Im Streit um die Afghanistan-Aufnahmeprogramme bietet die Bundesregierung nun einen Deal an: Afghanen mit Aufnahmezusage sollen das Verfahren freiwillig verlassen. Dafür erhalten sie Geld, das ihnen einen Neustart in Afghanistan oder anderswo ermöglichen soll. Das geht aus einem Schreiben der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Auftrag des Innenministeriums hervor, das FOCUS online vorliegt.
Das Angebot richtet sich an Afghanen aus zwei der Aufnahmeprogramme: die Menschenrechtsliste mit derzeit rund 60 wartenden Personen und das Überbrückungsprogramm mit rund 600 Personen. Steigen die Afghanen aus, können sie später keine Ansprüche mehr gegen die Bundesregierung durchsetzen.
"Nicht garantiert", dass Afghanen-Programm rechtzeitig abgeschlossen wird
Das Innenministerium von Alexander Dobrindt (CSU) begründet das Angebot mit der sich zeitlich zuspitzenden Lage: Die Afghanen warten derzeit in Pakistan auf ein Visum für Deutschland. Allerdings will die pakistanische Regierung die Menschen außer Landes bringen. In Gesprächen konnte Außenminister Johann Wadephul (CDU) offenbar immerhin einen Abschiebestopp bis Jahresende aushandeln. Pakistan hat in diesem Zuge ein Ultimatum für die Ausreise der Menschen in den Aufnahmeprogrammen gesetzt.
Wie aus dem Schreiben der GIZ hervorgeht, ist man im Innenministerium nun zu einer Einschätzung gekommen, die Äußerungen der vergangenen Wochen widerspricht: „Leider ist nicht garantiert, dass alle Verfahren rechtzeitig abgeschlossen werden können“, heißt es. Da in zahlreichen Gerichtsverfahren aber festgestellt wurde, dass die Bundesregierung aufgrund der Aufnahmezusagen in der Pflicht ist, musste sich das Innenministerium nun offenbar eine Alternative überlegen.
Dass der Deal mit zeitlichem Druck begründet wird, ist bemerkenswert. Bislang hat die Bundesregierung die Aufnahmeverfahren und anhängige Fälle an Verwaltungsgerichten immer wieder verzögert. Dass es jetzt zu einem Umdenken kommt, könnte damit zu tun haben, dass derzeit auch eine Klage beim Bundesverfassungsgericht liegt.
Afghanen sollen für Flug-Verzicht Geld erhalten
Der Deal ist je nach Fall unterschiedlich gestaltet. Im Schreiben an eine Single-Frau setzt er sich aus zwei Teilen zusammen: Zum einen würde sie „eine einmalige finanzielle Unterstützung in Pakistan vor der Ausreise“ in Höhe von 1500 Euro erhalten. Zum anderen gäbe es eine „Starthilfe“ in Höhe von 5000 Euro. Bei Familien mit mehreren Personen können die Summen höher ausfallen.
Wie aus dem Schreiben hervorgeht, geht die Bundesregierung davon aus, dass die Afghanen in ihr Heimatland zurückkehren sollen. Dort herrschen allerdings die Taliban, vor denen die Menschen in den Aufnahmeprogrammen geflohen sind – und weshalb die Bundesrepublik ihnen einst Schutz zugesagt hat.
Rückkehr nach Afghanistan birgt Gefahren
Sollte die Bundesregierung mit den Taliban kein Abkommen zum Schutz der Menschen geschlossen haben, drohen den Afghanen in ihrer Heimat erhebliche Einschränkungen, womöglich sogar Folter oder der Tod. Laut Schreiben sollen dennoch nur „im besonderen Ausnahmefall und vorbehaltlich einer Einzelfallprüfung“ die Ausreise in einen Drittstaat möglich sein.
Neben den finanziellen Leistungen würde die Bundesregierung den Afghanen, die zu dem Deal bereit sind, Sachleistungen anbieten. Dazu zählt unter anderem die Beschaffung und Übernahme der Kosten für Exit Permits, medizinische Hilfe und bei Ankunft in Afghanistan „Unterkunft, Verpflegung sowie medizinische und psychosoziale Versorgung für einen Zeitraum von 3 Monaten“.
Höhe des Dobrindt-Angebots ist fragwürdig
Eva Beyer, Sprecherin der Hilfsorganisation Kabul Luftbrücke, hält das Angebot der Bundesregierung für kein gutes. Mit beispielsweise 6500 Euro für eine Single-Frau würden nicht einmal die Kosten gedeckt, die Afghanen auf sich genommen haben, um einst von Afghanistan nach Pakistan auszureisen. Hinzu kommt, dass das Geld nicht für einen Neuanfang ausreichen würde, glaubt Beyer: „Viele Afghanen haben alles verkauft, was sie besessen haben – für die Summe bekommen sie jetzt kein neues Haus.“
Die ersten Rückmeldungen von Afghanen würden alle negativ ausfallen. Eine Person habe beispielsweise geschrieben: „Ich möchte kein Geld oder Essen. Ich will Sicherheit. Ich kann auf keinen Fall zurückkehren.“
31 Afghanen landen am Dienstag in Hannover
Unterdessen wird dieser Wunsch für immerhin einige Afghanen erfüllt. Am frühen Dienstagabend werden in Hannover sieben Familien mit insgesamt 31 Menschen in Hannover landen. Sie hatten zuvor ihre Einreise vor dem Verwaltungsgericht Berlin eingeklagt.