Sie haben zwar keine offizielle Stimme, werden auf der Weltklimakonferenz im brasilianischen Belém aber unübersehbar sein: Tausende Angehörige indigener Gruppen wollen zur COP 30 kommen, um für ihre Rechte zu demonstrieren. Mit zwei von ihnen hat FOCUS online Earth am Rande der Fotoausstellung „AMAZÔNIA“ im Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln ein Gespräch geführt, an dem auch die Museumsdirektorin Nanette Snoep teilnahm.
FOCUS online Earth: Frau Snoep, Ihr Begleitprogramm zur Ausstellung „Amazonia“ trägt den Titel „Die Zukunft ist indigen“. Was meinen Sie damit?
Nanette Snoep: Wir sind als ethnologisches Museum tief verbunden mit der Kolonial-Geschichte, mit Genozid, Ausbeutung, struktureller Ausbeutung, Rassismus, Raub von Kulturgütern. Seit ich hier im Museum bin, seit 2019, war es mir sehr wichtig, über die Geschichte zu sprechen, aber nicht als eine weiße europäische Direktorin, die über die Menschen redet. Vielmehr möchte ich, dass die Menschen, die unter den Konsequenzen des Kolonialismus gelitten haben und immer noch leiden, selbst zu Wort kommen. Das bedeutet für mich „Die Zukunft ist indigen“. Eigentlich sollte das Museum auch in der Zukunft von indigenen Stämmen geprägt werden und vielleicht auch am besten eine Direktorin oder einen Direktor mit indigen Wurzeln haben.
Herr Piyãko, was denken Sie, wenn Sie diese Worte von Frau Snoep hören?
Francisco Piyãko Asháninka: In Museen wird oft die Vergangenheit gezeigt. Der Anspruch „Die Zukunft ist indigen“, zeigt, dass das Indigene weiterhin existiert – trotz der vielen Massaker und der Gewalt. Diese Ausstellung kann viel Innovation mit sich bringen, wir können einen Dialog mit dem Publikum über die Zukunft führen und vielleicht auch neue Generationen anziehen.
In diesem Jahr kommen die Staaten bei der UN-Klimakonferenz in Belém zusammen, um über den weltweiten Kampf gegen die Klimakrise zu diskutieren.
FOCUS online Earth berichtet für Sie über die COP30: Alle wichtigen Entwicklungen, Hintergründe und aktuellen Updates können Sie hier im Ticker nachverfolgen.
Welche Möglichkeiten bieten sich für Sie mit dem Besuch der Ausstellung in Köln?
Beto Marubo: Die Ausstellung zeigt uns und unser Leben. Aber der Amazonas betrifft uns alle. Er ist die grüne Lunge der Welt, wir alle brauchen ihn, um zu überleben. Daher sollten wir diese Ausstellung und auch die COP 30 in Belém nutzen, um zusammenzustehen. Gerade jetzt, wo wir so viele gewaltige Rückschritte in der Welt sehen: Eine amerikanische Regierung, die sich gegen sämtliches Neue und gegen Immigration stellt. Das sehen wir auch hier in Europa und schlussendlich auch in der ganzen Welt. Wir müssen das kulturelle und geographische Erbe des Amazonas schützen. Die Initiative des Museums müssen wir nutzen, um junge Leute in das Museum zu bekommen. Sie sind es, die sich künftig um die Welt kümmern müssen. Genau das hat Sebastião Salgado auch immer gesagt, das war seine Idee: Wir müssen den Moment nutzen.
Wie merken Sie unmittelbar den Klimawandel in Ihrer Heimat Peru, Frau Silvano?
Olinda Silvano: Ich lebe in Lima, wir sind die größte indigene Gemeinschaft im Amazonas. Wir sind oft von Fluten und Überschwemmungen betroffen. Niemand kümmert sich in den Städten um die Menschen, wenn die Fluten kommen.
Herr Marubo, was erwarten Sie von der COP 30?
Marubo: Meine Erwartung ist, und das ist wahrscheinlich die Erwartung in ganz Brasilien, dass die wenigen Entscheidungen oder Versprechungen, die bei den vergangenen COPs gemacht wurden, auch in Bonn in Deutschland, dass die erst einmal umgesetzt werden. Vor Ort werden wir sehr viele Indigene sein: aus Peru, Kolumbien, Ecuador, Bolivien. Übrigens ist gestern ein Boot bei mir zu Hause losgefahren Richtung Belém, das die Menschen dort zur Konferenz bringt. Wir möchten die Realität aufzeigen, über die die Regierungen oft nicht so gerne sprechen.
