Das Ende des Compact-Verbots ist ein Sieg der Demokratie - auch wenn er wehtut
Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden: Das rechtsextreme Magazin Compact darf wieder erscheinen. Für viele ist das ein Schock. Für andere ein Freispruch. Für die Demokratie ist es ein Stresstest – den sie bestanden hat.
Denn so paradox es klingt: Wer eine wehrhafte, offene Gesellschaft will, muss genau das aushalten können. Auch Meinungen, die ihn bis ins Mark provozieren.
Was auf den ersten Blick wie eine Niederlage wirkt, ist in Wahrheit ein Akt der Selbstbeherrschung. Und ein starkes Zeichen: Die Demokratie ist nicht gefährdet, weil sie kritische Stimmen zulässt. Sie wird gefährdet, wenn sie reflexhaft verbietet.
Hier sind vier Gründe, warum wir gerade jetzt Vertrauen in unsere demokratische Ordnung haben dürfen – auch wenn es manchmal schwerfällt.
1. Meinungsfreiheit ist kein Wellnessangebot – sie ist ein Stresstest
In Zeiten erhitzter Debatten wünscht man sich klare Linien: Gut gegen Böse, Vernunft gegen Verschwörung, Fakten gegen Hetze. Doch so einfach ist es nicht. Meinungsfreiheit lebt davon, dass auch Unsinn gesagt werden darf – solange er nicht in strafbare Handlungen mündet.
Psychologisch ist das eine Zumutung. Unser Gehirn sucht nach Bestätigung, nicht nach Widerspruch. Wer täglich mit Aussagen konfrontiert wird, die gegen Grundwerte, Anstand oder Wissenschaft verstoßen, empfindet Frust – oder Wut.
Über Christoph Maria Michalski
Christoph Maria Michalski ist „Der Konfliktnavigator“ – renommierter Streitexperte, Autor des neuen Buches „Streiten mit System – Wie du lernst, Konflikte zu lieben“ und gefragter Redner. Seine praxiserprobten Methoden helfen Führungskräften und Teams, auch knifflige Situationen souverän zu meistern. Mit einem ungewöhnlichen Dreiklang aus Musikpädagoge, Erwachsenenbildner und IT-Profi bringt er Verstand, Gefühl und System in Einklang. Sein Versprechen: weniger Stress, mehr Erfolg, mehr Leichtigkeit. Privat ist er Zauberer, Marathonläufer und Motorradfan – ein lebendiger Beweis dafür, dass Energie und Kreativität keine Gegensätze sind.
Aber genau hier zeigt sich die Reife einer Gesellschaft: Demokratie schützt nicht das Angenehme, sondern das Prinzip – auch wenn es schmerzt.
Ein Verbot auf Verdacht, aus moralischer Entrüstung oder zur politischen Beruhigung wäre kein Sieg der Aufklärung gewesen. Sondern ein Bumerang. Denn das würde nur die Erzählung vom „unterdrückten Widerstand“ befeuern – genau das, was radikale Strömungen brauchen.
2. Rechtssicherheit ist kein Wunschkonzert – sondern das Fundament der Freiheit
Das Bundesverwaltungsgericht begründet sein Urteil nüchtern: Die Beweise des Verfassungsschutzes reichten nicht aus, um ein vollständiges Vertriebsverbot zu rechtfertigen. Das mag enttäuschen – aber es ist korrekt. Und es zeigt: In Deutschland urteilen keine Gesinnungswächter, sondern unabhängige Richter.
Soziologisch spricht man hier von Systemvertrauen: das Vertrauen der Bürger, dass Verfahren auch dann funktionieren, wenn die Ergebnisse unbequem sind. Nicht jeder Richterspruch muss gefallen. Aber er muss nachvollziehbar, überprüfbar, rechtsstaatlich sein.
Verbote, die politisch motiviert oder juristisch wackelig sind, erzeugen Misstrauen – nicht nur bei den Betroffenen, sondern in der ganzen Gesellschaft. Gerade deshalb war das Urteil wichtig. Es sagt: Der Staat darf sehr wohl wehrhaft sein – aber nicht willkürlich.
3. Demokratische Resilienz zeigt sich im Umgang mit Zumutungen
Dass Compact oft Grenzen überschreitet – rhetorisch, inhaltlich, moralisch – steht außer Frage. Aber: Ein Gerichtsurteil ist kein Kultururteil. Und eine Demokratie darf sich nicht von jeder Provokation ins Boxhorn jagen lassen.
Wer glaubt, man könne gesellschaftlichen Zusammenhalt durch das Verbieten extremer Medien retten, unterschätzt die psychologische Dynamik der Reaktanz. Menschen halten besonders dann an Meinungen fest, wenn sie das Gefühl haben, sie seien „verboten“. Ein Verbot hätte Compact nicht geschwächt – es hätte es aufgeladen.
Resilienz bedeutet nicht, alles gutzuheißen. Es bedeutet, nicht die Kontrolle zu verlieren, wenn es knirscht. Genau das ist geschehen: Die Justiz hat sorgfältig geprüft – und entschieden. Kein Skandal. Kein Kniefall. Sondern Rechtsstaatlichkeit in ihrer erwachsenen Form.
4. Haltung zeigt sich nicht im Verbot – sondern im Umgang mit dem Erlaubten
Was bleibt, ist die Frage: Wie gehen wir mit Inhalten um, die uns missfallen, aber nicht verboten sind? Die Antwort: mit Gelassenheit, Gegenrede und Aufklärung. Nicht jedes Heft am Kiosk ist ein Angriff auf die Republik. Aber jedes Wegsehen wäre einer.
Die offene Gesellschaft lebt von der Auseinandersetzung. Ihre Stärke liegt darin, nicht reflexhaft zu verbieten, sondern klug zu reagieren. Wer glaubt, das Urteil sei eine Kapitulation, hat den Auftrag einer Demokratie missverstanden. Demokratie ist keine Schönwetterveranstaltung. Sie zeigt sich im Gegenwind – nicht im Applaus.
Dass ein Magazin wie Compact erscheinen darf, heißt nicht, dass man es lesen, mögen oder ernst nehmen muss. Es heißt nur: Wir trauen unseren Bürgern zu, selbst zu unterscheiden. Das ist riskant – aber alternativlos. Denn alles andere wäre der erste Schritt in Richtung Bevormundung.
Die Demokratie hat nicht verloren – sie hat Haltung gezeigt
Das Urteil zum Compact-Verbot ist kein Triumph für rechte Medien. Es ist ein Beweis für die Standhaftigkeit des demokratischen Systems. Kein Rückzieher – sondern ein Reifetest, den der Rechtsstaat bestanden hat.
Wir dürfen uns über radikale Inhalte ärgern. Wir dürfen sie kritisieren, öffentlich benennen, inhaltlich entkräften. Aber wir sollten nicht den Fehler machen, ihnen durch undurchdachte Verbote eine Opferrolle zu schenken, die sie sonst nie bekommen hätten.
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"Streiten mit System: Wie du lernst, Konflikte zu lieben" von Christoph Maria Michalski
Dieser Beitrag stammt aus dem EXPERTS Circle – einem Netzwerk ausgewählter Fachleute mit fundiertem Wissen und langjähriger Erfahrung. Die Inhalte basieren auf individuellen Einschätzungen und orientieren sich am aktuellen Stand von Wissenschaft und Praxis.