Mit seinem "Alles auf mein Kommando"-Stil rast Merz in die Renten-Sackgasse

Friedrich Merz tritt auf wie einer, der weiß, wo‘s langgeht. Oder zumindest diesen Eindruck vermitteln will. Also: klare Ansagen, ein Ton, der Widerspruch nicht duldet, die "Alles hört auf mein Kommando"-Attitüde. So kann man heute kaum noch ein Unternehmen Erfolg versprechend führen. So kann man auch als Parteivorsitzender nicht agieren. So kann erst recht ein Kanzler nicht regieren, schon gar nicht in einer Koalition.

Jeder Kanzler verfügt über die im Grundgesetz verbriefte Richtlinienkompetenz. Der Chef einer Koalitionsregierung kann unter Umständen damit drohen, sie einzusetzen. Doch läuft er Gefahr, damit die Koalition platzen zu lassen.

Eine Koalitionsregierung ist darauf angewiesen, ständig Kompromisse zu schließen. Folglich muss ein Kanzler in dieser Lage darauf achten, dass keine der beteiligten Parteien das Gefühl hat, ständig den Kürzeren zu ziehen.

"CDU pur" ist Geschichte

Im Wahlkampf hatte Merz den Wählern "CDU pur" versprochen. Auch hatte er schon vor dem Wahltag behauptet, "links ist vorbei". Dabei wusste er schon damals, dass die Union nicht die absolute Mehrheit erringen würde. Und dass er nur zusammen mit der SPD Kanzler werden kann.

Als CDU/CSU und SPD zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik koalierten, von 1966 bis 1969, wurde Kanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) in den Medien als "wandelnder Vermittlungsausschuss" charakterisiert. In der Tat bedurfte es großen Geschicks, die beiden Volksparteien auf einen gemeinsamen Kurs zu halten.

Die erste Große Koalition war ungeachtet aller interner Gegensätze erfolgreich. Sie nutzte ihre große Mehrheit - 468 von 518 Sitzen - für einschneidende Veränderungen: Überwindung der Wirtschaftskrise, Reform der Finanzverfassung, Notstandsgesetze, erste Schritte zu einer neuen Ostpolitik. Die Basis dafür: die ständige Suche nach Kompromissen.

Merz und die Probleme mit den eigenen Reihen

Auf die Idee, Merz als "wandelnden Vermittlungsausschuss" zu bezeichnen, käme heute niemand. Dafür schlüpft er zu häufig in die Rolle des starken Mannes, die er in dieser parteipolitischen Konstellation gar nicht ausfüllen kann.

Bisweilen erweckt Merz den Eindruck, nicht nachvollziehen zu können, dass andere sich nicht seiner Sichtweise anschließen. Das war schon so, als er als Eintrittspreis für Schwarz-Rot die Schuldenbremse aushebelte.

Dasselbe Verhalten legt Merz gegenüber den Renten-Rebellen in den eigenen Reihen an den Tag. Zum Deutschlandtag der Jungen Union zu fahren, ohne vorher mit den jungen Abgeordneten Kompromissmöglichkeiten auszuloten, war ebenso überheblich wie fahrlässig.

Dasselbe Verhaltensmuster hatte Merz schon an den Tag gelegt, als er die Lieferung bestimmter Waffen an Israel einstellen ließ. Damit erwischte er die eigene Fraktion kalt. Offenbar konnte und wollte er nicht verstehen, dass nicht jeder sich seine Argumente zu eigen macht.

Finanzminister und Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD,) und Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU).
Finanzminister und Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD,) und Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Merz fehlt die emotionale Zuwendung

Es fällt auf, dass Merz mit dem SPD-Co-Vorsitzenden Lars Klingbeil, seinem Vizekanzler, offenbar besser zurechtkommt als mit manchem in den eigenen Reihen. Dabei hilft wohl, dass beide wissen, dass sie zum Erfolg verdammt sind.

