kein einziges kritisches Wort. Warum war Trump so nett?
Klemens Fischer: Er war nicht nur nett, er war unendlich nett zu Putin. Aber das hatte einen Grund: Trump bekam einen ganz anderen Deal, als die meisten erwartet hatten. Offiziell war die Ukraine Anlass des Treffens – in Wirklichkeit ging es für Trump um drei andere Dinge.
- Erstens: Putin gab ihm die Bühne, sich als Staatsmann zu inszenieren, der sagt: Ukraine, das ist nicht mein Krieg. So kann er seinen Wählern zeigen: Ich halte mein Versprechen, Amerika nicht länger in fremde Kriege zu verwickeln.
- Zweitens: Trump sieht enormes Geschäftspotenzial. Wenn Sanktionen fallen, muss Russland vieles einkaufen. Allein im Flugzeugbau wären Milliardendeals denkbar – etwa neue Boeing-Maschinen, finanziert mit aufgetauten russischen Geldern. Für Trump wären das Jobs in einer kriselnden Industrie.
- Und drittens: Die Russen machten ein fast unsittlich gutes Angebot: über ein Abrüstungsabkommen zu sprechen, das nächstes Jahr ausläuft. Gelingt eine Verlängerung, könnte Trump sich als "Retter der Welt" feiern lassen – sogar mit Blick auf einen Friedensnobelpreis.
War das wirklich Schwäche – oder Kalkül?
Viele werten das Auftreten des US-Präsidenten als Schwäche. Könnte es sein, dass Trump bewusst so konziliant auftrat, weil er eine andere Agenda hatte?
Fischer: Genau. Natürlich hätte er gern auch bei der Ukraine etwas mitgenommen. Aber da waren die Russen komplett unwillig, überhaupt zu reden. Also hat er den Schauplatz gewechselt.
Für Beobachter, die Fortschritte in der Ukraine erwartet hatten, war das Gipfeltreffen ein Misserfolg. Aus Trumps Sicht dagegen durchaus akzeptabel – er kann seiner Wählerschaft verkaufen, Wahlversprechen einzulösen und gleichzeitig ein Stück Weltfrieden zu retten.

"Russland muss jetzt enorm vorsichtig sein"
Im Vorfeld wurde befürchtet, Trump könnte die Ukraine an Putin verkaufen. Ist das passiert?
Fischer: Das kommt auf die Perspektive an. Aus Trumps Sicht hat er die Ukraine nicht verkauft – im Gegenteil: Er kann behaupten, dass er keinerlei formale Zugeständnisse gemacht hat. Für ihn ist das Treffen also kein Verrat, sondern ein Schritt, den Krieg in eine neue Phase zu bringen.
Aus ukrainischer Sicht sieht das allerdings ganz anders aus. Dort wirkt es so, als sei die eigene Zukunft am Verhandlungstisch der Großmächte verhandelt worden, ohne dass Kiew wirklich beteiligt war. Und tatsächlich: Wenn Trump die russischen Mindestforderungen akzeptabel erscheinen lässt, dann fühlt sich die Ukraine de facto verkauft – auch wenn es kein unterschriebenes Abkommen gibt.
Hinzu kommt: Wir wissen schlicht nicht, ob Trump seine Linie in den nächsten Tagen beibehält.
Russland wiederum muss jetzt enorm vorsichtig sein. Jede militärische Eskalation – etwa ein massiver Angriff auf zivile Ziele – könnte Trump verärgern und ihn von der gerade entstehenden "Freundschaft" wieder abrücken lassen. Für Moskau ist das Risiko real, den eigenen strategischen Gewinn sofort wieder zu verspielen.
Wer den Gipfel als Friedensgipfel verstanden hat, muss sich enttäuscht fühlen. Aber ehrlicherweise: Diese Hoffnungen waren unrealistisch. Schon im Vorfeld war klar, dass Putin zu substantiellen Zugeständnissen nicht bereit ist. Trump hat das nun akzeptiert und den Fokus auf andere Themen verschoben. Für die Ukraine bedeutet das: Sie bleibt Verhandlungsobjekt, nicht Verhandlungspartner.
Offener "großer Punkt": Waffenstillstand oder Frieden?
Trump sagte nach dem Gipfel: "Es sind nur ein paar Punkte offen. Darunter ein besonders großer." Welcher könnte das sein?
