Ich lebe seit vielen Jahren in einer festen Beziehung. Die sexuelle Nähe mit meinem Mann erlebte ich als lebendig und erfüllend – bis zu dem Moment, als er gestand, regelmäßig ins Bordell zu gehen. Er bezeichnet es als eine Art Sucht und hat sich bereits therapeutische Hilfe gesucht. Ich frage mich nun: Wie kann ich damit klarkommen? Ist Trennung die einzige Antwort?
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- Beziehungsexperte Wieland Stolzenburg: Autor und Psychologe hinter den Kulissen bekannter Reality-TV-Produktionen.
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Derartige Geständnisse erzeugen – auch wenn keine romantische außerpartnerschaftliche Beziehung bestand – dennoch massiven Vertrauensbruch. Denn das Fundament jeder partnerschaftlichen Beziehung besteht nicht nur aus Sex und Routine, sondern vor allem aus der geteilten Erwartung von Intimität, Gemeinsamkeit und Transparenz. Wird diese Erwartung schwer verletzt, sitzt die betrogene Partnerin / der betrogene Partner zunächst im emotionalen Gefängnis aus Schmerz, Wut und Verwirrung.
Ist das Ende unausweichlich? Hier gilt: Nein – aber realistisch.
Die dramatische Frage ("Muss ich mich jetzt trennen?") lässt sich nicht pauschal mit "Ja" oder "Nein" beantworten. Entscheidend sind mehrere Faktoren:
- Motivation und Einsicht beim Partner: Hat der Mann wirklich verstanden, was er getan hat? Ist er bereit, Verantwortung zu übernehmen, sich zu verändern und transparent zu arbeiten? Ohne dies ist kaum eine stabile Basis für eine gemeinsame Zukunft gegeben.
- Die Tiefe des Vertrauensbruchs: Ein Bordellbesuch mag auf den ersten Blick weniger "klassischer" Seitensprung sein – doch er verletzt ebenfalls sehr tiefe Erwartungen an Exklusivität, Ehrlichkeit und gemeinsame Werte. Das kann die betrogene Partnerin in einen Zustand ständiger Angst, Selbstzweifel oder permanente Alarmbereitschaft versetzen.
- Die Bereitschaft, gemeinsam zu arbeiten: Beziehungen, die solche Krisen überstehen, tun das meistens nicht alleine durch einen "Neuanfang", sondern durch ein bewusstes Aufarbeiten: Gespräche, mögliche Paartherapie, klare Absprachen sowie neue Formen von Nähe und Sicherheit.
- Eigene Grenzen und emotionale Sicherheit: Auch Birgittas Fragestellungen sind wichtig: Wie fühle ich mich? Welche Erwartungen hatte ich? Welche Grenzen darf ich jetzt setzen? Es geht nicht darum, einfach weiterzumachen "wie bisher", sondern bewusst zu entscheiden, was jetzt gilt.
Wenn alle Beteiligten ernsthaft arbeiten wollen – ja, eine Beziehung kann eine solche Krise überstehen. Wenn jedoch die Einsicht fehlt, die Verletzungen zu massiv oder die Bereitschaft zum Wandel nicht besteht – dann kann Trennung durchaus die gesündere Wahl sein.
Was konkret tun nach Seitensprung? – Schritt für Schritt
Für Birgitta und ihren Mann könnte ein Vorgehen so aussehen:
1. Erste Verarbeitung:
Birgitta braucht Raum für ihre Gefühle – Wut, Trauer, Scham, Selbstzweifel. Es hilft, diese nicht zu verdrängen. Partnerschaftstherapeutische Literatur warnt davor, große Entscheidungen in der Hochphase des Schmerzes zu treffen.
2. Verantwortungsübernahme durch den Mann:
Er muss offenlegen (im Rahmen dessen, was er bereit ist zu teilen) – nicht im Sinne eines Strafgeständnisses, sondern als ehrliche Auseinandersetzung: Was hat mich in dieses Verhalten getrieben? Welche Dynamiken in unserer Beziehung / in mir selbst sind relevant? Ohne solche Reflexion bleibt die Gefahr einer Wiederholung bestehen.
