Alle 15 Meter ein Baum: Berlins historisches Drei-Milliarden-Euro-Gesetz

Es ist ein historischer Montag für Berlin: Erstmals verabschiedet das Abgeordnetenhaus ein Klimaanpassungsgesetz, das nicht aus der Politik stammt - sondern von Bürgerinnen und Bürgern. Der „BaumEntscheid“ will Berlin grüner, kühler und lebenswerter machen. Doch während CDU und SPD einstimmig das BäumePlus-Gesetz verabschieden, gibt es ausgerechnet von Umweltschützern Kritik.

Kern des neuen Gesetzes ist eine gigantische Pflanzoffensive: Bis 2040 soll Berlin über eine Million gesunde Stadtbäume verfügen – mehr als doppelt so viele wie heute. Momentan stehen rund 440.000 Straßenbäume in der Hauptstadt, viele davon krank oder vertrocknet. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass alle 15 Meter ein Baum stehen soll - auf jeder Straßenseite, wo Platz ist. Auch bestehende Bäume sollen besser gepflegt und geschützt werden.

"Ohne Gegenstimmenbeschlossen, parteiübergreifend getragen, ein Jahr vor Plan: Das BäumePlus-Gesetz zeigt, wie Volksentscheid und Politik gemeinsam Zukunft gestalten – ein historisches Novum Berlin- und bundesweit, das zeigt, wie ein wirkliches Miteinander Politikverdrossenheit überwindet", erklärt der Initiator des "BaumEntscheids", Heinrich Strößenreuther. 

Eine Million Bäume für die Hauptstadt

Eine Million Bäume gibt es natürlich nicht kostenlos. Rund 3,2 Milliarden Euro soll das Programm über 15 Jahre kosten. Die Finanzierung ist komplex, da Berlins Haushalte nur zweijährig geplant werden. Eine Idee ist es, Geld aus dem Sondervermögen des Bundes zu nutzen. Aus diesem Topf, den der Bund über Schulden finanziert, erhält Berlin innerhalb von zwölf Jahren 5,25 Milliarden Euro. Das Gesetz ermöglicht zudem Bürgern oder Unternehmen, Bäume zu finanzieren und zu pflanzen. 

Gespart werden soll durch neue Pflanzmethoden: Statt teurer Altbäume sollen sogenannte „Entwicklungsbäume gesetzt werden – junge Triebe, die in zehn Jahren dieselbe Größe und Wirkung erreichen sollen. 

Das Gesetz beinhaltet neben neuen Bäumen weitere Ziele:

  • Kühlung von 170 „Hitzevierteln“ um bis zu zwei Grad Abkühlung durch mehr Grün und Entsiegelung,
  • Schaffung von „Kühlinseln“ – Grünflächen, die fußläufig erreichbar sind,
  • Regenwassermanagement zur Minderung von Trockenheit und Überflutung.

Ein unabhängiger wissenschaftlicher Rat soll die Umsetzung des Gesetzes begleiten, Fortschritte bewerten und jährlich berichten. Die fünf Mitglieder werden vom Senat berufen, Umwelt- und Gesundheitsverbände sollen zuvor angehört werden.

Bürgergesetz mit Signalwirkung

Hinter dem Projekt steckt die Bürgerinitiative „BaumEntscheid“, gegründet von Umweltaktivist Heinrich Strößenreuther und Génica Schäfgen, Geschäftsführerin der grünen Suchmaschine Ecosia. Ihr Entwurf für den Baum-Plan in Berlin sammelte 33.000 Unterschriften und hätte beinahe zu einem Volksentscheid geführt. Doch CDU und SPD griffen die Idee auf – und wandelten sie leicht ab.

Die Geschäftsführerin des Bündnisses "BaumEntscheid", Julia Pohl, sieht in dem Erfolg ihrer Initiative auch ein wichtiges Signal für die Demokratie. "Wir können es als Zivilgesellschaft schaffen, etwas auf die Beine zu stellen." 

Mehr als 200 Ehrenamtliche hätten daran mitgewirkt, ein Gesetz für mehr Stadtgrün zu erarbeiten, das nun beschlossen werde. "Das ist ziemlich einmalig." Das Gesetz sei Beleg für ein gutes Zusammenspiel von Stadtgesellschaft, Politik und Verwaltung. "Und es kann für andere Städte als Vorbild dienen."

Kritik aus der Umweltbewegung

Während viele das Gesetz als Durchbruch feiern, kommt ausgerechnet vom BUND Berlin Kritik
Es fokussiere sich zu stark auf Straßenbäume und vernachlässige andere Themen wie Bodenschutz, Versiegelung oder Feuchtgebiete. Vor Wochen schon kritisierte die BUND Geschäftsführerin Gabi Jung: „Der BUND Berlin hegt große Zweifel, dass die bisher von Planlosigkeit, Ignoranz und großen Etatkürzungen geprägte Umwelt- und Klimapolitik [...] auf zukunftsorientierten Kurs kommt. Allein schon am angekündigten Gesetzentwurf [...] sind große Zweifel angebracht, wenn CDU-Umweltpolitiker Danny Freymark in der Plenardebatte kategorisch die Umnutzung von Parkplätzen für Baumpflanzungen ausschließt.“

Auch wirtschaftliche Stimmen meldeten sich zu Wort: Manja Schreiner, Hauptgeschäftsführerin der IHK Berlin, warnte gegenüber dem Tagesspiegel, dass die Mittel des Bundes eine „einmalige Chance“ seien, Infrastruktur zu modernisieren. „Wenn wir 40 Prozent der Mittel in Straßenbäume investieren, werden wir diese Ziele nicht erreichen.“

"Finde ich peinlich"

Ähnliche Kritik äußerte Alexander Eichholtz, stellvertretender Vorsitzender des Klinikpersonalrats der Charité, der Zeitung aus Berlin: „Aber wir geben zwei Milliarden aus dem Sondervermögen für Bäume aus, statt den Initiatoren des Volksentscheids ernsthaft zu widersprechen und den Einwohnern zu erklären, dass man nicht alles kann.“

Heinrich Strößenreuther äußerte sich zur Kritik des BUND Berlin: „Ich finde die Kritik des BUND peinlich. Vor allem nach den vielen gemeinsamen Versuchen vor 26 Monaten, ins Gespräch zu kommen, kam von ihnen nicht ein einziger konstruktiver Verbesserungsvorschlag zum Gesetzesentwurf. Damit untergräbt man vor allem die eigene Position.“

Woher das Geld für den Baumentscheid komme, ob aus dem Kernhaushalt oder dem Sondervermögen, sei noch offen, erklärte Dirk Stettner (Vorsitzender der Berliner-CDU-Fraktion) dem Tagesspiegel. "Die Koalition nimmt bewusst eine Priorisierung zugunsten des Baumentscheids vor. Mehr Bäume in unserer Stadt sind wichtig. Wir wollen, dass Berlin eine lebenswerte Stadt ist. Mehr Bäume tragen zu dieser Lebensqualität bei."

Laut Parlamentsverwaltung ist es das erste Mal, dass das Abgeordnetenhaus nach einem Antrag auf ein Volksbegehren einen Gesetzentwurf aus der Stadtgesellschaft im Wesentlichen unverändert beschließt. 2018 waren nach einem ähnlichen Vorstoß eines Bürgerbündnisses im Zuge eines Mobilitätsgesetzes Verbesserungen für den Radverkehr beschlossen worden. Formal handelte es sich dabei aber um eine Gesetzesvorlage des Senats.