Pflegefamilien gesucht: „Wichtig sind Liebe, Stabilität und Sicherheit“

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Sichere Häfen gesucht: Evelyn Vogl, Teamleiterin sozialpädagogische Fachdienste am Jugendamt des Landratsamts, beschreibt, welche zentrale Bedeutung gute Pflegefamilien in der Jugendhilfe haben. © Christian Scholle

Im Landkreis Miesbach werden dringend Pflegefamilien gesucht. Evelyn Vogl vom Jugendamt spricht über die Schwierigkeit, Pflegefamilien für gefährdete Kinder zu finden.

Landkreis – Der Bereich Jugendhilfe im Miesbacher Landratsamt sucht händeringend Pflegefamilien, die Kindern und Jugendlichen ein liebevolles und stabiles Zuhause bieten können. Mit welchen familiären Situationen das Jugendamt bei seiner täglichen Arbeit konfrontiert wird, wie das Prinzip Pflegefamilie funktioniert und warum Pflegefamilien – egal ob als dauerhafte oder nur kurzfristige Betreuung im Übergang – eine so große Bedeutung haben, erklärt Evelyn Vogl, Teamleiterin sozialpädagogische Fachdienste am Jugendamt des Landratsamts, im Interview.

Frau Vogl, das Landratsamt sucht dringend Pflegefamilien. Wozu?

Wir suchen vor allem Bereitschaftsfamilien, die kurzfristig reagieren und ein Kind oder einen Jugendlichen aufnehmen können. Für das Jugendamt ist es dabei wichtig, eine Auswahl an Personen und Familien zu haben, weil nicht jedes Kind in jede Familie passt. Da geht es um Themen wie die Betreuungssituation in der Familie und den Schulort. Denn das unterzubringende Kind sollte ja möglichst in seiner Klasse bleiben.

Eine Unterbringung ist sicher eine große Herausforderung, wenn man eigene Kinder hat.

Auf jeden Fall. Deshalb sollten Eltern die Aufnahme auch mit den eigenen Kindern besprechen und dabei Sorgen und Ängste thematisieren. Das kann auch herausfordern und ängstigen. Andererseits ist es spannend, und man baut neue Beziehungen auf.

Eine solche Aufgabe ist eine große Verantwortung und Herausforderung. Warum gehen dennoch Menschen diesen Weg und nehmen ein fremdes Kind auf?

Da gibt es mehrere Gründe. Einige Familien sagen: Uns geht es gut, aber anderen geht es nicht gut. Diese Kinder brauchen einen Platz, und wir haben Platz. In der Vollzeitpflege, bei der ein Kind nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft untergebracht wird, haben wir immer wieder Paare ohne Kinder, die sich informieren, um ein Zuhause geben zu können.

Nun der Blick auf die Gegenseite: Warum brauchen Kinder neue Eltern?

Die Gründe dazu sind sehr vielfältig. Oft haben diese Kinder Eltern, zu denen sie eine emotionale Bindung haben, aber aufgrund verschiedener Umstände nicht bei ihnen leben können oder dürfen. Oder es gibt eine seelische oder körperliche Vernachlässigung, fehlende Erziehungsfähigkeit oder materielle Defizite – das sind nur einige Beispiele. Deshalb werden eben Pflegefamilien für ganz unterschiedliche Bedürfnisse gesucht.

Welche Voraussetzungen muss ein Paar haben, um als Pflegefamilie infrage zu kommen?

Es spielt keine Rolle, ob die Pflegeeltern verheiratet sind, in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung leben oder alleinstehend sind. Entscheidend ist, dass sie Liebe, Stabilität und ein sicheres Zuhause bieten können.

Pflegefamilien wurden immer gebraucht. Wieso ist es heute so schwierig, neue Pflegefamilien zu finden?

Ich denke, dass sich in der Gesellschaft etwas verändert. Die Familien haben nicht mehr so viel Zeit wie früher, aber eine solche Aufgabe braucht Zeit. Zudem steigt auch der Bedarf, die Gefährdungsmeldungen nehmen zu. Außerdem dauert die Klärungsphase, wie es mit einem Kind weitergeht, tendenziell länger. Für viele Pflegefamilien ist auch die Vorstellung schwierig, sich von einem Kind wieder verabschieden zu müssen, wenn es wieder zu seinen leiblichen Eltern zurückgeht. Wir begleiten hier auch die Pflegeeltern, um mit dem Abschied gut umzugehen. Und man muss natürlich die Chance sehen, dem Kind etwas Positives für sein weiteres Leben mitzugeben. Auf der anderen Seite unterstützt das Jugendamt ja auch die leiblichen Eltern, damit sie etwas verändern und wieder gute Bedingungen für ihre Kinder schaffen können.

Stichwort Gefährdungsmeldungen: Wann liegt eine Gefährdung vor?

Bei Vernachlässigung und/oder Misshandlung sowie bei Fällen von Missbrauch. Die Gründe dafür können vielfältig sein: Sucht, eine psychische Erkrankung bei den Eltern. Das kann teils sehr akut und heftig sein.

Wie werden neue Pflegeeltern auf ihre Aufgabe vorbereitet?

Es gibt ein verpflichtendes Vorbereitungsseminar, Gespräche und Hausbesuche, bei denen die Ressourcen geklärt werden. Was ist machbar? Wo liegen die Grenzen in der Familie? Was traut man sich zu? Das ist alles sehr individuell. Bei einer Bereitschaftspflege ist das wegen der begrenzten Dauer erst einmal leichter als bei einer Vollzeitpflege über mehrere Jahre. Und wir sind natürlich immer da, um zu helfen.

Wie viele Pflegefamilien haben Sie aktuell im Einsatz?

In der Bereitschaftspflege sind es 13 Familien, in der Vollzeitpflege haben 35 Familien ein oder zwei Pflegekinder übernommen.

Und wie viele Fälle erwarten Sie noch in diesem Jahr?

Das ist total offen, ebenso wie Alter, Geschlecht und Geschwistersituation. Deshalb brauchen wir einen Pool an Pflegefamilien, um zu sehen, was am besten passt. Die Dauer bei der Bereitschaftspflege schwankt zudem sehr stark. Das können ein paar Wochen sein, aber auch bis zu einem Jahr.

Wahrscheinlich sind kleine Kinder leichter zu vermitteln als Jugendliche, oder?

Ja, jüngere Kinder werden lieber aufgenommen. Bei Jugendlichen ist es schwieriger, eine Familie zu finden, die sich bereit erklärt, ihn oder sie aufzunehmen. Die Alternative wäre bei diesen dann eine Wohngruppe.

Wenn sich das Jugendamt eine Idealfamilie malen könnte: Wie sähe diese aus?

Für die Kinder geht es um Struktursicherheit, Stabilität und Liebe. Und dass sie einen ganz normalen, geregelten Alltag haben. Mit Erwachsenen, die berechenbar sind und auch wertschätzend. Regeln und Grenzen gehören aber auch dazu.

Das Gespräch führte Dieter Dorby.

Interessierte können sich beim Allgemeinen Sozialdienst melden unter Tel. 0 80 25 / 7 04 42 36, per E-Mail an asd@lra-mb.bayern.de oder beim Pflegekinderdienst, Tel. 0 80 25 / 704 42 21, Mail pkd@lra-mb.bayern.de, melden.

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