Merz will auf alle Fälle vermeiden, als Kurzzeit-Kanzler in die Geschichtsbücher einzugehen. Klingbeil wiederum weiß, dass die SPD mit ihm nicht allzu gnädig umgehen würde, falls die Landtagswahlen im kommenden Jahr für die SPD katastrophal ausgehen sollten.

Aufschlussreich, dass Merz die eigenen Leute aufgefordert hat, mit dem "sensiblen" SPD-Vorsitzenden glimpflich umzugehen. Er gesteht seinerseits den Renten-Rebellen in der Fraktion nicht einmal zu, dass sie in der Sache nicht anders argumentieren, als er das als Oppositionsführer tat.

Merz ist in dieser Hinsicht der ungeliebten Vorgängerin Angela Merkel recht nah. Beiden fehlt, was den Führungsstil Helmut Kohls auszeichnete - emotionale Zuwendung. Kohl schaffte es häufig, Widerspenstige in den eigenen Reihen emotional einzufangen, an ihren Teamgeist zu appellieren, das große Ganze zu beschwören, die Partei als "Familie" zu charakterisieren, in der man zusammensteht.

Emotionen nur für die großen Themen

Merz zeigt durchaus Emotionen, wenn es um das Leid von Kindern oder das Schicksal der Juden im dritten Reich geht. Im politischen Tagesgeschäft "umarmt" er dagegen niemanden. Da setzt er auf die Kraft des Arguments - nüchtern und von der Richtigkeit des eigenen Standpunkts überzeugt.

Schwer vorzustellen, dass Merz etwa persönlich an die aufmüpfigen jungen Abgeordneten appelliert, sie der Reihe nach anruft, wegen des Rentenpakets nicht zu gefährden, was man gemeinsam in der Bundestagswahl erreicht hat. Er ginge, wenn er dies täte, ein großes Risiko ein. Sollten die Renten-Rebellen nicht einlenken, stünde er als der große Verlierer da.

Spahn verfolgt auch seine eigene Agenda

Merz agiert hier eher wie ein Vorstandsvorsitzender. Die Fraktion zusammenzuhalten beziehungsweise auf Linie zu bringen, das hat er an den Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn delegiert, sozusagen an seinen Generalbevollmächtigten.

Scheitert der dabei, müsste sich Merz das nicht direkt anrechnen lassen. Allerdings hat Spahn bisher nicht den Eindruck erweckt, er sehe es - wie einst Volker Kauder bei Merkel - als seine wichtigste Aufgabe an, dem Kanzler die eigenen Stimmen zu sichern.

Spahn, so mutmaßen nicht wenige in der Fraktion, verfolge durchaus auch seine eigene Agenda. Ganz abgesehen davon: Bei der Wahl der Verfassungsrichter hatte Spahn die Lage in der Fraktion völlig falsch eingeschätzt.

Kanzler im Schraubstock

Merz dürfte versuchen, der SPD zumindest auf dem Papier einige Zugeständnisse beim Rentenpaket abzuhandeln. Das wird schwer genug, weil viele SPD-Abgeordnete der Meinung sind, in der Migrationspolitik seien sie der Union schon weit genug entgegengekommen.

Auch dürften manche SPD-Linke damit drohen, bei der Umgestaltung des Bürgergelds nicht mitzumachen, wenn es nicht beim Rentenniveau von 48 Prozent bis 2040 bleibe.

Der Kanzler muss sich fühlen wie in einem Schraubstock: Auf der einen Seite üben CDU und CSU Druck aus, auf der anderen die SPD. Merz ist es bisher nicht gelungen, bei allen drei Koalitionspartnern das Bewusstsein zu schärfen, dass sie nur gemeinsam Erfolg haben können.

Dieser Koalition fehlt der unbedingte Wille, gemeinsam das Land voranzubringen. Ohne dabei kleinlich darauf zu achten, wer bei welcher Maßnahme mehr profitiert.

Alle Versuche, ein entsprechendes Bewusstsein zu schaffen, haben bisher nicht zu dem erhofften Ergebnis geführt. Das kann man nicht allein Merz anlasten. Doch wenn es insgesamt an Teamgeist mangelt, fällt das immer auf den Spielführer zurück.