Wir werden ja sehr viele Indigene dort vor Ort sein. Wir möchten aufzeigen, was wir denken. Jeder weiß: Es wird die offizielle COP geben und dann gibt es noch mal die COP auf den Straßen. Und unsere Erwartung ist, dass wir unsere Botschaft wirklich in die Welt hinaustragen.
Das Bewusstsein muss sich ändern: Auch Deutschland ist massiv für die Zerstörung im Regenwald verantwortlich. Durch ihren Konsum von Lebensmitteln, Energie und Gold finanziert der Westen die Zerstörung mit.
Die Ausstellung „AMAZONIA“ im Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln läuft vom 29. Oktober 2025 bis zum 15. März 2026. Sie zeigt über 200 Schwarz-Weiß-Fotos des im Mai verstorbenen brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado. Sieben Jahre lang begleitete er die Menschen im Amazonas-Gebiet. Dabei besuchte er rund 20 indigene Gemeinschaften und führte Interviews mit den Anwohnern, um deren Lebensrealität und ihre enge Verbindung zur Natur zu dokumentieren.
Zwei seiner Protagonisten sind Beto Marubo und Francisco Piyãko Asháninka. Marubo ist Sprecher der Union der Indigenen Völker des Javari-Tals und der Schamane Piyãko ist Mitglied des Nationalen Rates für Indigene Politik. Die Ausstellung wird weltweit gezeigt, das Begleitprogramm in Köln hat die niederländische Museumsdirektorin Nanette Snoep unter die Überschrift „Die Zukunft ist indigen“ gestellt.
Was kann Deutschland da tun? Was sind die größten Bedrohungen für die Menschen im Amazonas-Gebiet?
Marubo: Beim Mercosur-EU-Abkommen wäre es wichtig, dass sich ein Land wie Deutschland positioniert und sagt: Okay, wir machen dieses Abkommen, aber wir fordern, dass zum Beispiel mehr indigene Territorien markiert und festgehalten werden.
Die Funai muss gestärkt werden, das ist die brasilianische staatliche Agentur für die Rechte indigener Völker. Die Ibama muss gestärkt werden, das ist die Umweltbehörde in Brasilien. Dann hätte man auch kohärente Indikatoren, an denen man auch konkret messen kann, was im Amazonas passiert. Und solch eine Einstellung würde dann auch die Risiken abschwächen, die es für den Amazonas aktuell gibt.
Die größte Bedrohung für uns ist die Gier nach Reichtum. Gold zum Beispiel ist ein Krebsgeschwür im Amazonas. Die Goldschürfer haben schon so viele Menschen im Amazonas getötet, und der Westen freut sich, wenn der Goldpreis steigt. Die Menschen in Europa finanzieren dadurch, dass sie Gold kaufen, den Tod von Menschen vor Ort. Solange das Bewusstsein dafür nicht besteht. kommen wir nicht weiter. Da, wo die Macht und das Geld sind, werden auch die Regeln gemacht. Sie waren bis jetzt nicht zu unserem Vorteil. Das muss sich ändern.
Herr Piyako, könnten Sie beschreiben, wie Sie den Klimawandel erleben? Welche Bedeutung hat der Regenwald für Sie und für die Welt?
Piyãko: Der Klimawandel hat Auswirkungen in der ganzen Welt, das ist nichts, was man isoliert betrachten kann. Es ist egal, wer die Verbrechen begeht, den Preis zahlen am Ende alle dafür. Da, wo wir leben, ist die Umwelt sehr sensibel und sehr zerbrechlich. Das heißt, der Klimawandel betrifft uns sehr schnell und unmittelbar. Und das zeigt sich auch in der Ausstellung von Sebastio Salgado: Auf den ersten Blick erscheint das alles richtig groß und schön, als könnte man da nicht viel zerstören. Aber tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Die Auswirkungen, die sich heute schon im Amazonas zeigen, sind sehr bedeutend.
Uns fehlt es zum Beispiel manchmal an Wasser, und der Staat ist nicht in der Lage, uns da ausreichend zu helfen. Dann gibt es auch Brände, gleichzeitig Phasen der Trockenheit. Die Auswirkungen halten sich bisher noch halbwegs im Rahmen, aber das kann ganz schnell ganz anders werden. Bei Überflutungen vor allem ist es so, dass uns der Staat nicht ausreichend zu Hilfe kommt, wie Olinda schon gesagt hat. Dann sehen wir auch weltweit zum Beispiel, dass Stürme Städte zerstören, und auch wir sind betroffen.
