Experte ordnet ein, was der Asyl-Hammer jetzt für Deutschland bedeutet

Das Urteil des EuGH zu sicheren Herkunftsstaaten war das Aufregerthema am Freitag. Wird es jetzt noch schwieriger, abgelehnte Asylbewerber abzuschieben? Oder spielen für eine wirkliche Lösung des Migrationsproblems noch andere Fragen eine Rolle?

EU-Gericht erhöht die Hürden, um Herkunftsländer als "sicher" einzustufen

Wenn ein Land als „sicherer Herkunftsstaat“ eingestuft ist, lassen sich Asylverfahren einfacher und schneller umsetzen. Daher sieht auch das italienische „Albanien-Modell“ vor, nur männliche Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten in das Balkanland zu bringen, um über ihren Antrag in einem Schnellverfahren zu entscheiden und sie möglichst direkt von dort abzuschieben. 

Deshalb ist Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bestrebt, möglichst viele Länder in diese Kategorie einzuordnen, denn die Entscheidung darüber trifft jedes Land der EU selbst.

Der Europäische Gerichtshof hat nun am vergangenen Freitag entschieden, dass alle Informationsquellen, die zu dieser Einstufung führen, offengelegt werden müssen, damit Betroffene dagegen klagen und nationale Gerichte diese Klage überprüfen können. Zudem darf ein Land nur dann als sicheres Herkunftsland eingestuft werden, wenn es für alle Bevölkerungsgruppen sicher ist, beispielsweise auch für Homosexuelle. 

Die Auswirkungen auf Deutschland sind erstmal gering

Damit wird es schwieriger, ein Land als sicheres Herkunftsland zu definieren. „Im Kern besagt das EuGH-Urteil, dass die Entscheidung darüber, ob ein Herkunftsland als sicher einzustufen ist oder nicht, den Richtern und nicht der Regierung obliegt.“, zitiert das Handelsblatt Daniele Gallo, Professor für EU Recht an der Römischen LUISS Universität. Damit habe es dem Albanien-Modell allerdings keine komplette Absage erteilt.

Auch sonst dürften die Auswirkungen eher gering sein. Der größte Teil der Asylbewerber in Deutschland kommt aus nur drei Ländern – Afghanistan, Syrien und der Türkei. Die zehn Länder, die bereits als sichere Herkunftsstaaten definiert sind, beispielsweise Bosnien oder Moldau, spielen nur eine untergeordnete Rolle und auch aus Ländern, über die diskutiert wird, insbesondere Algerien, Marokko und Tunesien kommen nicht allzu viele Flüchtlinge nach Deutschland.

Außerdem ist das Urteil nur bis zum 12. Juni 2026 verbindlich, denn dann tritt das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) in Kraft, das ohnehin neue Regeln definiert.

Auch das „Albanien-Modell“ löst Europas Migrationsproblem nicht

Sehr viel relevanter für die Zukunft des europäischen Asylsystems dürfte die grundsätzliche Frage sein, wie wir das Migrationsproblem lösen können, denn das Konzept der sicheren Drittstaaten ist nur einer von vielen Bausteinen, der zwar einige Asylverfahren vereinfacht, an der Massenzuwanderung aber wenig ändert.

Auch Italiens „Albanien-Modell“ betrifft nur einen Teil der Migranten und könnte das Problem daher nicht vollständig lösen.

Heiko Rehmann ist freier Journalist und Lehrer in Stuttgart, spezialisiert auf Philosophie und Demografie. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.

Drittstaaten-Modelle bleiben aussichtsreichste Lösung

Am aussichtsreichsten erscheinen derzeit vielen Politikern Drittstaaten-Modelle wie das britische „Ruanda-Modell“. Da in diesem Fall reguläre Asylverfahren in einen Drittstaat verlagert werden sollen und keine Schnellverfahren, sind sie vom Urteil des EuGH nicht betroffen und könnten helfen, die europäische Selbstfesselung in der Migrationspolitik zu lösen.

Diese ist durch eine immer strengere Auslegung des Artikels 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) entstanden, welcher Folter und unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe verbietet. Daher darf niemand in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm Folter oder unmenschliche Behandlung drohen. 

