Alarmstufe Rot bei Flugtaxi-Hersteller Lilium
Der Insolvenzantrag des Flugtaxi-Herstellers Lilium versetzt die Verantwortlichen aus Wirtschaft und Politik im Landkreis in Alarmstimmung.
Gauting - Der Landkreis Starnberg ist stolz auf die vielen innovativen Unternehmen, die sich am und rund um den Sonderflughafen Oberpfaffenhofen angesiedelt haben. Eines der innovativsten, die 2015 gegründete Hightech-Firma Lilium, steckt nun aber in ernsten Schwierigkeiten.
Nachdem der Haushaltsausschuss des Bundestages in der vergangenen Woche eine 50-Millionen-Euro-Bürgschaft abgelehnt hatte – an ein Ja des Bundes hatte der Freistaat seine ebenso hohe Bürgschaft geknüpft –, hat der Entwickler von Elektro-Flugtaxis am Donnerstag mitgeteilt, in den nächsten Tagen einen Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung beim Amtsgericht zu stellen. An der Börse brachen die Aktien daraufhin um mehr als 50 Prozent ein, am Freitag wurden sie nur noch für 20 Cent das Stück gehandelt.
Christoph Winkelkötter, Chef der landkreiseigenen Agentur für Wirtschaft und Tourismusförderung gwt, ist hochgradig beunruhigt: „Das ist ein bitterer Tag für den Luft- und Raumfahrtstandort Oberpfaffenhofen“, sagt er. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Unternehmen im Landkreis Starnberg bleibt, sei damit „auf keinen Fall größer geworden“.
Nach wie vor laufen im Hintergrund Bemühungen, die Bürgschaft des Bundes doch noch zu ermöglichen. Das Votum des Haushaltsausschusses (SPD und FDP waren dafür, die Grünen dagegen) hatte bereits Aufsehen erregt, doch die endgültige Entscheidung wird mit der Verabschiedung des Haushalts Mitte November getroffen. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Carmen Wegge ist nicht zuversichtlich, dass die Bürgschaft noch zustande kommt. „Nach aktuellem Stand ist mit einer Korrektur leider nicht zu rechnen, da es dafür nach wie vor keine Mehrheit in der aktuellen Koalition gibt.“
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Wegge bedauert die Nachricht von der Insolvenz. „Für uns als SPD ist der Erhalt von Arbeitsplätzen in der Region ein wichtiges Ziel“, teilt sie mit. „Deshalb hätten wir als SPD dieser klimaneutralen Zukunftstechnologie gern staatlich unter die Arme gegriffen.“ Der CSU-Bundestagsabgeordnete Michael Kießling spricht von einem „Verlust für den Technologiestandort Bayern und auch Deutschland, denn die Zukunft unserer Luft- und Raumfahrtbranche hängt maßgeblich von der Innovationskraft solcher Unternehmen ab“. Er hofft, dass das unschätzbare Fachwissen und Fachpersonal dem Standort erhalten bleibt.
Noch deutlicher wird Britta Hundesrügge, zusammen mit Paul Friedrich Kreisvorsitzende der FDP. Sie hat in ihrer Bundestagsfraktion, wo es ebenfalls Zweifler gab, viel Überzeugungsarbeit pro Lilium geleistet. Sie sagt: „Das ist ein Desaster für den Standort und für ganz Deutschland. Es kann doch nicht sein, dass wir ein Unternehmen abschmieren lassen, kurz bevor es Erfolg hat.“ Ihre große Sorge ist, dass Lilium ins Ausland abwandert. Andere Staaten seien mit ihren Finanzhilfen deutlich großzügiger. „Dann sind die Patente weg, die Lilium inzwischen erworben hat.“ Hundesrügges Zorn richtet sich insbesondere gegen die Grünen, an deren Nein die Bundesbürgschaft gescheitert ist.
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Deren Bundestagskandidatin, Verena Machnik aus Berg, will das nicht so stehen lassen: „Es tut mir leid für das Unternehmen, aber ich vertraue unseren Bundestagsabgeordneten.“ Diese waren zu dem Schluss gekommen, dass Steuergelder nicht als Risikokapital in Privatunternehmen gesteckt werden sollten.
In der Tat scheiden sich an Lilium die Geister. Das Unternehmen mit rund 1000 Mitarbeitern unter der Leitung des früheren Airbus-Managers Klaus Roewe hat in den vergangenen Jahren ein elektrisch betriebenes Kleinflugzeug entwickelt. Die Entwicklung hat extrem viel Geld verschlungen, Kunden und Investoren haben in das an der US-Börse Nasdaq gelistete Unternehmen bereits 1,5 Milliarden Euro investiert. Der Aufbau der Produktion kostet weiteres Geld. Der bemannte Erstflug des vollelektrischen, senkrecht startenden und landenden Flugtaxis wurde auf Anfang 2025 verschoben, die ersten Maschinen sollten ursprünglich 2026 an Kunden ausgeliefert werden. Laut Unternehmen gibt es Voranfragen für 780 Lilium-Jets aus den USA, Südamerika, Europa, Asien und dem Nahen Osten.
Das Unternehmen gibt sich trotz der jüngsten Entwicklung optimistisch. „Wir bedauern die Insolvenz und ihre Folgen für alle Beteiligten in einer so entscheidenden Phase unserer Unternehmensentwicklung zutiefst“, teilt Chef Klaus Röwe auf der Homepage mit. „Obwohl es in einem Insolvenzverfahren keine Erfolgsgarantie gibt, hoffen wir, dass Lilium Jet nach Abschluss des Eigenverwaltungsverfahrens eine Chance für einen Neuanfang bekommt.“
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Die Insolvenz in Eigenregie, bei der das Management unter Aufsicht eines Treuhänders die Kontrolle behält, werde häufig genutzt, um Investitionen neuer Parteien oder einen Prozess zum Verkauf des gesamten Unternehmens anzustoßen. „Wir sind davon überzeugt, dass das Elektrofliegen unsere beste Hoffnung für die Dekarbonisierung der Luftfahrt ist“, erklärt Röwe.
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Eine Besonderheit an Lilium: Es liegt als eines der ganz wenigen Unternehmen am Sonderflughafen nicht auf Weßlinger und Gilchinger, sondern auf Gautinger Flur. Für die Gemeinde hat der Vorgang keine unmittelbaren Auswirkungen, da die Firma als Start-up noch keine Gewerbesteuer gezahlt hat und dies in naher Zukunft auch nicht zu erwarten war. „Wir bedauern dennoch sehr, dass ein zukunftsträchtiges Start-up am Standort Deutschland keinen Erfolg hatte und hoffen, dass dies die Innovationslust hiesiger Unternehmen nicht weiter ausbremsen wird“, erklärt Bürgermeisterin Dr. Brigitte Kössinger.
Die Mitarbeiter – darunter rund 500 Luft- und Raumfahrtingenieure – wurden am Donnerstag informiert. Eine weitere Mitarbeiterversammlung ist für kommende Woche geplant. Einen Betriebsrat gibt es bei Lilium nicht.
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