Wie sind Sie konkret betroffen?
Piyãko: Bei uns gibt es unterschiedliche Arten von Pflanzen und Tiere, wo wir die Auswirkungen schon zu spüren bekommen. Ich gebe ein Beispiel: Bei Fischen ist es, so dass die ja ihren natürlichen Zyklus der Reproduktion haben. Und wenn dann aber an manchen Stellen das Wasser fehlt, weil die Flüsse aufgrund von Dürre ausgetrocknet sind, dann werden diese natürlichen Ströme unterbrochen. Die Fische können nicht ihre natürlichen Wege in ihre Laichgebiete schwimmen, sie können sich dann nicht vermehren, das heißt, es gibt keinen Fisch und es fehlt so an Lebensmitteln für die Bevölkerung.
Auch bei anderen Arten haben wir das Gefühl, dass sie bald verschwinden könnten, weil ihre Ströme für die Reproduktion unterbrochen sind. Aufgrund von Trockenheit oder manchmal auch aufgrund von Überflutung, weil sich dadurch auch die Ströme der Flüsse verändern. Dann gibt es Pflanzen, die zum Beispiel heute keine Früchte mehr tragen, die das früher gemacht haben. Teilweise gibt es noch die Blüte, aber dann keine Frucht mehr. Oder die Frucht ist einfach zur falschen Jahreszeit oder zu früh reif.
Ein Beispiel, die Assahy-Amazonas-Frucht von der Açaí-Palme, die ist ja relativ bekannt als Produkt aus dem Amazonas. Da wird ein typischer Wein draus gemacht. Und der kann heute teilweise schon nicht mehr gemacht werden, weil die Sonne die Früchte der Pflanzen zu früh verbrennt, und dann sind die so trocken, dass da kein Saft mehr drin ist.
Was ist ihr wichtigstes Anliegen für die COP 30? Was soll da jetzt in Belém getan werden? Was möchten Sie von den Politikern umgesetzt sehen?
Marubo: Für mich ist das wichtigste Thema die Finanzierung für den Schutz des Regenwaldes, da muss etwas passieren. Indigene Völker aus Südamerika haben in der Vergangenheit gezeigt, dass nur sie den Wald schützen können, nicht die Regierung. Und die indigenen Völker machen das auch, weil sie es brauchen, um selbst zu überleben. Die Bedingungen im Regenwald sind aber sehr schwierig: illegaler Drogenhandel, dann auch Agrobusiness, was sehr, sehr schwierig ist in Brasilien, verantwortungslose Politiker. Und wir als Indigene schützen den Wald schon seit mehreren tausend Jahren. In Bonn, New York, bei den unterschiedlichen COPs kommen eben immer nur die Politiker zusammen, und das muss sich ändern. Also das Wichtigste für mich ist, dass garantiert wird, dass wir beim Schutz des Waldes unterstützt werden durch Finanzierung.
Was bedeutet der Wald für Sie, Frau Silvano?
Er ist einfach unsere Apotheke. Seit vielen Jahren ist es unsere Tradition, Pflanzen zu benutzen, um Heilung zu bekommen. Wir müssen ihn alle gemeinsam schützen.
Wie können Sie Einfluss nehmen auf die Klimapolitik? Wie soll der Amazonas-Wald geschützt werden?
Francisco Piyako: Es gibt in Brasilien noch viel Wald und viel Fläche, die niemandem gehört, und die niemand nutzt, und wenn wir als indigene Völker fordern, dass wir mehr Wald und mehr Fläche brauchen, dann gibt die Regierung uns die oft nicht. Obwohl da noch viel Platz ist. Gleichzeitig ist genug Wald für Rodungen oder für Gold oder einfach für Wald- und Grundstücknahme da.
Es gibt da oft einen großen Unterschied zwischen dem Diskurs der Regierung und zwischen dem, was in der Praxis passiert. Die Finanzierung, wie Herr Marubo auch gesagt hat, ist sehr wichtig. Gleichzeitig auch Bürokratieabbau. Die Länder, die sich aus dem Pariser Abkommen zurückziehen oder es ignorieren, müssen sich ihrer Verantwortung bewusst sein. Sie müssen umkehren. Diejenigen, die heute Entscheidungen treffen, die werden ja in Zukunft gar nicht mehr da sein. Unsere Aufgabe ist, dass wir gemeinsam die Zukunft garantieren.
