Reste einer Elite-Einrichtung
Eine Schule der Partei ohne Kontrolle des Kultusministeriums und ohne Noten: Die Reichsschule Feldafing war im NS-Deutschland einzigartig. Die NSDAP hatte große Pläne für Feldafing, die glücklicherweise größtenteils nichts wurden.
Feldafing - Die Feldafinger Reichsschule der NSDAP, die von 1934 bis Kriegsende Buben und Jugendliche zu überzeugten Anhängern des Nazi-Regimes und künftigen Führungskräften erziehen sollte, prägte den Ort während der NS-Zeit. Von den ambitionierten Bauplänen sind nurmehr die acht Sturmblockhäuser auf dem Kasernengelände und eine Stützmauer an der Seeseite des Golfplatzes übrig, dort war die große überdachte Sportarena geplant. Wären alle Pläne in die Tat umgesetzt worden, sähe Feldafing heute ganz anders aus. Das beschreiben die Autoren des soeben erschienenen Buchs „Traum und Albtraum. Feldafing im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit“, Prof. Marita Krauss und Erich Kasberger, in der ersten historischen Aufarbeitung der Geschichte der Reichsschule in Feldafing.
Partei war der größte Grundeigentümer
Start der Schule war am 1. April 1934 mit 200 Schülern in sechs Klassen und mit zwölf Erziehern. Später sollten es bis zu 500 Schüler werden, die mit ihren Erziehern in kleinen Einheiten an diesem wunderschönen Ort lebten und lernten. Zunächst in den von der Partei angekauften Villen, später auch in eigens errichteten Gebäuden, den Sturmblockhäusern auf dem heutigen Kasernengelände. Die Schule – und damit die NSDAP – wurde zum größten Grundeigentümer im Dorf.
Der Stabschef der Sturmabteilung SA, Ernst Röhm, hatte Feldafing wegen seiner attraktiven Lage ausgewählt, um die Privilegierung der Schüler zu unterstreichen. Das wirkte: „Die Schüler kamen aus ganz Deutschland, anfangs lagen 6000 Bewerbungen vor“, berichtete Krauss bei einem Vortrag zum Buch kürzlich im Münchner Werkraum-Theater. Das Angebot für die Schüler war extrem anziehend: vom Segeln über Tennis, Reiten, Golf spielen und Hockey bis zum Segelfliegen, und das alles in einer überaus attraktiven Lage. Die Schule besaß auch vier Motorräder, schreiben Krauss und Kasberger, was die technikbegeisterte Jugend großartig fand.
Die Reichsschule, zunächst hieß sie „N.S.D.-Oberschule Feldafing“, später „Reichsschule der NSDAP“, verfolgte ein eigenes Schulmodell, ohne Lehrpläne und ohne Noten. Durchfallen konnte keiner, Noten gab es nicht. Wer als nicht geeignet erschien, wurde heimgeschickt.
Regelmäßiges Wiegen und Messen
Der Körperkult war der Schule wichtig, und Krauss und Kasberger haben dazu bemerkenswerte Fotos aus Nachlässen ehemaliger Reichsschüler und Reichsschullehrer aufgetan. Auf einem ist zum Beispiel der Lehrkörper zu sehen, und der war sehr fit: Mit herausgereckter Brust und eingezogenem Bauch stehen die Lehrer mit nacktem Oberkörper in kurzen Hosen in Reih und Glied. Ebenso wie die „Jungmannen“, wie die Schüler genannt wurden, die regelmäßig gemessen, gewogen und begutachtet wurden. Kein Ministerium kontrollierte die Schule, sie unterstand allein der Partei.
„Der ,Erzieher‘ hatte Vorbildcharakter und war eine Schaltstelle für weltanschaulichen Transfer“, heißt es im Buch. „Die weltanschauliche Prägung der Schüler war selbstverständlicher Teil des Schulalltags und wurde von ihnen zumeist gar nicht mehr wahrgenommen: Sie erlebten sie über Drill und Wehrsport, Uniformierung und Gleichschritt, Befehl und Gehorsam. Über Literatur und Film wurde der Nationalsozialismus ebenso aufgenommen wie über ,Belehrungsfahrten‘.“ Elemente der Körperkulturbewegung vermengten sich mit dem Konzept des Wehrsports zur militärischen Ausbildung, so Kasberger.
Elternhaus wurde ausgeblendet
Die Beziehung zwischen Erzieher und „Jungmann“ ersetzte das Elternhaus. „Die Formung des Charakters im Sinne des Nationalsozialismus meinte Disziplin, Treue, Kameradschaft“, sagte der Historiker. „Über diese emotionalen Bindungen konnten nationalsozialistische Wertvorstellungen ohne jeden Druck vermittelt werden.“
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Die Feldafinger Bevölkerung konnte übrigens bei den öffentlichen Schulveranstaltungen, Filmvorführungen oder Konzerten dabei sein, wie sie etwa die Tutzinger Pianistin Elly Ney in der Schulturnhalle gab. Es bestanden vielfältige Beziehungen: Die Schule war für die Feldafinger der wichtigste Arbeitgeber, die Schüler wiederum halfen im Rahmen des Reichsarbeitsdienstes bei der Ernte, im Garten oder beim Straßenbau.
