Deutschland ist Spitzenreiter – in Sachen Sozialausgaben. Kein anderes europäisches Land, Skandinavien inklusive, lässt sich die soziale Absicherung seiner Bürger mehr kosten als wir, hat uns das Institut der Deutschen Wirtschaft gerade erst attestiert. 41 Prozent der Gesamtausgaben des Landes fließen in diesen Topf.
Deutschland ist aber auch Schlusslicht, sagt das IW: Nicht einmal zehn Prozent der Gesamtausgaben werden hierzulande in Bildung investiert – kein anderes europäisches Land lässt sich die Grundausbildung der Generation Zukunft weniger kosten. Das Land der Dichter und Denker spart sich kaputt.
Der erste Pisa-Schock, er ist inzwischen knapp 25 Jahre alt. 2001 starrten damals Politik wie Gesellschaft fassungslos auf die deutsche Bildungslandschaft: Gähnende Leere, wo man blühende Landschaften vermutete. Was hat sich seither getan? Null. Nada. Nichts.
„Dumm, dümmer, Deutschland?“ Lernen von Singapur
Auf ProSieben will Moderatorin Linda Zervakis diesem Drama nachspüren. „Dumm, dümmer, Deutschland?“ heißt ihre Reportage, in der sie vor allem eines herausfinden will: Was führt uns raus aus der Bildungskrise?
Dafür recherchiert Zervakis beispielsweise in Singapur: Wieso schneiden die Jugendlichen dort regelmäßig so sensationell ab in internationalen Bildungstests wie Pisa? In dem Tigerstaat rattern Erzieherinnen schon in der Krippe Zahlen in atemberaubendem Tempo herunter, um die kognitiven Kapazitäten der Babys zu steigern. Bei uns ist man schon froh, wenn die Kita über ausreichend Erzieherinnen verfügt, um die Kleinen einigermaßen unfallfrei zu betreuen.
Bildung hat in Singapur einen unglaublich hohen Stellwert, sie ist der Schlüssel zu einem guten Leben – für den Einzelnen wie für Wirtschaft und Gesellschaft. In Deutschland hat man diesen Zusammenhang offenbar vergessen. Gut 60.000 Schulabbrecher pro Jahr leisten wir uns inzwischen, und eine steigende Anzahl Menschen, die trotz Schulabschlusses funktionale Analphabeten sind. Zugleich stöhnen wir über den Fachkräftemangel.
Alle kommen durch: Mehr Chancen in Estland
In Estland, lernt Zervakis, ist Sitzenbleiben keine Option. Junge Estländer haben das Recht, missglückte Prüfungen zu wiederholen. „Das System ist so angelegt, dass der Schüler mitgenommen wird und das Abitur schaffen kann“, erklärt Lehrer Olaf Korallus – Teilhabe statt Auslese. In Ludwigshafen machte hingegen eine Grundschule Schlagzeilen, da hier 33,8 Prozent der ABC-Schützen die erste Klasse wiederholen mussten.
Bildungsgerechtigkeit ist ein politisches Stiefkind, das Brennpunkt-Thema dümpelt seit Jahren dahin. Unsere Schulen eröffnen den Kindern keine Chancen, sondern zementieren die sozialen Grenzen, in die sie hineingeboren wurden: Bürgergeldempfänger von Geburt an.
Berlin: Lieber mehr Bäume als mehr Lehrkräfte
Und das Schlimmste ist: All das, was Zervakis in ihrer Reportage berichtet, ist altbekannt. Zu wenig Lehrkräfte, zu große Klassen, zu viele ausgefallene Schulstunden – über derlei klagen Pädagogen, Eltern und Schüler seit vielen, vielen Jahren. Doch die Politik kramt das Bildungsthema nur aus der hinteren Hosentasche, wenn mal wieder Wahlen anstehen. Danach? Ist leider kein Cent übrig. Berlin investiert lieber 3,2 Milliarden Euro in neue Bäume, als seine Schulen aufblühen zu lassen.
Ab und an kommt ein Reförmchen daher wie das bundesweite Startchancen-Programm, das die große Summe von 20 Milliarden Euro über den Zeitraum von zehn Jahren auf 4000 Schulen verteilte. Die paar Insellösungen, die Linda Zervakis als pädagogische Innovation in der Bildungslandschaft präsentiert, retten Deutschland nicht.
Unser Bildungssystem braucht endlich einen mutigen Radikalschnitt: lehren und lernen neu denken. Den Bildungskanon den Regeln einer veränderten Welt anpassen. Den natürlichen Lerneifer der Kinder erhalten statt zerstören. Und vor allem: Bildung ernst nehmen als eine der wichtigsten Zukunftsinvestitionen. Damit wir uns die hohen Sozialausgaben künftig nicht nur leisten, sondern diese womöglich sogar wieder senken können.