Mein Mann ist der beste Liebhaber – aber ich habe keine Lust

Leserfrage: Mein Mann ist der beste Liebhaber, den ich mir wünschen kann. Jedes Mal, wenn wir Sex haben, bin ich im Herzen sehr berührt durch seine Achtsamkeit und Zartheit. Er bringt mich mühelos zum Orgasmus. Trotzdem habe ich keine Lust auf Sex. Das verstehe ich selbst nicht. Was soll ich bloß tun?

Liebe Leserin, zuerst möchte ich Ihnen danken, dass Sie Ihre Situation so offen beschreiben. Es braucht Mut, über ein so sensibles Thema zu sprechen – und noch mehr, wenn scheinbar „alles stimmt“ und die Lust dennoch fehlt.

Was Sie schildern, erleben viele Menschen, besonders in langjährigen Beziehungen. Die Diskrepanz zwischen emotionaler Nähe und sexueller Sehnsucht kann verwirrend, ja schmerzhaft sein. Sie empfinden Liebe, Zärtlichkeit und Verbundenheit – und trotzdem meldet sich Ihr Körper nicht so, wie Sie es sich wünschen.

Das ist kein Zeichen von Undankbarkeit oder Kälte, sondern ein Hinweis darauf, dass Lust weit mehr ist als eine körperliche Reaktion. Sie entsteht in einem komplexen Zusammenspiel von Emotion, Biografie, Hormonen, Stress und psychischer Sicherheit.

Regina Heckert ist Leiterin von BeFree Tantra, Sexualberaterin, Buchautorin und Expertin für die Lust der Frau. Sie ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen ihre persönliche Auffassung auf Basis ihrer individuellen Expertise dar.

Lust ist kein Automatismus – sie braucht Raum, Spannung und Unterschied

Lust entsteht nicht allein durch Liebe oder Zärtlichkeit. Im Gegenteil: Je stärker eine Beziehung von Nähe und Geborgenheit geprägt ist, desto leichter kann das Begehren allmählich verschwinden.

Sexualforscherin Esther Perel beschreibt das als Paradox der modernen Liebe: Wir wünschen uns von unserem Partner gleichzeitig Sicherheit und Abenteuer, Vertrautheit und Überraschung. Doch unser Gehirn reagiert auf diese beiden Bedürfnisse unterschiedlich. Sicherheit erzeugt Ruhe – aber Lust entsteht oft aus Spannung, aus einem Hauch von Unsicherheit, Distanz oder Fantasie.

Wenn Ihr Mann besonders zärtlich, umsorgend und achtsam ist, kann das zwar Ihr Herz tief berühren, aber unbewusst das Element von „Anderssein“ oder „Begehrlichkeit“ abschwächen, das die Lust befeuert.

Das bedeutet nicht, dass Sie zu viel Nähe haben – sondern, dass Ihr sexuelles System vielleicht nach einem anderen Reiz verlangt, nach einem Raum, in dem Sie sich wieder anders erleben dürfen: neugierig, unvorhersehbar, unkontrolliert.

Der Druck, Lust empfinden zu müssen, kann Sie blockieren

Viele Menschen – besonders Frauen – erleben den Verlust von Lust als persönliches Versagen. Sie fragen sich, was „nicht stimmt“, obwohl sie alles richtig machen. Dieser innere Druck kann jedoch selbst zur Bremse werden.

Lust ist etwas, das sich entfalten darf, nicht etwas, das man erzwingen kann. Wenn Sie beim Gedanken an Sex schon spüren, dass Sie eigentlich keine Lust haben, erzeugt das oft Schuld- oder Pflichtgefühl. Diese Gefühle aktivieren Stresshormone, die die sexuelle Reaktion hemmen.

Ein erster Schritt könnte sein, den Anspruch loszulassen, dass Sie Lust haben sollten.

Erlauben Sie sich stattdessen, neugierig auf das zu sein, was Sie tatsächlich empfinden – auch wenn es gerade Desinteresse ist. Paradoxerweise kehrt Lust häufig dann zurück, wenn sie wieder als freiwillige, verspielte Erfahrung verstanden wird und nicht als Beweis von Liebe oder Leistungsfähigkeit.

Lebensphasen, Hormone und innere Rollenbilder

Das Begehren verändert sich im Laufe eines Lebens. Hormone, Medikamente, Schlafmangel, Überlastung oder hormonelle Umstellungen (z. B. nach Schwangerschaft, in den Wechseljahren oder durch Verhütungsmittel) können Einfluss nehmen.

Auch emotionale oder unbewusste Faktoren spielen eine Rolle: Wenn Sie viel Verantwortung tragen, sich stark um andere kümmern oder immer funktionieren müssen, kann Ihr Körper das Begehren schlichtweg auf Pause stellen. Lust braucht innere Freiheit – und die fehlt, wenn ständig etwas gefordert wird.