Fischer: Ich sehe darin die Frage Waffenstillstand oder Friedensabkommen. Ein Friedensvertrag mit endgültigen Grenzverschiebungen wäre für Selenskyj politisch nicht haltbar. Ein Waffenstillstand dagegen ist realistisch – wenn auch hochkomplex. Man denke nur an Korea: Seit den 1950ern kein Frieden, aber Waffenstillstand. Das könnte auch für die Ukraine ein Szenario sein.
Bedeutet der Gipfel wenigstens eine Entlastung an der Front?
Fischer: Nein. Militärisch wird sich nichts ändern, die Russen werden weiter holen, was sie können. Vielleicht gab es Signale der USA, Angriffe auf zivile Ziele einzuschränken – aber entscheidend ist das nicht. Wahrscheinlicher ist: Bald sehen wir einen Gegenbesuch, vielleicht in Moskau, wo beide Seiten demonstrieren, dass sie "bessere Beziehungen" wollen.
Wie verkauft Trump das jetzt Selenskyj?
Am Montag trifft Trump den ukrainischen Präsidenten Selenskyj. Wie will er ihm das erklären?
Fischer: Trump wird Selenskyj vermutlich sagen: Es liegt ein russisches Angebot auf dem Tisch. Putin hat sehr klar formuliert, was er mindestens will: die dauerhafte Kontrolle über Teile von vier Regionen im Osten und Süden der Ukraine. Im Gegenzug stellt er die Rückgabe von Gebieten wie Charkiw oder Sumy in Aussicht. Aus amerikanischer Sicht klingt das wie ein "Deal", den man verkaufen kann.
Die Nato-Frage ist für Trump dabei eher ein Nebenschauplatz. Putin weiß, dass er den Beitritt der Ukraine nicht allein durch Washington verhindern kann – das entscheidet ein Bündnis. Für Trump ist entscheidend: Er kann zeigen, dass er Bewegung in den Krieg gebracht hat, ohne sich in endlose Diskussionen über Mitgliedschaftsfragen zu verstricken.

Für Selenskyj ist das jedoch brandgefährlich. Er muss Trump am Montag unbedingt wohlgesonnen entgegentreten und darf ihn auf keinen Fall provozieren – etwa mit dem Vorwurf, die Ukraine verraten zu haben. Stattdessen wird er Dankbarkeit zeigen müssen, selbst wenn er genau weiß, dass die russischen Forderungen für Kiew eigentlich untragbar sind.
Sein zentrales Problem ist: Selenskyj hat seiner Bevölkerung versprochen, keine Gebietsabtretungen hinzunehmen. Doch die Chancen, dieses Versprechen halten zu können, sind minimal. Realistisch bleibt nur ein Waffenstillstand – als Brücke über das Dilemma. Er könnte argumentieren: Ja, die Gebiete sind vorerst verloren, aber völkerrechtlich bleiben sie ukrainisch. Wir akzeptieren die Besatzung nicht, wir halten nur das Töten an.
Das ist keine Lösung, die Begeisterung auslöst. Aber es wäre ein Schritt, mit dem Selenskyj das Überleben seines Landes sichern könnte – und mit dem Trump nach Hause gehen kann und sagt: Seht her, ich habe Frieden ermöglicht.
"Friedrich Merz wird verbittert reagieren"
Welche Reaktionen erwarten Sie von Europa?
Fischer: Sehr unterschiedliche. Friedrich Merz wird verbittert reagieren, weil er sich als Sprecher der Europäer sah und Trump mit Forderungen konfrontierte. Das dürfte Trump eher provoziert haben. Macron wird abwarten, andere Europäer werden scharf kritisieren, vor allem aus dem Baltikum. Für die Ukraine ist das bitter: Europa wirkt machtlos, die großen Deals spielen sich zwischen Washington und Moskau ab.
Peinliche Panne nach Gipfeltreffen
Beim Gipfeltreffen zwischen US-Präsident Donald Trump und Russlands Präsident Wladimir Putin unterlief offenbar ein Sicherheitsfehler. US-Medien berichten, dass vorbereitende Unterlagen im Business Center des Captain-Cook-Hotels in Anchorage aufgefunden wurden.
Die Unterlagen befanden sich im Drucker des Hotels, rund 20 Fahrminuten entfernt von der Militärbasis.