Klimakrise im Konzertsaal: Harald Lesch und Weltklasse-Musiker begeistern Polling
So eindrücklich hat man die wohl bekannteste Barockmusik der Welt noch nicht gehört: Mit „Die Vier Jahreszeiten im Klimawandel“ begeisterten Physiker Harald Lesch und das Wiener „Merlin Ensemble“ am Sonntag in Polling. Der Andrang dazu war weit größer, als der Bibliotheksaal Plätze bot.
Nicht mal mehr im Konzertsaal ist man jetzt also vor der Klimakrise sicher. Will man das wirklich, will man zwischen den zwölf zeitlos schönen Sätzen von Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ damit konfrontiert werden, dass die Erde brennt und die Gletscher schmelzen? Dass der Mensch scheinbar unaufhaltsam dabei ist, eben das zu zerstören, was der venezianische Meisterkomponist vor 300 Jahren doch so feiern wollte, feiern musste: die Natur in ihrem natürlichen Wandel – vom Frühling, der purer Aufbruch ist, bis zum klirrenden Winter, der seinem Namen noch alle Ehre macht?
Weit über hundert Interessierte kamen nicht mehr in den Saal
Ja, die 400 Zuhörer am Sonntagmittag im Pollinger Bibliotheksaal suchten genau dieses Spannungsfeld. Sogar noch viele mehr waren gekommen, um das Programm mit dem Titel „Harald Lesch und die Vier Jahreszeiten im Klimawandel“ zu erleben. Die Veranstalter vom „Podium Musicale“, sichtlich überfahren vom Andrang, mussten weit über hundert Interessierte abweisen – was auch für etwas Unmut vor der wegen Überfüllung geschlossenen Tür führte. Die von Büchern, Funk und Fernsehen bekannte Marke „Lesch“ hatte auch in Polling gezogen, so wie sie es zum Beispiel schon in den Philharmonien von Hamburg und Berlin getan hatte.
Tatsächlich kommt in diesem außergewöhnlichen Programm zusammen, was eigentlich zusammengehört: Musikgenuss und Lust am Wissen, große Popularität und höchste Virtuosität, aller Ernst und feiner Humor. Das Wiener „Merlin Ensemble“ um Solo-Violinist Martin Walch, quer durch Europa für sein exzellentes Spiel und seine besonderen musikdramatischen Projekte geschätzt, liefert eine packende und blitzsaubere Interpretation der „Vier Jahreszeiten“. Die acht Vollblutmusiker (sechs Streicher, Fagott und Cembalo, Letzteres gespielt von der in Dießen aufgewachsenen Daniela Fietzek) lassen den barocken Urklassiker sagenhaft frisch und entstaubt wirken. Mit perfektem Timing erzählt Harald Lesch dazu von der Entstehung der Erde und der Jahreszeiten, erklärt Naturgewalten, staunt vor Naturwundern und macht auf die rasanten Veränderungen aufmerksam – die weniger für die Natur als vielmehr für uns Menschen bedrohlich sind.
Harald Lesch: Aufklärung ohne Holzhammer
Der Physiker und Philosoph muss dazu nicht den Holzhammer bemühen. Er lässt Fakten sprechen. Seit knapp fünf Jahren spielt er dieses „Jahreszeiten“-Programm mit dem „Merlin Ensemble“, den Verweis auf den global heißesten Tag seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen musste er dabei immer wieder korrigieren. Aktuell ist es der 21. Juli 2024: ein Tag, an dem übrigens 21 000 Flugzeuge zeitgleich in der Luft waren, wie Lesch anmerkt – so viele wie noch nie.
Der jüngste Frühling in der Antarktis „40 Grad zu warm“, berichtet der vielfach ausgezeichnete Hochschullehrer und Moderator weiter. „Ewig gefrorener Boden taut auf, es entweicht Methan: Gas, das die Erde noch weiter aufheizt.“ Und es werde in den nächsten Jahren „wärmer, noch viel wärmer“, auch wenn viele vom Treibhauseffekt nichts mehr hören wollen. Dass die Menschheit mit dem CO2-Ausstoß „einfach immer weiter macht“, kann Lesch einfach nicht verstehen. „Es müsste uns doch längst klar sein: Mit der Natur kann man nicht verhandeln. Sie fällt ihre Urteile ohne Berater und setzt sie schlagartig um.“ Dabei hätte der Mensch alle Möglichkeiten, umzusteuern, fügt der 64-Jährige an: „Wäre das Klima eine Bank – wir hätten es längst gerettet.“
Das grandiose „Merlin Ensemble“ plant weitere Projekte in Polling
Es ist eine Mischung aus Vorlesung und Kabarett, mit der Harald Lesch die hoch konzentrierten Zuhörer in Polling in seinen Bann zieht, mal nachdenklich, mal gewitzt, mal herausfordernd. Und was kann nun jeder Einzelne tun, um das Klima zu retten? „Werden Sie Mitglied in einer Energiegenossenschaft“, wirbt der Physikprofessor zwischen den Zugaben offensiv. Der Umstieg auf Solarenergie, Windkraft, Geothermie sei „eines der wichtigsten Dinge in unserem Land“. Nicht weit entfernt, in Wildpoldsried bei Kempten, könne man sich anschauen, „wie Energiewende gelingen kann“.
Meine news
Lesen Sie auch: Operette für alle: Ein Konzert-Ereignis in Weilheim, gleich nach den Ferien
So war diese Matinee auch Politik – ohne die Harmonie von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ zu trüben. Wie gut das doch zusammengeht, Wissenschaft und Musik, das bewiesen Lesch und das Oktett um Martin Walch eindrücklich. Dafür am Ende stehende Ovationen im Bibliotheksaal. Und von Walch das Versprechen, mit diesem Programm noch einmal nach Polling zu kommen. Überhaupt plane das „Merlin Ensemble“ hier künftig „viele interessante Veranstaltungen“, auch zusammen mit Schauspielern. Diese begeisternde Premiere jedenfalls lässt in dieser Hinsicht nur das Allerbeste erwarten.
Das könnte Sie auch interessieren: So viele Kinos gab es mal in der Weilheimer Innenstadt – doch jetzt endet die Ära