Die Fakten am Morgen
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Linke Jugend habe ich romantisch in Erinnerung: Da sang man früher Lieder von Franz Josef Degenhardt, träumte von Nicaragua und klebte sich Che-Guevara-Poster ins Kinderzimmer. Heute ist man offenbar eher bekennender Antisemit, terrorisiert Parteifreunde, die noch Verständnis für Israel zeigen, und verharmlost den Holocaust.
Das sind nur mal drei Stimmungsschnipsel vom diesjährigen Bundeskongress der „Linksjugend [‘solid]“, wie sich die Jugendorganisation der Partei von Gregor Gysi und Heidi Reichinnek etwas anstrengend nennt. 70 Prozent der juvenilen Delegierten stimmten in Berlin am Wochenende für einen Antrag, in dem Israel als „koloniales und rassistisches Staatsprojekt“ beschimpft wird.
Israel-Verteidiger wurden rausgeekelt
„Die Befreiung Palästinas“ müsse „als Teil einer breiteren demokratischen und sozialistischen Revolution betrachtet werden, die den Imperialismus und Kapitalismus aus der Region herauswirft“. Klarer kann man das Existenzrecht Israels kaum noch leugnen. Gegenanträge, die auch Hamas und den Horror des 7. Oktober 2023 thematisieren wollten, hatten keine Chance.
In Chatgruppen wurde zu „Säuberungsaktionen“ gegen Israelverteidiger aufgerufen, berichtet der „Tagesspiegel“. Thomas Dudzak von der parteiinternen Pro-Israel-„Bundesarbeitsgemeinschaft Shalom“ sprach in „Bild“ von einem „Klima der Angst“. Als Jude würde ich diese Partei und vor allem ihren Nachwuchs künftig meiden. „Holocaust“-Vorwürfe gegen Israel gehören dort bereits zum Grundwortschatz. In sozialen Netzwerken geht’s weit härter zur Sache.
Auf Social Media bricht sich sogar Mordlust Bahn
Nachdem die „Jüdische Allgemeine“ im Sommer berichtet hatte, dass in Valencia jüdische Jugendliche „aus einem Flugzeug geworfen“ wurden, „weil sie Lieder auf Hebräisch gesungen haben“, postete die Linksjugend Frankfurt auf X: „Wir müssen leider enttäuschen: Der Rauswurf fand nicht statt während das Flugzeug in der Luft war.“ Die Autorin sei suspendiert worden, hieß es. Vielleicht aber auch nur wegen ihrer Zeichensetzungs-Schwäche? So schnell können die Verantwortlichen die Attacken mittlerweile kaum noch löschen, wie sich blanker Antisemitismus in der Vorfeldorganisation der Partei Bahn bricht.
Und trotz aller Beteuerungen klebt der Judenhass auch an der Mutterpartei. Beim Linken-Parteitag in Chemnitz wurde im Mai mit Mehrheit eine Aufweichung der eigenen „Antisemitismus“-Definition beschlossen. Seither gelten selbst antizionistische Bewegungen wie der BDS als salonfähig. Nicht nur Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, war entsetzt über den „radikalen Kern“ der Linken.
Die Parteispitze schweigt bislang
Übrigens wetterte eine 24-jährige Studentin in Chemnitz unter großem Beifall des Parteitags, Solidarität mit Israel sei Solidarität mit einem „kapitalistischen, genozidalen Apartheidsstaat“. Und weiter: „Das ist nicht Links.“ Na, dann wissen wir ja jetzt Bescheid. Wo ist eigentlich der Verfassungsschutz, wenn man ihn mal braucht?
Für den gestrigen Abend setzte der Parteivorstand wegen der jüngsten Vorkommnisse eine Krisenschalte an. Von den Parteichefs Ines Schwerdtner und Jan van Aken oder der Fraktions-Stimmungsgranate Heidi Reichinnek war bis heute früh nichts zu hören.
Aber die sind eigentlich eh immer nur empört, wenn Hass und Hetze anderswo stattfinden. In den eigenen Reihen ist bislang konsequentes Weglächeln angesagt.
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