Wie sehen Sie die Initiative des brasilianischen Präsidenten Lula da Silva, der mit dem Fonds TFFF (Tropical Forest Forever Facility) den Regenwald retten will?
Piyako: Die Regierung Lula versteht den Amazonas und seine Bevölkerung und verteidigt ihn auch. Das Problem in Brasilien ist der Kongress, der das nicht tut. Er arbeitet sogar daran, bestehende Rechte abzubauen und die Rechte der Indigenen zu reduzieren.
Ein großer Teil dieses Kongresses besteht leider aus wirklich schrecklichen Politikern, die stark beeinflusst werden durch die Lobby aus dem Agrobusiness. Sie machen sich stark für die Ausweitung des Agrobusiness und auch für die Zerstörung des Regenwaldes, und dieser Konflikt wirkt sich ganz konkret aus, da einfach der Schutz des Waldes nicht weiter gestärkt werden kann. Wir können den Schutz nicht weiter ausbauen. Und das muss bei der Bevölkerung ankommen.
Wenn die Bevölkerung zur Wahlurne geht, dann muss sie sich auch bewusst sein, dass manche Politiker Sichtweisen aus der Vergangenheit vertreten. Sie wollen zurück, anstatt an die Zukunft zu denken. Sie sehen den Amazonas nur als riesiges Geschäftsfeld, das ist er aber nicht. Er ist unser aller Lebensgrundlage. Wir dürfen nicht noch weitere Unternehmen und weitere Geschäfte reinlassen.
Was brauchen Sie, um Einfluss nehmen zu können und gehört zu werden?
Piyako: Es ist sehr teuer, durch die Welt zu reisen, um über den Amazonas und seine Völker zu sprechen. Oft ist es so, dass wir eine Mitfahrgelegenheit nutzen und irgendwo mitreisen. Aber eigentlich brauchen wir mehr Autonomie. Wir müssten eigentlich selbst festschreiben, wann wir wo sein möchten. Wir sollten nicht abhängig sein von der Regierung oder von Einladungen, die dann irgendwann mal kommen. Das Ganze ist einfach sehr teuer, auch diese Anreise für mich hierhin nach Köln, 20 Stunden hin und 20 Stunden zurück. Dafür braucht es eine Finanzierung. Unsere Regierung macht das aber nicht. Es ist aber sehr wichtig für uns, dass wir eine Beziehung schaffen zur Welt und dass wir autonomer werden, und dass wir über uns sprechen können.
Olinda Silvano: Der Wald muss an die Völker gehen. Der Staat schützt den Wald nicht, nur wir schützen ihn. Die Anführer müssen ihre Arbeit gut machen, aber das passiert nicht immer. Wir müssen immer weiter beobachten, was passiert. Wir haben kein Vertrauen mehr in die Regierung, es muss auf die Stimme des Volkes gehört werden.
Was macht Ihnen Hoffnung? Was passiert, wenn man nicht auf Sie hört?
Francisco Piyako: Wir müssen aktuell noch nicht von diesem Planeten fliehen und uns einen anderen suchen, weil es noch möglich ist, die Tendenzen umzukehren, die durch die Gier des Menschen verursacht wurden. Die Natur erholt sich, sie ist noch nicht tot. Sie ist noch lebendig, und wenn wir uns auf der ganzen Welt zusammentun und uns um die Erde kümmern, und das ist auch wissenschaftlich belegt, dann gibt es Wege für ein nachhaltiges Leben, dann kann es besser werden. Wir müssen diese Entscheidungen zusammen treffen, und jetzt ist gerade der Moment, wo wir sagen müssen: Wir können nicht so weitermachen mit dieser Zerstörung. Wir müssen ein Gleichgewicht finden für den Planeten, und dann können wir alle hier noch ein schönes, langes Leben führen.
Marubo: Wir haben keinen Plan B. Wir werden Widerstand leisten bis zum Ende. Wir waren niemals ein Volk, das sich einfach zurückgelehnt hat, um mal zu schauen, was passiert. Wir werden weiterleben. Wir werden weiter kämpfen, und falls es jetzt nach Belém nicht besser wird, dann machen wir in der Zukunft genauso weiter mit dem, was uns ja auch heute hier hingebracht hat.