Es könnte ein historischer Durchbruch sein: Israel und die islamistische Hamas haben sich auf einen Friedensplan für Gaza verständigt. Dem in der Nacht zu Donnerstag verkündeten Deal waren zähe diplomatische Gespräche vorausgegangen – initiiert von US-Präsident Donald Trump.
Der entscheidende Schwung in die Verhandlungen kam offenbar vor vier Wochen. Israel hatte damals zehn Kampfflugzeuge nach Katar geschickt, um dort Spitzenvertreter der Hamas auszuschalten. Für Katar, aber auch für die mit dem Land verbündeten USA, war das ein Affront – sah man sich doch als Vermittler in dem Konflikt.
Israels Luftangriff auf Katar hat Trump zum Umdenken gebracht
Besonders Trump muss sich übergangen gefühlt haben. Sein Ärger wurde vermutlich dadurch verstärkt, dass Israel die USA nicht oder nur vage und zu spät über den bevorstehenden Angriff in Katar informiert hatte. Der Präsident, bekannt für spontanes Handeln aus einer Laune heraus, entschloss sich in diesem Moment zu einem Strategiewechsel, wie die "Welt" berichtet.
Anders als bei vorangegangenen Vorstößen wollte Trump nicht mehr nur die israelischen Bedingungen für Frieden in Gaza erfüllen. So entstand ein 20-Punkte-Plan, der beispielsweise Amnestie für kooperationswillige Hamas-Mitglieder vorsah. Zudem sollten im Falle eines Deals auch palästinensische Häftlinge freigelassen werden.
Trump drohte Netanjahu: "Nimm es oder lass es bleiben"
Das wiederum war ein Affront für Israels Premierminister Benjamin Netanjahu. Seine Linie im Gaza-Krieg war es immer, die Hamas völlig auszuschalten. Doch Trump setzte dem Regierungschef die Pistole auf die Brust. Berichten zufolge soll er Netanjahu in einem „strengen und klaren“ Telefonat in Bezug auf den Friedensplan gesagt haben: "Nimm es oder lass es bleiben."
Trump drohte demnach damit, Israel die Unterstützung zu entziehen, sollte Netanjahu den 20-Punkte-Plan ablehnen. So kam es zum Einlenken – Anfang vergangener Woche akzeptierte Israel schließlich Trumps Fahrplan.
Arabische Staaten haben Druck auf Hamas ausgeübt
Das Problem: Trump brauchte auch Druckmittel, um die Hamas an den Verhandlungstisch zu zwingen. Seine Drohungen, die Hölle werde losbrechen, wenn die Hamas die verbliebenen Geiseln nicht freilasse, waren scheinbar ohne Wirkung verhallt. Nach den israelischen Angriffen auf Katar hatte sich das Blatt aber gewendet. Die arabischen Staaten waren wegen einer Eskalation auf ihre Kosten besorgt – und jetzt bereit, Druck auf die Hamas auszuüben.
So konnten am Montag – einen Tag vor dem zweiten Jahrestag des Hamas-Angriffs auf Israel – die Verhandlungen beginnen. In der ägyptischen Stadt Scharm el-Scheich fand sich zum einen die israelische Delegation unter Aufsicht von Ron Dermer ein. Er ist Minister für strategische Angelegenheiten – vor allem aber der engste Vertraute Netanjahus und ein Bekannter von Trump-Schwiegersohn Jared Kushner, der ebenfalls anreiste.
Auf der anderen Seite schickte die Hamas eine Delegation unter Führung von Chalil al-Haja, dem höchsten Anführer der Organisation im Ausland. Hinzu kamen Vermittler aus Ägypten, Katar und der Türkei.
Hamas musste von Glaubwürdigkeit Israels überzeugt werden
Sie sollten eine entscheidende Rolle spielen. Denn die Hamas, so berichtet es die "Times of Israel", soll Zweifel an der Stabilität eines Deals gehabt haben. Ihre Befürchtung: Sobald sie die Geiseln freigelassen hätten, würde Israel das Abkommen aufkündigen und den Krieg in Gaza fortsetzen, was auch die USA nicht unterbinden könnten.
