Weidel spricht von 275 Klassen ohne Deutsch-Muttersprachler, lässt aber Zahl weg

In der Generaldebatte des Bundestags am Mittwoch hat AfD-Chefin Alice Weidel einmal mehr die Migrationspolitik der Bundesregierung ins Visier genommen. Sie behauptet, dass die Bürger ihre Heimat verlieren würden. Weidel will ihre These mit einer Statistik stützen: "In 275 bayerischen Schulklassen sitzt kein einziges Kind mehr mit deutscher Muttersprache. Das ist ein Offenbarungseid."

Die Zahl stimmt, Weidel hat in ihrer Rede aber wichtigen Kontext weggelassen. Die Statistik, auf die sich die AfD-Chefin bezieht, stammt aus einer Antwort des bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus auf eine schriftliche Anfrage des AfD-Landtagsabgeordneten Markus Walbrunn. Sie wurde Anfang der vergangenen Woche veröffentlicht.

Weidel verschweigt Anteil der Klassen ohne Muttersprachler

In der Antwort des Ministeriums heißt es zunächst: "Von den insgesamt 59.942 Klassen an allgemeinbildenden Schulen hatten im Schuljahr 2024/2025 in 1110 Klassen jeweils keine Schülerin beziehungsweise kein Schüler eine deutsche Muttersprache." Dann wird nach der Art der Schulklassen differenziert: Bei 773 handelt es sich um Deutschklassen – die explizit für Menschen mit Migrationshintergrund zum Erlernen der deutschen Sprache gedacht sind. Nur bei 275 handelt es sich um reguläre Klassen.

Nicht in der Antwort auf die Anfrage erwähnt ist, wie viele Deutschklassen insgesamt es unter den knapp 60.000 Klassen in Bayern gibt. So lässt sich nicht errechnen, wie hoch der Anteil der regulären Klassen ist, in denen es keine Muttersprachler gibt. Die Deutschklassen dürften aber eine deutliche Minderheit ausmachen. Nimmt man die Gesamtzahl der bayerischen Klassen als Bezugsgröße, gibt es in 0,46 Prozent keinen einzigen Muttersprachler.

AfD-Chefin sprach schon einmal über das Thema

Über die politische Bewertung dieser Zahl lässt sich streiten. Doch sie bei der Debatte zu nennen, ist wichtig, um die absolute Zahl von 275 Klassen einordnen zu können. Weidel macht das nicht – im Übrigen auch nicht bei einer früheren Rede im September, bei der die AfD-Chefin davon gesprochen hatte, dass "Klassen, in denen mehrheitlich kein Deutsch mehr gesprochen wird, keine Seltenheit mehr" seien.

Das bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus geht in seiner Antwort auch auf diesen Punkt ein. Demnach gibt es 818 reguläre Klassen mit mehrheitlich ausländischen Muttersprachlern – das entspricht einem Anteil von 1,36 Prozent. Ein so niedriger Prozentsatz lässt sich im allgemeinen Verständnis durchaus noch als Seltenheit einordnen.

Bildungsforscherin: AfD will Emotionen "hochkochen lassen"

Rita Nikolai, Professorin für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Vergleichende Bildungsforschung an der Universität Augsburg, sieht hinter Anfrage der AfD einen politischen Zweck: Es gehe dabei darum, "Ängste zu schüren, Falschinformationen zu schüren, ein Bild davon zu geben, dass an jeder Schule zu 100 Prozent Migrationshintergründe da sind", sagte sie dem Bayerischen Rundfunk (BR). Schlagworte wie die der Klassen ohne deutsche Muttersprachler sollen Ängste und Emotionen "hochkochen lassen".

Auch die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands äußerte sich im BR zu der Anfrage der AfD. Sie und ihre Kollegen fühlen sich durch solche Kampagnen "unter Druck gesetzt". Sie betont aber, dass alle Kinder bestmöglich Deutsch lernen müssten. "Das ist der Schlüssel zum Bildungserfolg in Deutschland und natürlich auch in Bayern."

Aufregung um Prien-Idee zu Migrantenquote 

Wie mit hohen Migrantenanteilen an Schulen umgegangen werden soll, ist umstritten. Im Juli hatte Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) mit einem Vorstoß für Aufregung gesorgt: Sie hatte die Idee einer Quote für Kinder mit Migrationshintergrund an Schulen als "denkbares Modell" bezeichnet. Sie verwies dabei auch die Erfahrung in anderen Ländern.

Der Bildungsforscher Kai Maaz hatte die Idee im Interview mit FOCUS online als "pädagogisch nicht sinnvoll und menschlich fragwürdig" bezeichnet. Er verwies dabei auf Dänemark, das häufig als Positivbeispiel angeführt wird: "Eine generelle Obergrenze für Kinder mit Migrationshintergrund gibt es dort nicht. Es ging um ein umstrittenes Stadtentwicklungsprogramm – nicht um eine generelle Migrationsquote im Bildungsbereich."