Derselbe Gedanke steht auch hinter dem Non-Refoulement Prinzip der Genfer Flüchtlingskonvention. Sobald ein Flüchtling europäischen Boden betreten hat, darf er nur dann zurückgewiesen oder abgeschoben werden, wenn sichergestellt ist, dass ihm dadurch kein Schaden droht. Daher sind Pushbacks an den Außengrenzen illegal und auch Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber so aufwendig, dass sie meist unterbleiben. 

Migrationsforscher spricht von „Asyl-Lotterie“ in Europa

Um den Zustrom irgendwie zu begrenzen, versucht Europa daher, durch vorgelagerte Hürden den Zugang zu seinem Territorium zu erschweren, wodurch eine blühende Schlepper-Industrie entstanden ist. Daher spricht der Migrationsforscher Ruud Koopmans von Europas „Asyl-Lotterie“, die den Stärksten und Zahlungskräftigsten den Zutritt ins Sozialstaatsparadies ermögliche, während die wirklich Hilfsbedürftigen auf der Strecke blieben. 

Ein System, das human sein wolle und dabei den Schleppern Milliardengewinne beschere, das mehr Menschenleben auf dem Gewissen habe, als der syrische Bürgerkrieg.

Weder die Europäische Menschenrechtskonvention noch die Genfer Flüchtlingskonvention schreiben vor, wo ein Flüchtling untergebracht werden muss. Es wäre also völlig rechtskonform, Asylverfahren in Drittstaaten auszulagern und die Flüchtlinge auch nach einem positiven Bescheid dort zu belassen.

Das britische Ruanda-Modell ist lediglich daran gescheitert, dass der oberste Gerichtshof in London Zweifel daran hatte, dass Ruanda die Migranten zuverlässig vor Misshandlung schützen und ihnen ein faires Asylverfahren garantieren könnte. Hätte die Regierung dies sicherstellen können, wäre das Modell grundsätzlich möglich gewesen.

Grundsätzliche Debatte über das Asylrecht ist notwendig

Die Hoffnung vieler Migrationsforscher und Politiker mit dieser Idee den Zustrom substantiell zu bremsen, dürften trotzdem trügerisch sein, da sich bislang keine aufnahmebereiten Länder gefunden haben, die diese Bedingungen garantieren könnten.

Alle bisherigen Lösungsvorschläge laufen lediglich darauf hinaus, das Problem zu verlagern, indem man es anderen Ländern zuschiebt. Solange jeder (angeblich) verfolgte Mensch dieser Erde ein individuell einklagbares Recht auf ein Asylverfahren hat, ist die Sogwirkung des europäischen Sozialstaatsparadieses jedoch viel zu groß, als dass es Dämme gäbe, die die Flutauf Dauer bremsen könnten.

Um eine echte Lösung zu finden, wird die Politik eine Debatte darüber führen müssen, ob das individuelle Asylrecht noch zeitgemäß ist, wie sie Hans-Eckard Sommer vergangenes Jahr angestoßen hat. Die vollständige Abschaffung des Asylrechts, die der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vorgeschlagen hat, dürfte allerdings schwierig zu vermitteln sein. 

Asylkompromiss von 1993 könnte zur Lösung werden

Eher denkbar wäre es, das Asylrecht regional zu beschränken. Der deutsche Asylkompromiss von 1993 könnte der gesamten Europäischen Union die Richtung weisen. Vorstellbar wäre es beispielsweise, das Asylrecht auf Flüchtlinge aus Europa zu beschränken und damit zum Ursprungsgedanken der Genfer Flüchtlingskonvention zurückzukehren. 

Ukrainer oder Weißrussen hätten dann beispielsweise einen Anspruch auf Schutz in der Europäischen Union, Menschen aus außereuropäischen Staaten dagegen nur im Zuge von freiwilligen Kontingenten. Der Klageweg wäre somit ausgeschlossen, was die Gerichte um hunderttausende Verfahren und den Steuerzahler um Milliardenbeträge entlasten würden. 

Es bestünde dann zwar immer noch das Problem, dass es rechtlich und praktisch schwierig wäre, Zuwanderer in einen Drittstaat zu überstellen, sobald sie europäischen Boden betreten haben.Sobald sich aber herumspräche, dass damit ein legaler Aufenthaltstitel und der Zugang zu Sozialleistungen ausgeschlossen wäre, wäre die gefährliche Überfahrt nicht mehr attraktiv und der Zustrom würde bald versiegen.