Ein arabischer Diplomat sagte der "Times of Israel", dass letztendlich das türkische Engagement entscheidend gewesen sei, die Zweifel der Hamas auszuräumen. Aber auch Katar konnte sich als Vermittler profilieren, was für die Hamas positiv gewesen sei. Die Diplomaten des Emirats konnten nämlich über Druck der USA erreichen, dass Netanjahu sich für den Luftangriff auf Katar entschuldigte.
US-Sondergesandter Witkoff kam erst spät zu den Gesprächen dazu
In den Gesprächen konnten wichtige Punkte geklärt werden. Unter anderem erklärte Israel sich bereit, seine Truppen bis zu einer vereinbarten Linie im Gazastreifen zurückzuziehen. Die Hamas wiederum zeigte sich grundsätzlich damit einverstanden, die verbliebenen Geiseln freizulassen.
Als die Gespräche auf einem guten Weg waren, nahm dann auch Trumps Sondergesandter Steve Witkoff an ihnen teil. Inwiefern er schon vorher Einfluss auf die Verhandlungen hatte, ist unklar. Der "Telegraph" schreibt aber, Witkoff sei bekannt dafür, sich aus Gesprächen herauszuhalten, bis Anzeichen für Fortschritte erkennbar sind.
Solche Fortschritte sah man offenbar auch in Israel. Netanjahus Regierung begann parallel zu den noch laufenden Verhandlungen damit, einen formellen Friedensvorschlag für das Kabinett auszuarbeiten. In Israel wurde das als Zeichen einer bevorstehenden Einigung gewertet.
Einigung stand noch am Mittwoch auf der Kippe
Allerdings stand der Erfolg der Verhandlungen am Mittwoch noch einmal auf der Kippe. Wie der "Telegraph" berichtet, soll die Hamas gefordert haben, die Leichen des ehemaligen Anführers Yahya Sinwar und seines Bruders Mohammed zurückzugeben. Zudem soll es Differenzen darüber gegeben haben, wie genau die Entwaffnung der Hamas und der Zeitplan für den Rückzug Israels aussehen sollen.
In der Nacht auf Donnerstag – in den USA früher Abend – schien dann aber ein Durchbruch gelungen zu sein. Trump befand sich gerade in einer Diskussion über die Antifa, als Außenminister Marco Rubio ihm etwas zuflüsterte und einen Zettel zusteckte: "Du musst einen Truth Social Post freigeben, damit du den Deal zuerst bekannt geben kannst."
Rund zwei Stunden später war dann auf Trumps Profil zu lesen: "Ich bin sehr stolz, bekannt geben zu dürfen, dass Israel und die Hamas die erste Phase unseres Friedensplans unterzeichnet haben. Das bedeutet, dass ALLE Geiseln sehr bald freigelassen werden und Israel seine Truppen auf eine vereinbarte Linie zurückziehen wird, als erste Schritte hin zu einem starken, dauerhaften und ewigen Frieden."
Der Gaza-Deal hat noch Lücken
Ob die Einigung tatsächlich "ewigen Frieden" bringen wird, ist noch offen. Denn Berichten zufolge hat der Deal noch Lücken, die gefüllt werden müssen. So scheint derzeit unklar, wie der Gazastreifen künftig regiert werden soll. Laut "Haʾaretz" fehlt in dem Abkommen möglicherweise auch noch eine abschließende Liste der freizulassenden palästinensischen Gefangenen. Sollten hier wichtige Persönlichkeiten fehlen, könnte die Hamas Abstand vom Deal nehmen. Möglich ist auch, dass die extrem rechten Minister in Netanjahus Kabinett sich dem Deal widersetzen wollen.
Klarer dürfte die Lage am Wochenende werden. Laut "Haʾaretz" sollen die lebenden Geiseln voraussichtlich am Samstag oder Sonntag freigelassen werden. Dann könnte Trump nach Israel reisen, Netanjahu hat ihn eingeladen, dort im Parlament zu sprechen. Bis dahin wird es aber noch zahlreiche Gespräche geben, analysiert CNN: "Die kommenden Tage werden eine Flut von Diplomatie bringen."