Wir haben ein paar Probleme. Da wäre das Hund-und-Schwanz-Problem: Wer bestimmt die Richtlinien der Politik – Friedrich Merz, der dürre Wahlsieger, oder Lars Klingbeil, der kräftige Wahlverlierer? Wackelt der Hund noch mit dem Schwanz oder wackelt der Schwanz schon mit dem Hund?
Und dann: Immer weniger Menschen glauben noch der Politik. Angesichts der gebrochenen Versprechen, der nicht eingelösten Ankündigungen, des Reform-Scheiterns fast in Permanenz – ist es überhaupt ein Wunder, wenn nur noch 49 Prozent daran glauben, dass Politik Probleme lösen kann, wie die Mitte-Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung diagnostiziert?
Ein anständiger politischer Diskurs lebt von Respekt. Und der besteht darin, dass der andere womöglich recht haben könnte.
Was ist, wenn diese große Zahl von Menschen, die ihr Vertrauen in die Problemlösungskompetenz unseres Regierungssystems verloren haben, recht hat?
Was ist, wenn die Aussicht auf die nächste Regierung nicht mit der Zuversicht verbunden werden kann, dass es besser wird? Und – würde es denn besser?
Szenario Minderheitsregierung: Unordnung und hohe Kosten
Stand jetzt müsste laut allen Umfragen entweder ein Unionskanzler nicht nur mit der SPD regieren, sondern zusätzlich auch noch mit den Grünen. Schon heute ist das Hauptproblem der Regierung, dass Union und SPD nicht zusammenpassen und bei jeder Gelegenheit, mal mehr, mal weniger intrigant, gegeneinander laufen. Nach einer Neuwahl würde wenig besser, aber viel würde schlimmer.
Eine Minderheitsregierung, über die in vielen Zirkeln alternativ diskutiert wird, vor allem in der Union, ist etwas, was sich nur die wenigsten Bürger wünschen. Man verzeihe mir die pauschale Aussage an dieser Stelle, aber es geht um Klarheit: Die Deutschen suchen die Ordnung, sie lieben nicht die Unordnung. Und eine Regierung, die über keine Mehrheit verfügt, bei der sich ein Kanzler für jedes Gesetz im Parlament eine neue Mehrheit zusammensuchen müsste, wäre eine unordentliche Veranstaltung.
Dazu wäre eine Minderheitsregierung unendlich teuer – teurer noch als die Regierung Merz.
Und: Eine Minderheitsregierung macht wirklich nur Sinn, wenn alle mit allen sprechen, dann wäre es, wie der Verfassungsrechtler Boehme-Nessler sagt, ein „Booster für die Demokratie“. Der Ausschluss der AfD wäre jedenfalls dysfunktional, aber anders wird es nach Lage der Dinge nicht kommen.
Die Systemkrise: Kommt die Lösung vom Schriftsteller Schirach?
Unser System ist in der Krise, unsere Demokratie ist es noch nicht. Die überwältigende Mehrheit der Deutschen vertraut der demokratischen Grundverfassung Deutschlands. Aber so kann es auch nicht weitergehen. Denn wenn es mit dem Systemversagen so weitergeht, gerät die Demokratie am Ende doch noch in eine Krise.
Vielleicht musste ja ein Schriftsteller kommen, um diesen Satz zu sagen:
„Wenn wir uns nicht zusammenreißen und sagen: Wir erneuern das System an wichtigen Stellschrauben – Wird’s nix.“
Ferdinand von Schirach schreibt Bücher, die viele Menschen in Deutschland bewegen. Weil er Politik und Moral, richtig und falsch, mit juristischer Präzision abwägt. Und dann den Mut aufbringt, konkrete Vorschläge zu machen.
Ob es erlaubt sei, einen von Terroristen gekaperten, voll besetzten Flieger abzuschießen, darüber hat er schon die Bevölkerung per Internet abstimmen lassen. Sie entschied sich übrigens gegen Schirachs Plädoyer – für den Abschuss.
Man sollte Schirach ernst nehmen, sein Vorschlag ist gut – so gut, dass er die Debatte lohnt:
- Der Bundeskanzler regiert nur eine Wahlperiode, die dauert sieben Jahre.
- Der Bundeskanzler darf drei Gesetze selbst beschließen, die nicht durchs Parlament müssen, aber vom Bundesverfassungsgericht geprüft werden. Das Parlament darf diese Gesetze wieder abschaffen, aber erst nach drei Jahren.
- Die Landtagswahlen werden auf einen Termin gebündelt und in der Mitte der Legislaturperiode des Bundes abgehalten, nach dreieinhalb Jahren also.
