Der interne Zoff um das Rentenpaket könnte bald mit der Bundestagsabstimmung seinen Höhepunkt erreichen. Dabei würde die Koalition gerne in aller Ruhe eine große Rentenreform erarbeiten. Dafür hat sie bereits vor Monaten eine Experten-Kommission eingesetzt, die bis zum kommenden Sommer Vorschläge auftischen soll. Bleibt die Rente mit 63? Werden Beamte und Selbstständige mit in die gesetzliche Rente aufgenommen? Muss das Renteneintrittsalter angehoben werden? Was ist mit der Haltelinie und den Beiträgen?
Es ist nicht das erste Mal in der deutschen Geschichte, dass eine Expertenkommission diese Fragen klären soll. Die von CDU/CSU und SPD eingesetzte Kommission ist – je nach Definition – bereits die dritte oder vierte ihrer Art seit dem Zweiten Weltkrieg. Doch sind solche Kommissionen Erfolgsgeschichten oder werden ihre Ideen später sowieso von der Politik ignoriert? Ein Blick in die Geschichte:
1. Der Sozialbeirat von 1957
Wenn Sie sich heute darüber aufregen, dass das Standardrentenniveau nur bei 48 Prozent des durchschnittlichen Arbeitseinkommens liegt, dann ist das historisch betrachtet Jammern auf hohem Niveau. Nach dem Zweiten Weltkrieg sah die Lage noch viel schlimmer aus. Die erste deutsche Bundesregierung unter Konrad Adenauer hatte in ihrer ersten Legislaturperiode bis 1953 so stark mit den Folgen des Krieges zu kämpfen, dass für Sozialsysteme kaum Energie blieb. So lag das durchschnittliche Rentenniveau damals gerade einmal bei rund 33 Prozent. Klar war also, dass der erste Bundeskanzler für seine zweite Amtsperiode dieses Problem angehen müsse – auch unter starkem Druck von Sozialdemokraten und Gewerkschaften. Die forderten im Wahlkampf bereits eine Bundestags-Kommission zu dem Thema.
So verkündete Adenauer 1953 vollmundig, gleich das gesamte deutsche Sozialsystem reformieren zu wollen. Unter dem Druck der Realpolitik wurde daraus bis zum Ende der Legislaturperiode 1957 eine Verengung auf eine Rentenreform. Schon damals waren es vor allem inner-koalitionäre Streitigkeiten, die ein größeres Reformwerk verhinderten. Adenauer reagierte, indem er eine geheime Kommission einsetzte. 1955 bat er vier Sozialwissenschaftler, ihm ein Reformkonzept innerhalb weniger Monate zu erarbeiten. Ende des Jahres brachte er einen Ökonomen quasi als Ein-Mann-Kommission mit einem Rentenkonzept ins Kabinett. Letztendlich erforderte es aber lange Verhandlungen und Kompromisse, bis 1957 endlich ein Rentenpaket verabschiedet wurde. Das führte etwa das heute bekannte Umlageverfahren ein, erhöhte Witwen- und Waisenrenten und senkte das Rentenalter für Frauen von 65 auf 60 Jahre.
Weil Adenauer das Thema Rente aber aus künftigen Wahlkämpfen heraushalten wollte, gründete er 1957 einen Expertenkreis, den Sozialbeirat. Der sollte jedes Jahr Empfehlungen für Änderungen an der Rente abgeben und so das Thema entpolitisieren. Eine echte Rentenkommission ist er damit nicht, aber ein Vorläufer dessen, was wir später sehen. Den Sozialbeirat gibt es bis heute, die Entpolitisierung der Renten ist aber gründlich schiefgegangen.
2. Die Rürup-Kommission von 2002/2003
Spätestens seit den 1990er-Jahren war klar, dass das Rentensystem ein Problem bekommen würde. Denn ab den 1970er-Jahren waren die Geburtenraten in Deutschland eingebrochen, so dass absehbar war, dass immer mehr Rentner durch immer weniger Erwerbstätige finanziert werden müssten. Das ginge nur durch immer weiter steigende Beiträge und/oder immer weiter sinkende Renten. Um einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden, berief Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) im November 2002 eine Expertenkommission unter Vorsitz des Essener Professors Bert Rürup. Die trägt bis heute trivial seinen Namen, hieß aber eigentlich Kommission für Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme. Ihr Auftrag: Das Rentensystem finanzierbar für die Zukunft zu machen.