Uniform von Loden Frey und Lederhose
„In anderen Dörfern eroberte der Nationalsozialismus mit Hakenkreuz und Fahne Straße und Kirchturm, in Feldafing war es die Reichsschule, die mit eigenen Reisebussen, Segeljollen und Golfspiel den elitären Parteianspruch vorführte“, sagte Krauss im Werkraumtheater. „Den Schulterschluss mit der Gemeinde suchte sie an nationalsozialistischen Gedenk- und Feiertagen.“ Den rund 350 Schülern der Reichsschule, die in der von Loden Frey entworfenen Uniform oder in der Lederhose unterwegs waren, standen etwa 800 ansässige Feldafinger gegenüber.
Bevor die Sturmblockhäuser ab 1937 gebaut wurden, spielten sich Schul- und Internatsbetrieb in den von der Partei gemieteten oder gekauften Villen mitten im Ort ab. Das sogenannte Kurhaus und spätere „Adolf-Hitler-Haus“ in der Bahnhofstraße 13 – heute steht dort ein Mehrfamilienhaus – war das Hauptgebäude der Schule mit Mensa und Schlafräumen für Schüler. Anfangs nutzte die Schule den Saal des Gasthauses Poelt an der Bahnhofstraße als Turnsaal. Im Park der Villa Maffei wurde eine Baracke für Chemie und Biologie errichtet, vor der Villa Biersack eine weitere für Physik und Kunst. Die Schule mietete auch die Villa Maria und errichtete im Park eine moderne Mehrzweckturnhalle.
Gebäude mit 200 Meter Seitenlänge
Der Architekt der Reichsschule war Alois Degano, der auch für die Junkerschule in Bad Tölz verantwortlich war. „Er plante ein gigantisches, landschaftsveränderndes Schulgelände“, so Krauss in ihrem Vortrag. Geplant waren zwölf Sturmblockhäuser, acht wurden realisiert. Schon deren Bau sei eine schwere Belastung für die Feldafinger gewesen, wie Krauss und Kasberger schreiben. Wobei auch örtliche Handwerker in den Bau eingebunden waren. Die anderen Gebäude blieben im Planungsstadium hängen, hätten aber Feldafings Erscheinung massiv verändert. „Im eigentlichen Schulgebäude, 200 Meter im Quadrat, sollte es Lehrsäle, Werkstätten, Luftschutzräume geben, einen Festsaal mit 500 Plätzen, Schwimmhalle, Turnhalle“, zählte Krauss bei ihrem Vortrag auf. „Ein wehrartiger Turm mit Sternwarte dominierte die Frontansicht und erinnerte mit seinem groben Natursteinmauerwerk an eine mittelalterliche Burg.“ Geplant waren in Seenähe zudem ein Naturtheater, ein Turnierplatz, 28 Tennisplätze und ein eigener Bootshafen.
Dort, wo heute das Benedictus-Krankenhaus Feldafing auf dem ehemaligen Bundeswehrgelände steht, waren das Sport- und Wirtschaftsgebäude der Schule geplant sowie ein Stück weiter nordwestlich das U-förmige Schulgebäude mit dem hohen Turm. Daran anschließend, um das Geviert zu schließen, waren weitere Bauten für Biologie und Naturwissenschaften angedacht. Ein großer Sportplatz zwischen Sport- und Wirtschaftsgebäude und der Staatsstraße war ebenso vorgesehen wie jenseits der Staatsstraße die Tennisplätze, weitere Sportplätze, das Naturtheater und auch ein Turnierplatz.
Morgen Vortrag über die „Feldafinger“
Krauss und Kasberger untersuchen in ihrem Buch auch die Verbindungen zwischen der Reichsschule und den Feldafingern. Sie beschreiben den Schulalltag zwischen Naturwissenschaften und paramilitärischer Erziehung und überlegen, wie die Feldafinger Zeit die Schüler geprägt hat. „Es ist vor dem Hintergrund des hoch privilegierten Lebens der Schüler nicht verwunderlich, dass viele im Rückblick die Zeit in der N.S.D.-Oberschule und später in der Reichsschule als die schönste ihres Lebens bezeichneten“, heißt es im Buch. „Feldafing, das heißt die Reichsschule Feldafing, galt ihnen als ,zweite Heimat‘.“
Die Reichsschüler bezeichneten sich untereinander als „Feldafinger“. Krauss und Kasberger sind bei ihren Recherchen auf zwei weitere Gruppen gestoßen, die sich so nannten: die Bürger Feldafings und die Bewohner des Displaced-Persons-Camps, das ab Ende April 1945 auf dem ehemaligen Reichsschulgelände entstand. Um diese drei Gruppen und weitere Details aus dem Buch geht es bei einem Vortrag am Mittwoch, 11. Dezember, im Feldafinger Rathaus. Beginn ist um 18 Uhr, der Eintritt ist frei. Das Buch ist im Volk-Verlag erschienen und kostet 39,90 Euro.