Was Schirach vorschlägt, ist eine Verfassungsreform. Dafür braucht man eine Zweidrittelmehrheit. Das macht die Sache nicht wahrscheinlicher. Helfen würde ein entschlossener Bundespräsident – keiner des Status quo wie der Amtsinhaber. Er sollte denken wie Joachim Gauck und reden und überzeugen können wie Schirach.
Die Alternative: Eine starke Kanzlerdemokratie
Aber denken wir die Sache kurz an:
Friedrich Merz hätte eine Migrationswende beschließen können mit: Asylverfahren in UN-Lagern außerhalb Deutschlands, strikten Grenzkontrollen und Abweisungen, einer Kontingentlösung für die gezielte Einwanderung ausschließlich von jenen, die integrationswillig sind.
Davon gibt es heute wenig bis nichts, obwohl der heutige Kanzleramtsminister Thorsten Frei ein solches Konzept schon aufgeschrieben hat und Merz selbst es im Wahlkampf versprach. Merz hätte es machen können wie die Dänen, die Ungarn und jetzt auch die Briten. Hat jemand Zweifel, dass dies den inneren Frieden fördern würde?
Friedrich Merz hätte eine Wirtschaftswende beschließen können, inklusive einer Wende von der Energiewende und einer Sozialwende. Steuersenkungen für die Unternehmen, Nutzung der bestehenden Kernkraftwerke statt sie zu sprengen, Abschaffung des Bürgergelds – weniger weil es teuer, sondern: weil es ungerecht ist. Es setzt Arbeit und Nichtarbeit mehr oder weniger gleich. Mit dieser unsozialdemokratischen Idee sollte Schluss sein.
Merz hat viele Dinge angekündigt, umgesetzt wurden sie nicht
Friedrich Merz hat diese Dinge angekündigt, umgesetzt wurden sie nicht. Das meiste liegt am sozialdemokratischen Koalitionspartner, vieles aber auch an der selbst angelegten Fessel, mit der AfD nicht kooperieren zu wollen. Anderes liegt an Verzagtheit oder fehlender Regierungs-Eleganz.
Unsere Demokratie ist nicht statisch. Sie hat sich seit 1949 verändert, sehr sogar. Weniger ist noch übrig von der Konrad-Adenauer-Demokratie.
Einen tiefen Wandel verursachte Willy Brandt. Sein „Mehr Demokratie wagen“ war in gewisser Weise die Geburtsstunde der Grünen, die dann, ein Vierteljahrhundert und einen „Marsch durch die Institutionen“ später, begannen, Deutschland nach ihrem Bild zu formen. Ein Ergebnis ist der Rechtswegestaat – in Kombination mit dem NGO-Staat.
Für den größten Wandel sorgte – wahrscheinlich – Angela Merkel, und zwar durch die Übertragung deutschen Rechts auf Europa. Das Migrationsrecht wird zu 99 Prozent in Brüssel gemacht. Die Bürokratie, die quer steht zu unternehmerischer Qualität, wurde von in Wahlen nicht legitimierten Spitzenbeamten in Brüssel gemacht. Man halte diese Bemerkung nicht für umstürzlerisch: Neuerdings sieht es Friedrich Merz genauso.
Deutschland hat unter Merkel ein Gutteil seiner Macht völlig freiwillig nach Brüssel transferiert – und wo man auch hinschaut, wollen immer mehr Staaten aus dieser Zwangsjacke heraus.
Die Zeit drängt: Kanzlerdemokratie als Lösung
Um es klar zu formulieren: Das real existierende Europa macht inzwischen das idealistische Europa von Adenauer kaputt. Nur ein starker Bundeskanzler könnte dies rückgängig machen durch eine Neujustierung der national-supranationalen Kompetenzen.
Ein starker Bundeskanzler, das ist das, was Schirach vorschlägt. Es wäre die Weiterentwicklung der deutschen Parlaments- zur Kanzlerdemokratie. Weniger Demokratie wäre es gewiss nicht – eher im Gegenteil.
Jeder Kanzlerkandidat müsste sich mit seinen drei Ideen vor dem Volk legitimieren. Der, der dann gewählt wird, hat das Mandat, um „im Namen des Volkes“ zu regieren.
Gestärkt würde auch das Bundesverfassungsgericht, jene Institution, der die Deutschen noch am meisten vertrauen.
Schirachs Vorschlag ist einfach, aber nicht populistisch. Er ist klar und unmissverständlich. Und er löst das deutsche Hauptproblem:
Wir haben einfach keine Zeit mehr für Nicht-Lösungen.