Die Kommission gehörten 26 Mitglieder an. Die prominentesten bis heute sind etwa der spätere Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), damals noch Gesundheitsökonom an der Uni Köln, der Unternehmensberater Roland Berger, der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen und die damalige stellvertretende Vorsitzende des DGB, Ursula Engelen-Kefer. Sie lieferten am 28. August 2003, also nach rund neun Monaten, ihren Endbericht ab. Empfohlen wurden darin:
- Die Beibehaltung des Umlageverfahrens, also der Tatsache, dass die aktuellen Renten durch die aktuellen Erwerbstätigen finanziert werden, unabhängig von den zuvor gezahlten Beiträgen der heutigen Rentner. Dies wurde nie infrage gestellt.
- Die Anhebung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre. Die „Rente mit 67“ wurde nicht direkt von der Politik übernommen, sondern erst 2007 von der dann Großen Koalition unter CDU/CSU und SPD beschlossen. Derzeit befinden wir uns noch immer im Übergang, erst ab 2029 ist der Wandel vollzogen.
- Die Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors in die Rentenformel. Eine Formel, die die Höhe der Renten für jedes Jahr berechnet, gab es schon seit der Reform von 1957. Sie passte sich jeweils der allgemeinen Lohnentwicklung an. Gibt es aber immer mehr Rentner bei immer weniger Beitragszahlern, geht das nur über steigende Beiträge. Um dies zu begrenzen, schlug die Kommission den Nachhaltigkeitsfaktor vor. Er ist ein mathematisches Konstrukt, bei dem sich die Renten langsamer erhöhen, je ungünstiger sich das Verhältnis von Rentnern zu Beitragszahlern entwickelt, und schneller, je günstiger es wird. Ziel des Faktors ist es, dass der Beitragssatz nie über 22 Prozent steigen soll. Das würde er Stand heute auch mindestens bis 2040 erreichen.
- Eine Ablehnung einer Rente für besonders langjährig Versicherte. Die Kommission empfahl, für Erwerbstätige, die etwa 45 Jahre lang in körperlich anspruchsvollen Jobs gearbeitet haben, Lösungen außerhalb der Rentenversicherung zu finden, um diese nicht mit versicherungsfremden Leistungen zu überfordern. Allenfalls eine Rente ab 62 Jahren, aber mit Abschlägen, wurde vorgeschlagen. Trotzdem wurde die trivial genannte, abschlagsfreie „Rente mit 63“ im Jahr 2014 beschlossen.
- Auch andere Vorschläge wurden in der Kommission diskutiert, aber mehrheitlich abgelehnt. Dazu gehören etwa die Grundrente (2021 trotzdem eingeführt), die Staffelung der Beiträge nach Anzahl der Kinder, eine Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenzen, die Einbeziehung anderer Einkommensarten (wie zuletzt von Robert Habeck vorgeschlagen und aktuell in der Regierung diskutiert) und die Einbeziehung von Selbstständigen und Beamten in die Rentenversicherung.
3. Die Kommission „Verlässlicher Generationenvertrag“
Eigentlich funktionierten die Vorschläge der Rürup-Kommission besser als gedacht. Selbst heute liegen die Beitragssätze unter dem von den damaligen Experten prognostizierten Werten, das Rentenniveau deutlich darüber. Allerdings bedeutet das nicht, dass die Finanzierung der Rente einfacher geworden ist. Entsprechend setzte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrer letzten Legislaturperiode eine neue Rentenkommission ein. Sie wurde am 15. Mai 2018 vom Bundeskabinett beschlossen und lieferte am 27. März 2020 nach fast zwei Jahren ihren Abschlussbericht ab.
Diesmal umfasste die Kommission nur zehn Mitglieder. Den Vorsitz hatten die Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) und Karl Schiewerling (CDU), der zum damaligen Zeitpunkt aber bereits aus dem Bundestag ausgeschieden war und als Vertreter der Rentenversicherung teilnahm. Zu den bekannteren Mitglieder gehören zudem der ehemalige Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), Alexander Gunkel, Chef des Bundesverbandes der Arbeitgeberverbände (BDA) und Gert Wagner, damaliger Vorsitzender des weiter oben erwähnten Sozialbeirates. Wagner und der Mannheimer Ökonom Axel Börsch-Supan sind die einzigen beiden, die bereits der Rürup-Kommission angehörten.
