Am Freitag soll ein wochenlanger Streit um das Renten-Paket der schwarz-roten Regierung zu Ende gehen. Die Bundestagsabgeordneten werden ab 11.20 Uhr über die Alterssicherung diskutieren und anschließend namentlich abstimmen. Alle wichtigen Fragen und Antworten zu dem Showdown:
Worum geht es bei dem Renten-Paket?
CDU, CSU und SPD haben verabredet, dass sie "die Alterssicherung für alle Generationen auf verlässliche Füße stellen" wollen, wie es im Koalitionsvertrag heißt. Reformen sind notwendig, weil das System aus dem Gleichgewicht gerät: Immer weniger junge Menschen zahlen in die Rentenkasse ein und müssen damit immer mehr alte Menschen finanzieren. Zugleich kommen schon heute viele Rentner kaum mit der gesetzlichen Alterssicherung aus.
Die schwarz-rote Koalition hat sich daher auf Maßnahmen verständigt, um die Probleme anzugehen:
- Die CDU will eine Aktivrente umsetzen. Menschen im Rentenalter erhalten einen Steuerbonus, wenn sie weiterarbeiten. Sie können sich einfacher etwas dazuverdienen, es gibt weiter Einzahlungen in die Sozialkassen und der Fachkräftemangel soll abgeschwächt werden.
- Die CSU will die Mütterrente ausweiten. Die Erziehung von Kindern soll bei der Rente anerkannt werden – künftig für noch mehr Mütter.
- Die SPD will das Rentenniveau auch in Zukunft sichern. Wer 45 Jahre lang arbeitet und ein Durchschnittsgehalt erhält, bekommt eine Rente in Höhe von 48 Prozent des aktuellen Durchschnittsverdiensts. Darunter darf die Rente nicht fallen, so ist die gesetzliche Regelung. Sie würde aber Ende des Jahres auslaufen, die Sozialdemokraten wollen die sogenannte Haltelinie bis 2032 verlängern.
Diese und weitere Punkte sind ein Kompromiss der Koalitionspartner, den Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) als Gesetze ausgearbeitet hat. Das Kabinett hat diese so abgesegnet.
Woran stört sich die Junge Gruppe der Union?
Der Bundestag kann Änderungen an den von der Regierung eingebrachten Gesetzentwürfen vornehmen. Das wollte die Junge Gruppe der Union – ein Zusammenschluss von Abgeordneten der CDU und CSU unter 35 Jahren – nutzen. Sie stören sich vor allem an den Folgen der Haltelinie.
Im Gesetzentwurf steht nämlich, dass auch nach 2031 das Rentenniveau einen Prozentpunkt höher sein wird. Wenn es ab 2032 fällt, wird es also von 48 Prozent ausgehen, nicht von den 47 Prozent, die ohne das Gesetz gelten würden. Die Junge Gruppe der Union rechnet dadurch mit Mehrausgaben in Höhe von bis zu 120 Milliarden Euro bis 2040 – die ihrer Meinung nach vor allem auf Kosten der jungen Generationen gehen.
Warum ist der Streit um das Renten-Paket eskaliert?
Die SPD will unbedingt an der Haltelinien-Regelung festhalten. Es gehe dabei um „arm gegen reich“, wie es Generalsekretär Tim Klüssendorf formulierte. In der Union sehen das viele anders. Auch Bundeskanzler Friedrich Merz hat noch vor einigen Wochen die Bedenken der Jungen Gruppe geteilt. Manchen Berichten zufolge soll er die jungen Abgeordneten geradezu ermutigt haben, sich gegen die Pläne von Arbeitsministerin Bas zu wehren.
Die Sozialdemokraten haben das Renten-Paket mit dem Fortbestand der Regierung verknüpft und auf die Einhaltung von Zusagen aus den Koalitionsverhandlungen gepocht. Merz hat sich offenbar deshalb an die Seite von Bas gestellt und damit die Junge Gruppe gegen sich aufgebracht.
Weiter eskaliert ist der Streit auf dem Parteitag der Jungen Union (JU) im November. Merz zeigte sich bei seinem Auftritt unerbittlich und rief den Parteinachwuchs dazu auf, "konstruktiv und aktiv" an der Rentendebatte teilzunehmen. Die JU dürfe nicht nur sagen, "was nicht geht", es dürfe bei der Rente keinen "Unterbietungswettbewerb" geben.
Für die jungen Abgeordneten war das ein Affront. Angeführt vom JU-Vorsitzenden Johannes Winkel und dem Junge-Gruppe-Chef Pascal Reddig ist der Protest gegen das Renten-Paket weiter gewachsen.
Welche Kompromisse lagen auf dem Tisch?
In den vergangenen Wochen wurden verschiedene Auswege aus dem Streit diskutiert. Merz selbst schlug in einem ARD-Interview vor, man könne mit dem Gesetz einen "Begleittext" verabschieden, der weitere Reformen skizziert. Zudem gab es den Vorschlag, der Jungen Gruppe in der ursprünglich für 2026 geplanten Renten-Kommission prominent Platz einzuräumen.
Die Koalition hat sich schließlich darauf geeinigt, die Renten-Kommission noch in diesem Jahr einzusetzen. Zudem sollte es auch einen "Begleittext" in Form eines Entschließungsantrags im Bundestag geben – doch das wurde am Mittwoch wieder abgeräumt. Teile der Union hatten sich daran gestört.
Neben verschiedenen Kompromissvorschlägen hat die Fraktionsführung aber auch mit Druck gearbeitet. Der Vorsitzende Jens Spahn hat die potenziellen Abweichler zu sogenannten "Beichtstuhlgesprächen" gebeten. Manche Renten-Rebellen berichten, ihnen sei sogar gedroht worden, dass sie bei den Listenplätzen bei künftigen Wahlen abgestraft würden.
