Kai (31) starb fast an Herztod – sein Fall zeigt, wie jeder einfach Leben retten kann

  • Im Video oben: 3 Dinge, 3 Minuten: So finden Sie heraus, wie fit Ihr Herz wirklich ist

Eine Freitagnacht Ende April 2024: Kai W. ist auf der Einweihungsparty eines Freundes, als er gegen Mitternacht plötzlich Rückenschmerzen verspürt. "Zu diesem Zeitpunkt habe ich mir noch nichts dabei gedacht", erzählt er. Als die Schmerzen immer heftiger werden, fährt er mit einem Taxi nach Hause. Sein Vater ist noch wach. Das Letzte, woran sich Kai W. erinnert, ist, dass er seinen Vater um eine Schmerztablette bittet. Dann setzt das Gedächtnis aus. Was Kai W. nicht ahnt: Er hat in diesem Moment einen Herz-Kreislauf-Stillstand erlitten. 

"Der plötzliche Herztod wurde durch einen akuten Verschluss eines Herzkranzgefäßes verursacht, ausgelöst durch eine sogenannte Plaque, die das Zeichen einer Gefäßschädigung ist", schildert David M. Leistner, Direktor der Klinik für Kardiologie/Angiologie der Universitätsmedizin Frankfurt, den "klassischen" Fall eines Herzinfarkts, wie er in Deutschland häufig vorkommt.

Reanimation über mehrere Stunden 

Kai W.s Vater reagiert sofort. Er wählt den Notruf und beginnt mit der Herzdruckmassage. Die Rettungskräfte der Frankfurter Feuerwehr sind schnell vor Ort, doch die konventionellen Reanimationsmaßnahmen, die über mehr als eine Stunde durchgeführt werden, zeigen keinen Erfolg. Das bedeutet in aller Regel, dass einem Menschen nicht mehr geholfen werden kann. 

Der Notarzt entscheidet sich dennoch, Kai W. nicht aufzugeben. Er hofft, dass das neu gegründete "Acute Cardiovascular Response"-Team der Universitätsmedizin Frankfurt den Patienten noch retten kann. "Für solche Fälle haben wir das interdisziplinäre und interprofessionelle ACR-Team gegründet", erklärt Leistner. "Es besteht aus Mitarbeitenden der Kardiologie, Herzchirurgie, Anästhesie und Radiologie und kann im Notfall die Herz-Patientinnen und -Patienten in einem vorgefertigten, trainierten Ablauf hochprofessionell versorgen."

Maschine ermöglicht Ärzteteam die Ursachenfahndung

Das Team ist für ein spezielles Verfahren geschult, das sich extrakorporale kardiopulmonale Reanimation (eCPR) nennt. Dabei wird der Patient unter fortgeführter Reanimation binnen weniger Minuten an eine Herzlungenmaschine (ECMO) angeschlossen. Während die Maschine Herz und Kreislauf unterstützt, kann das Ärzteteam die Ursache des Herz-Kreislauf-Stillstands suchen und eine entsprechende Therapie einleiten. 

Der 31-jährige Elektriker Kai W. überlebt einen Herzinfarkt – dank seinem Vater und einem hochspezialisierten Ärzte-Team. Klaus Wäldele für Universitätsmedizin Frankfurt

Im Notfall kann eine schnelle Reaktion Leben retten. Besonders wenn das Herz plötzlich stillsteht, zählt jede Sekunde. Denn die Überlebenschancen der Betroffenen steigen stark, wenn gehandelt wird noch bevor der Rettungsdienst eintrifft. So handeln Sie richtig, wenn eine Person plötzlich umfällt oder auf dem Boden liegend vorgefunden wird:

  1. Prüfen: Sprechen Sie die hilflose Person laut an und prüfen Sie Bewusstsein, indem Sie sie an den Schultern rütteln. Prüfen Sie auch die Atmung.
  2. Rufen: Rufen Sie selbst den Notruf über die 112 oder veranlassen Sie Personen in der Nähe den Notruf abzusetzen. Sagen Sie dem Notruf in jedem Fall ihren Namen, was passiert ist und wo Sie sich befinden. Geben Sie die Adresse möglichst genau an. Wichtig: Beenden Sie den Anruf erst dann, wenn die Notrufzentrale keine Rückfragen mehr an Sie hat.
  3. Drücken: Beginnen Sie mit der Herzdruckmassage.

So klappt die Herzdruckmassage: Jede Hilfe ist besser als keine!

Für eine Herzdruckmassage empfiehlt die Herzstiftung:

  1. Knieren Sie sich rechts oder link seitlich neben die betroffene Person
  2. Platzieren Sie den Handballen auf die Mitte des Brustbeines und die zweite Hand auf den Handrücken der ersten.
  3. Beugen Sie sich senkrecht über die Brust der bewusstlosen Person und drücken Sie mit gestreckten Armen das Brustbein tief (5 bis 6 cm) und schnell (100- bis 120-mal pro Minute) nach unten.
  4. Führen Sie die Herzdruckmassage durch bis das Rettungsteam eintrifft. Wechseln Sie sich unter Umständen mit anderen Anwesenden ab.

