Geld für Flugverzicht: Fast alle Afghanen lehnen den Dobrindt-Deal ab

In der Nacht auf Dienstag ist die Frist abgelaufen, bis zu der sich Afghanen mit deutscher Aufnahmezusage entscheiden konnten: Entweder sie steigen aus den Aufnahmeprogrammen aus und erhalten dafür Geld – oder sie bleiben weiter in den langwierigen Prüfverfahren und riskieren, dass ihnen später die Aufnahmezusage entzogen wird. 

Nur rund fünf Afghanen-Familien gehen Deal mit Bundesregierung ein

Auf Anfrage von FOCUS online kann das Bundesinnenministerium von Alexander Dobrindt (CSU) nicht nennen, wie viele der rund 700 in Pakistan wartenden Afghanen den Deal eingegangen sind. "Die Auswertungen der Rückmeldungen dauert an", erklärte eine Sprecherin. Eva Beyer, Sprecherin der Hilfsorganisation Kabul Luftbrücke, geht von maximal rund fünf Familien aus, die für Geld aus den Aufnahmeprogrammen aussteigen.

Die wenigen Afghanen, die den Deal eingegangen sind, hätten das nur getan, weil sie Visa für andere Länder in Aussicht hätten. So kann eine Familie dem Vernehmen nach in die USA ausreisen, erklärt Beyer. Afghanen, die eine solche Option nicht haben, müssten zurück in ihr Heimatland, wenn sie den Deal mit der Bundesregierung eingegangen wären. Dort herrschen aber die Taliban – vor denen die Menschen geflohen waren und weshalb die Bundesrepublik einst die Aufnahmezusage ausgesprochen hatte.

Hunderte Afghanen bleiben in Pakistan

Für das Innenministerium ist die niedrige Zahl der freiwillig Aussteigenden ein Problem. Von den insgesamt knapp 700 Menschen auf der Menschenrechtsliste und im Überbrückungsprogramm verbleiben so schätzungsweise immer noch mehr als 600, die auf die Einreise nach Deutschland hoffen. Hinzu kommen weitere Hunderte Afghanen in anderen Aufnahmeprogrammen, denen kein Deal angeboten wurde.

Damit bleibt das Grundproblem bestehen, welches das Innenministerium erst zu dem Angebot verleitet hatte. In einem Schreiben an die Afghanen, über das FOCUS online exklusiv berichtet hatte, hieß es: "Leider ist nicht garantiert, dass alle Verfahren rechtzeitig abgeschlossen werden können." Eigentlich hatte die Bundesregierung bis Jahresende das Programm abwickeln wollen.

Was nach Jahresende mit Afghanen geschieht, bleibt offen

Gelingt das nicht, könnte sich die Lage drastisch ändern: Zuletzt hielt die pakistanische Regierung weitestgehend still, weil die deutsche Seite versichert hatte, die Afghanen würden bis Ende Dezember das Land verlassen. Doch wenn absehbar ist, dass das nicht gelingt, wird Pakistan wahrscheinlich die Afghanen in ihre Heimat abschieben. 

Im Sommer ist das schon bei rund 250 Menschen passiert. Nach Angaben der Bundesregierung konnten 20 bis Anfang Oktober nach Pakistan zurückgeholt werden. Sollte Pakistan künftig noch mehr Menschen abschieben, würden sich die Aufnahmeprogramme wohl auf diese Weise von selbst erledigen – die Bundesregierung würde sich aber moralisch und rechtlich stark angreifbar machen. Wie die Bundesregierung damit umgeht, wenn bis Jahresende nicht alle Verfahren in Islamabad abgeschlossen sind, lässt das Innenministerium auf Nachfrage von FOCUS online offen. 

Grünen-Innenpolitikerin Schahina Gambir ist verärgert über der Bundesregierung: "Während die Bundesregierung Taliban-Vertreter als Diplomaten nach Deutschland holt, sollen die Menschen, die von ihnen bedroht werden, auf ihre zugesagte Sicherheit verzichten. Dieses vergiftete Angebot ist zynisch und eine moralische Bankrotterklärung." Den Afghanen, die das Angebot ausgeschlagen hätten, drohe nun der Verlust ihrer Unterkunft, Abschiebung und in Afghanistan Verfolgung oder Tod. 

Bundesregierung hat 49 von 67 Gerichtsverfahren verloren

Bereits heute fällt die Bilanz der Gerichtsurteile eindeutig negativ für die Bundesregierung aus: Stand Ende Oktober waren mindestens 117 Eilverfahren zu den Visa für Afghanen am Verwaltungsgericht Berlin anhängig, teilte dessen Sprecher auf Anfrage von FOCUS online mit. Davon wurden 67 bereits entschieden: 18 im Sinne der Bundesregierung, 49 positiv für die Afghanen.

In den kommenden Wochen könnte die Zahl der juristischen Niederlagen weiter steigen. Darunter wird womöglich eine besonders bedeutsame sein: Neben noch laufenden Verfahren an Verwaltungsgerichten ist nämlich auch eine Klage beim Bundesverfassungsgericht anhängig.