Was ist bei der Abstimmung im Bundestag zu erwarten?
Einige Abgeordnete der Jungen Gruppe haben sich entschieden, doch für das Renten-Paket zu stimmen, um die Regierung nicht zu beschädigen. Unter anderem erklärte Daniel Kölbl, sich umentschieden zu haben. Dafür wurde er in den sozialen Medien als "Umfaller" diskreditiert. Die Junge Gruppe stärkte ihm dennoch den Rücken und betonte, dass jeder Abgeordnete die Entscheidung für sich abwägen müsse.
Bei einem Stimmungsbild in der Sitzung der Unionsfraktion am Dienstag gab es noch zahlreiche Stimmen gegen das Renten-Paket. Verschiedene Berichte sprechen von 12 bis 21 Abweichlern. Auch wenn nicht alle am Freitag gegen das Paket stimmen würden, wäre somit eine eigene Mehrheit in Gefahr.
Voraussichtlich werden mehrere Abgeordnete, zumindest aber Winkel und Reddig, eine persönliche Erklärung zu der Abstimmung abgeben. Die Geschäftsordnung des Bundestages sieht diese Option vor; die Erklärung wird dann in das Plenarprotokoll aufgenommen. Damit könnten die Abweichler offiziell ihren Protest bekräftigen – auch wenn mit Reddig nur einer von ihnen ans Rednerpult treten darf.
In der Vorlage für die persönliche Erklärung, die FOCUS online vorliegt, heißt es: "Ich halte den vorliegenden Entwurf, insbesondere durch die Vorfestlegungen, die darin für die 2030er-Jahre getroffen werden, für verfehlt und weise nachfolgend ausdrücklich auf die Risiken hin, die der Gesetzesentwurf zur Folge hat."
Dann werden sechs Punkte aufgezählt, unter anderem eine "Versteinerung" des Bundeshaushalts und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Die Risiken hätten im parlamentarischen Verfahren abgemildert werden können.
Dann steht in der Vorlage für die Rebellen: "Dies hätte eine ergebnisoffene Debatte im parlamentarischen Verfahren erfordert. Dass diese demokratische und parlamentarische Selbstverständlichkeit und damit eine Kompromissfindung in der Sache durch das Parlament von Mitgliedern der Bundesregierung unterlaufen wurde, kritisiere ich ausdrücklich."
Wie viele Abgeordnete unterzeichnen, ist offen. Ohnehin gab es am Mittwoch aber eine überraschende Wendung, die die Lage verändert: Die Linksfraktion hat angekündigt, sich bei der Abstimmung enthalten zu wollen. Das vorgetragene Argument: So könne immerhin teilweise verhindert werden, dass Rentner in die Armut abrutschen.
Weil die Enthaltungen bei der Abstimmung im Bundestag nicht relevant für das Ergebnis sind, ist die Zustimmung für das Renten-Paket quasi sicher – es könnte bei vollzähliger Anwesenheit sogar 44 Abweichler in der Koalition geben. Dennoch betont die Union, man wolle aus eigener Kraft eine Mehrheit erreichen.
Offen ist, ob das durch die Entscheidung der Linken wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher geworden ist. Einerseits könnte der Druck auf die Abweichler in der Union steigen, nun doch für das Gesetz zu stimmen. Denn dann würden sie verhindern, dass die Union mithilfe der Linken ein Gesetz verabschiedet – was angesichts eines Unvereinbarkeitsbeschlusses kritisch wäre.
Andererseits könnte es auch Abgeordnete geben, die sich durch die Entscheidung der Linken freier fühlen. Der Erfolg des Gesetzes und damit der Koalition hängt nun nicht mehr an einzelnen Abweichlern. Sie könnten motiviert sein, ihre Haltung mit einem Nein bei der Abstimmung auszudrücken.
Wie geht es nach der Abstimmung weiter?
Fällt das Gesetz wider Erwarten doch durch, würde die schwarz-rote Koalition in eine schwere Krise geraten. Die SPD hat bereits angekündigt, dass in diesem Fall andere Vorhaben wie die Bürgergeld-Reform ebenfalls gestoppt werden könnten. Bis hin zum Bruch der Regierung ist alles denkbar.
Wenn der Bundestag das Renten-Paket beschließt, gibt es noch eine letzte Hürde. Der Bundesrat muss ebenfalls zustimmen, die Entscheidung wird in der Sitzung am 19. Dezember fallen. Das Gesetz könnte dann gerade noch wie geplant zum 1. Januar 2026 in Kraft treten.
Aber selbst dann ist mit weiteren Debatten zu dem Thema zu rechnen. Denn die Renten-Kommission wird eine Reihe von Reformen beraten, die SPD und Union schmerzen dürften.
So hat der Koalitionsausschuss unter anderem beschlossen, dass die Kommission "die Einbeziehung weiterer Einkunftsarten in die Beitragsbemessung" diskutieren soll. Das könnte zum Beispiel bedeuten, dass Beiträge auch für Kapitalerträge fällig werden. Dagegen sperrt sich aber offenbar der mächtige Parlamentskreis Mittelstand in der Union. Auch die "Einbeziehung weiterer Gruppen in die gesetzliche Rentenversicherung", also zum Beispiel Beamte, ist umstritten.
Zwar könnten die Ergebnisse der Kommission als Kompromiss verkauft werden, der mit Experten erarbeitet wurde. Doch bei der konkreten Umsetzung in Gesetzen sind weitere Zerwürfnisse möglich. Die politische Lage wird eine Lösung im kommenden Jahr nicht einfacher machen: Die fünf anstehenden Landtagswahlen dürften die Fronten zwischen Union und SPD eher weiter verhärten.