Wenn mindestens zwei Helfer anwesend sind und ein Defibrillator vor Ort ist, bietet es sich an diesen zu nutzen. Die Herzdruckmassage muss weiter durchgeführt werden, während eine zweite Person das Gerät holt und anbringt. Nach dem Einschalten müssen Sie nur den Anweisungen des Sprachcomputers folgen.

Tipp: Musik im Kopf

Ein Lied, das häufig als Richtlinie für den richtigen Rhythmus verwendet wird, ist "Stayin' Alive" von den Bee Gees. Mit 100 Beats pro Minute (BPM) entspricht es genau dem empfohlenen Tempo für die Herzdruckmassage. Um den richtigten Rhytmus aufrechtzuerhalten empfiehlt die Deutsche Herzstiftung auch:

  • "Crazy in Love" von Beyoncé
  • "Hips Don't Lie" von Shakira
  • "Uptown Funk" von Mark Ronson ft. Bruno Mars
  • "Shape of You" von Ed Sheeran
  • "Dancing Queen" von ABBA

In diesem Fall wurde als Ursache ein Einriss im Herzvorderwandgefäß diagnostiziert, der vom kardiologischen Expertenteam erfolgreich behoben werden konnte. "Mithilfe der ECMO wird eine viel höhere Sauerstoffsättigung der Organe erreicht als mit der mechanischen Thoraxkompression", erklärt Leistner. "Die Durchführung dieses Verfahrens erfordert jedoch ein hohes Maß an Expertise, technischen Ressourcen und interprofessioneller Zusammenarbeit auch mit dem Rettungsdienst. Die Universitätsmedizin Frankfurt ist einer der wenigen Standorte in Hessen, an denen das gegeben ist."

Verfahren kommt nur in Sonderfällen zum Einsatz

Oberarzt Sebastian Haberkorn und der Leiter der kardiologischen Intensivmedizin, Robert Stöhr, sind Teil des 2023 gegründeten ACR-Teams. Auch Gösta Lotz von der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie (KAIS) und Fabian Emrich aus der Herzchirurgie gehören dazu: Gemeinsam hat das Team Kai W. erfolgreich behandelt. 

Kai W. und Haberkorn
Die Rettung von Kai W. (links) war echte Teamarbeit: Sebastian Haberkorn (rechts) ist Teil des Frankfurter ACR-Teams. Klaus Wäldele für Universitätsmedizin Frankfurt

Sie betonen, dass hohe Expertise und Training für die Anwendung des außergewöhnlichen Reanimations-Verfahrens (eCPR) unerlässlich sind. "Die Maschine richtig einzustellen und anzuwenden, ohne dass dadurch ein Schaden hervorgerufen wird, ist sehr anspruchsvoll", sagt Haberkorn. Stöhr ergänzt: "Auch die Nachsorge der Patientinnen und Patienten ist sehr komplex und sollte nur an spezialisierten Zentren durchgeführt werden, also dort, wo das Verfahren häufig angewendet und mit entsprechender Expertise umgesetzt wird." 

Die Entwicklung und Ergebnisse des Programms werden in der Universitätsmedizin Frankfurt auch wissenschaftlich begleitet. Nur unter bestimmten Voraussetzungen kommt das Verfahren infrage. Die Expertinnen und Experten müssen diese Fälle identifizieren.

"Ich hatte nur eine zwei- bis dreiprozentige Überlebenschance"

Bei Kai W. sprachen glücklicherweise alle entscheidenden Faktoren für die Anwendung des Verfahrens. Drei Tage nach dem Herzinfarkt konnte die ECMO entfernt werden. Wenige Tage später lief der junge Mann ohne gesundheitliche Einschränkungen über das Gelände der Universitätsmedizin Frankfurt. 

Seine Rettung gleicht einem Wunder. "Ich habe erst im Nachhinein erfahren, dass ich nach dem Herz-Kreislauf-Stillstand nur eine zwei- bis dreiprozentige Überlebenschance hatte", sagt Kai W. "Dass ich noch lebe, verdanke ich der exzellenten Zusammenarbeit von Notarzt, Rettungsdienst und den Ärzten, die das eCPR-Verfahren angewendet haben", sagt Kai W. "Und in erster Linie meinem Vater, der mit der sofortigen Herzdruckmassage die Grundlage für meine Rettung gelegt hat. Diese Schuld werde ich nie begleichen können."

Schnelle Reanimation durch den Vater war entscheidend

Leistner betont, wie elementar die schnelle Anwendung von Erste-Hilfe-Maßnahmen durch den Vater war: "Als junger Mensch ist die Überlebenschance natürlich höher, aber entscheidend war, dass der Patient unmittelbar nach dem Herz-Kreislauf-Stillstand, also präklinisch, von einem Laien perfekt reanimiert wurde. Nur deshalb konnten wir das eCPR-Verfahren überhaupt anwenden." 

Diese mutmachende Botschaft sollte alle Menschen dazu ermuntern, Erste Hilfe-Kenntnisse regelmäßig aufzufrischen. Man weiß nie, ob man im Notfall selbst zur Retterin wird oder – dank eines beherzten Ersthelfers – selbst die oder der Gerettete ist.

Das Original zu diesem Beitrag "Ich hatte nur eine zwei- bis dreiprozentige Überlebenschance" stammt von der Universitätsmedizin Frankfurt.