Auftrag der Gruppe war es, die Finanzierung der Rentenversicherung ab 2025 mit Reformvorschlägen zu sichern. Diese Empfehlungen gab es:
- Die Einführung von Haltelinien für den Beitragssatz und das Rentenniveau für jeweils die kommenden sieben Jahre. Das sollte Verlässlichkeit für Erwerbstätige wie Rentner bringen. Als Korridore wurden 44 bis 49 Prozent Rentenniveau sowie 20 bis 24 Prozent Beitragssatz empfohlen. Eine solche „doppelte Haltelinie“ hatte die Koalition aus CDU/CSU und SPD bereits 2018 im Koalitionsvertrag beschlossen. Damals wurden als Grenzen noch 48 Prozent Rentenniveau und 20 Prozent Beitragssatz genannt. Die Haltelinie beim Rentenniveau gilt bis heute und ist beim aktuellen Rentenpaket der größte Zankapfel. Die Haltelinie für den Beitragssatz wurde mittlerweile aufgegeben. Er soll wahrscheinlich 2031 erstmals über 20 Prozent steigen.
- Der Sozialbeirat soll zu einem Alterssicherungsrat erweitert werden, der nicht nur die gesetzliche Rente im Blick hat, sondern die gesamten finanziellen Verhältnisse von Rentnern, also auch betriebliche und private Vorsorge, und daraus jedes Jahr Empfehlungen für die Bundesregierung ableitet. Dies wurde bis heute nicht umgesetzt.
- Das Renteneintrittsalter sollte nicht über 67 Jahre hinaus erhöht werden. Allerdings schlug die Kommission vor, dies 2026 neu zu entscheiden. Dem würde die jetzige Bundesregierung also folgen, wenn sie der neuen Kommission den entsprechenden Auftrag gibt.
- Selbstständige sollten einbezogen werden, sofern sie nicht schon anderweitig für die Rente vorgesorgt haben, etwa über ein Versorgungswerk. Das ist bis heute nicht umgesetzt, findet sich aber als Vorhaben auch im aktuellen Koalitionsvertrag wieder.
- Beamte sollen nicht einbezogen werden, alle Rentenreformen aber analog auch auf die Pensionen übertragen werden. Das ist in Ermangelung großer Rentenreformen seitdem bisher nicht geschehen.
Fazit: Rentenkommissionen sind sinnvoll
Die Geschichte zeigt, dass die Vorschläge von Expertenkommissionen unser Rentensystem bis heute nachhaltig geprägt haben. Fast alle großen Rentenreformen gingen von ihnen aus. Ausnahmen sind etwa die Einführung der Riester-Rente sowie die später erfolgte Grundsicherung im Alter, die „Rente mit 63“ und die Mütterrente, der keine Kommissionen vorausgingen.
Die aktuelle Kommission ist noch nicht offiziell einberufen. Sie soll aber bis zum kommenden Sommer Vorschläge erarbeiten, wie die Rente über alle drei Säulen – gesetzlich, betrieblich, privat – besser organisiert und finanziert werden kann. Im Detail sollen etwa folgende Fragen geklärt werden, ob das Renteneintrittsalter künftig an die Lebenserwartung gekoppelt wird, wie die „Rente mit 63“ reformiert werden könnte, ob die Renten weiter an die Löhne oder eher an die Inflation gekoppelt werden sollten, ob eine „armutsfeste Mindestrente“ eingeführt werden soll und ob es einen Fonds ähnlich des von der Ampel-Koalition nie umgesetzten Generationenkapitals geben sollte. Auch die Rolle von Beamten und Selbstständigen dürfte wieder diskutiert werden. Kürzlich kam noch der ursprünglich von den Grünen aus dem Vorjahr stammende Vorschlag hinzu, auch Kapitalgewinne mit Sozialabgaben zu belegen.
Die Kommission soll diesmal 13 Mitglieder haben, darunter zwei Vorsitzende, die jeweils von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Bundessozialministerin Bärbel Bas (SPD) ernannt werden. Namen sind aber noch nicht bekannt. Allerdings sollen nur drei weitere Politiker vertreten sein und acht Wissenschaftler die Mehrheit des Arbeitskreises ausmachen.