3. Transparenz und Sicherheit herstellen:
Beziehungstherapeuten empfehlen Maßnahmen, die Vertrauen wieder möglich machen: Offenlegung von Telefonen / Kontakten, gemeinsame Vereinbarungen über Grenzen und Verhalten, regelmäßige Check-Ins darüber, wie es beiden geht.
4. Paartherapie oder –beratung:
Ein neutraler Dritter kann helfen, Gespräche zu strukturieren, sicherere Kommunikation zu ermöglichen und Verletztheit sichtbar werden zu lassen, ohne dass sie sofort eskaliert.
5. Entscheidungsschritt:
Nach einer gewissen Zeit (zum Beispiel drei bis sechs Monate) kann geprüft werden: Hat sich etwas verändert? Fühle ich mich sicherer? Sehe ich Perspektiven? Falls nein, kann eine Trennung – bewusst, nicht panisch – der nächste Schritt sein.
Humorvolle Perspektive: Wenn die Krise plötzlich Alltag wird
Auch in einer so ernsten Situation darf ein kleiner Funken Humor erlaubt sein – er kann gerade helfen, wieder Luft zu holen. Birgitta könnte sagen: "Ich hab heute nicht nur alte E-Mails gelöscht, sondern auch ein paar falsche Hoffnungen – fühlt sich fast befreiend an."
Ihr Mann: "Ich dachte, ich könnte meine Probleme verstecken – aber am Ende musste ich mir ehrlich ins Gesicht schauen." Natürlich ersetzt das keine Therapie, aber es zeigt: Die eigene Haltung darf flexibel sein.
Lachen heißt nicht, den Ernst herunterzuspielen – sondern sich als Mensch zu erinnern und nicht in einer Opfer- oder Täterrolle stecken zu bleiben. In Wahrheit entsteht Heilung nicht nur durch Tränen, sondern oft durch den Moment, in dem man sagen kann: "Ja, das ist passiert – und wir schauen jetzt, wie wir damit leben."
Fazit: Trennung ist keine Pflicht – aber Klarheit ist Pflicht
Für Birgitta gilt: keine vorschnelle Entscheidung, aber auch kein Verharren im Unklaren. Eine solche Offenbarung in einer Beziehung wirft fundamentale Fragen auf – nach Vertrauen, Nähe, Bedürfnissen und Grenzen. Viele Paare schaffen es, sogar gestärkt aus einer solchen Krise hervorzugehen. Entscheidend:
- Ehrlichkeit und Verantwortung beim Partner
- Bearbeitung der eigenen Gefühle bei der betrogenen Partnerin
- Gemeinsame Arbeit an Transparenz, Nähe und Zukunft
- Mut zur Entscheidung, auch wenn sie eine Trennung bedeutet.
Wenn Ihr Mann tatsächlich sagt, "Ich möchte damit aufhören", und dies nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, dann besteht eine reale Chance, miteinander neu zu starten – aber nicht "einfach weiter wie früher". Wenn jedoch weiterhin geheime Besuche, Ausreden oder eine Haltung von "Ich mache das schon irgendwie weiter" bestehen, dann ist eine Trennung keine Schwäche, sondern Ausdruck eines selbstbewussten Handelns.
In jedem Fall gilt: Achten Sie auf Ihre innere Stimme. Kein Partner darf verlangen, dass Sie Ihre Würde aufgeben. Vertrauen ist das Fundament – und wenn dieses Fundament zerstört ist und keine Ausbesserung möglich scheint, dann ist es mutig, weiterzugehen.
Ich hoffe, dieser Beitrag gibt Ihnen Orientierung – nicht als Urteil, sondern als Begleitung auf Ihrem Weg.
Regina Heckert ist Leiterin von BeFree Tantra, Sexualberaterin, Buchautorin und Expertin für die Lust der Frau. Sie ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen ihre persönliche Auffassung auf Basis ihrer individuellen Expertise dar.