Vielleicht lohnt es sich, Ihren Alltag und Ihr Selbstbild zu betrachten:

Wann und wo brauchen Sie nicht zu funktionieren? Wann erleben Sie sich sinnlich, unabhängig vom Sex – etwa beim Tanzen, beim Baden, beim Alleinsein, in der Natur? Diese Momente sind oft der Schlüssel, um das eigene Begehren wiederzufinden.

Sexualität ist kein isolierter Bereich – sie spiegelt, wie wir uns insgesamt im Leben spüren.

Zärtlichkeit ist wundervoll – aber vielleicht fehlt das Feuer

Ihr Mann scheint ein sehr aufmerksamer Liebhaber zu sein. Das ist ein großes Geschenk. Doch Achtsamkeit und Zartheit können, wenn sie zur einzigen Sprache der Sexualität werden, mit der Zeit auch zu einer Art Ritual der Harmonie werden. Manchmal fehlt dann das Wilde, Ungeplante, der Impuls, der nichts mit Rücksicht, sondern mit roher Energie zu tun hat.

Manche Paare entdecken in solchen Phasen neue Wege:

  1. ein bewusstes Spiel mit Gegensätzen – etwa Rollenwechsel, Fantasien, erotische Spannung, ohne dass gleich Sex daraus werden muss
  2. körperliche Begegnungen ohne Ziel – Massagen, langsames Berühren, Erkunden, ohne Penetration
  3. oder sogar Zeiten des bewussten Nicht-Sex, um Druck herauszunehmen und das Begehren neu entstehen zu lassen
  4. sie besuchen gemeinsam erotische Veranstaltungen, z.B. Tantraseminare, um dem Abenteuer wieder Raum zu geben
  5. sie erlernen entspannende Formen sexueller Aktivität, für die man keine Lust braucht, aus denen aber Lust erwachsen kann.

Wenn Achtsamkeit bedeutet, den anderen wirklich zu spüren, dann darf sie auch bedeuten, sich selbst wieder zu spüren – mit allem, was da ist, auch mit Wut, Wildheit oder Sehnsucht nach Eigenständigkeit.

Sprechen Sie über Ihr Nicht-Wollen – ehrlich und ohne Schuld

Ihr Mann scheint Sie zu lieben und Ihnen nahe zu sein. Das ist eine gute Grundlage, um offen zu sprechen. Sagen Sie ihm, dass Ihr Mangel an Lust nicht gegen ihn gerichtet ist.

Viele Partner fühlen sich zurückgewiesen oder verunsichert, wenn die Lust einseitig verschwindet. Doch gerade das offene Gespräch kann Nähe schaffen, wenn Sie es mit Zärtlichkeit führen:

„Ich merke, dass ich dich sehr liebe und dir nahe bin – aber mein Körper fühlt sich gerade nicht nach Sex. Ich möchte verstehen, warum, und herausfinden, was mir fehlt.“

Vielleicht können Sie beide erkunden, was Sie gemeinsam erleben möchten, ohne sofort nach „Lust“ zu streben. Sexualität ist ein Raum, in dem man sich immer wieder neu begegnen kann – auch jenseits von Begehren.

Manchmal genügt es, eine Zeit lang einfach Nähe zu genießen, ohne Ziel. Und manchmal erwacht aus dieser Freiheit das Begehren von selbst.

Wann es sinnvoll ist, professionelle Unterstützung zu suchen

Wenn die Lust dauerhaft fehlt und Sie spüren, dass es Sie belastet, kann ein Gespräch mit einer Sexualtherapeutin oder Psychotherapeutin helfen. Dort geht es nicht um Diagnosen, sondern um das Verstehen Ihrer individuellen Situation: Welche Dynamiken in Ihrer Beziehung, Ihrem Körper und Ihrem Selbstbild wirken hier zusammen?

In der Therapie können Sie erkunden, welche inneren oder äußeren Faktoren Ihr Begehren beeinflussen – und neue Wege finden, mit Ihrem Partner wieder in eine stimmige, lebendige Sexualität zu kommen.

Manchmal genügt schon ein Raum, in dem man alles aussprechen darf, ohne Scham und ohne den Druck, eine schnelle Lösung zu haben. Lust braucht Sicherheit – und gleichzeitig Erlaubnis, nicht perfekt zu sein.

Abschließend, liebe Leserin: Ihr Empfinden ist nichts, wofür Sie sich schämen oder rechtfertigen müssen. Es zeigt, dass Sie sensibel sind und wahrnehmen, was in Ihnen wirklich geschieht.

Begehren lässt sich nicht „machen“ – aber es lässt sich einladen. Und manchmal beginnt das genau dort, wo wir ehrlich sagen: „Ich verstehe mich selbst gerade nicht – aber ich will es verstehen.“

Ihr Körper, Ihr Herz und Ihr Geist sind keine Gegner, sondern Partner auf einem Weg, der Zeit und Neugier verdient. Vielleicht ist es weniger eine Frage, was Sie „tun“ sollen, sondern eine Einladung, still zu lauschen, was Ihr Inneres Ihnen sagen möchte.

  • Regina Heckert

    Bildquelle: Regina Heckert

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