Kompliment an „tolle, alte Villa“: So wurde Kleinstadt in Oberbayern zur Berliner Filmkulisse
Weilheim wurde dieser Tage wieder einmal zur Filmkulisse. Gedreht wurden Szenen für den Film „Tamas Traum“ – der eigentlich in Berlin spielt.
Zwischen Finanzamt und „Dachsbräu“ herrschte an den frühen Augusttagen ungewöhnliche Hektik. Ein Team aus 20 überwiegend schwarz gekleideten Leuten rief sich Kommandos an Walkie-Talkies zu, stellte haushohe Lichtplanen auf und installierte sogar einen veritablen Hochsicherheitszaun aus dunkelgrauen Metallstreben rund um die blaue Villa, in der sonst das „Kindernest am Rosengarten“ einen unabhängigen Kindergarten bietet.
Tatsächlich wurden in Weilheims Augsburger Straße Szenen für einen Film gedreht, der mit Kindern zu tun hat. Vor allem mit einem zehnjährigen Mädchen mit dem Rollennamen „Tama“. Diese fühlt sich bei ihrer Pflegefamilie so unwohl, dass sie eines Tages beschließt, „ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen“, wie es in der Vorab-Info zum Film etwas verrätselt heißt.
Hier kommt das Weilheimer „Kindernest“ ins Spiel, was sich im Film in den Berliner „Kindernotdienst“ verwandelt. Diese soziale Einrichtung gibt es wirklich: Sie ist im schönsten Behördendeutsch definiert als die „zentrale Inobhutnahmeeinrichtung des Landes Berlin“. Neben einer spannenden Story für Groß und Klein soll der Kinofilm auch Unterstützung dabei bieten, für die bitter unterfinanzierten Kinderunterbringungen höhere Zuschüsse durch den Berliner Senat zu erreichen, wie ein Set-Mitarbeiter verriet.
Mit Kindern am Drehort war also zu rechnen, doch Produktionsleiter Ilja Leptihn bat schon einmal gleich darum, dass die kleinen Darsteller nicht erkennbar auf Fotos erscheinen dürfen – einerseits solle nicht zuviel vor dem Kinostart in einem halben Jahr gespoilert werden, andererseits sollen die Persönlichkeitsrechte gewahrt bleiben. Ansonsten aber war das Berliner Team in keinster Weise so abweisend, wie man dies den Berlinern so gerne nachsagt – und am fröhlichsten waren ausgerechnet die Polizisten. „Ich bin übrigens echter Polizist in Berlin“, stellte sich der ältere der beiden Schupos vor. Neben dem Polizeidienst engagiere er sich in der Agentur „Berlin City Cops“, welche bei Krimiproduktionen die Dialoge auf Echtheit überprüft, Uniformen zur Verfügung stellt oder eben sogar „Fachkomparsen“ bietet, wie ein ausgeliehener Polizist im Filmsprech heißt. Neben Peter Kupka tritt noch Schauspieler Milian Zerzawy als der etwas jüngere Polizist auf.

Während Kupka in der Filmszene vor dem Eingang offenbar Kindern freundlich dabei hilft, in eine sichere Unterkunft zu kommen, liegt die reale Kommandostimme bei der wieselflinken Jasmin Riedel. „Jetzt Straße sperren!“, befahl die Set-Aufnahmeleiterin knapp durchs Walkie-Talkie – aber darüber brauchten sich weder die Passanten noch die echte Weilheimer Polizei größere Sorgen zu machen: Es ging immer nur um eine einzige Minute Filmhandlung, die freilich ohne Hintergrundgeräusche gedreht werden sollte. Und wer auch immer von Berufen beim Film träumt: Es war heiß an diesem Nachmittag, sehr heiß sogar, und fast den ganzen Nachmittag brauchte es auch, bis bloß einmal nur diese einzige Minuten-Szene „im Kasten“ war.
Einige weitere Szenen des Films würden in München spielen, verriet Produktionsleiter Ilja Leptihn. Ein bisschen Süddeutschland muss es wohl auch sein, da der Streifen unter anderem Mittel aus dem „FilmFernsehFonds Bayern“ bekommt. Wie genau sich „Tama“ aus den Fängen ihrer Pflegefamilie herauskämpft, und ob sie am Ende ein neues Familienmodell für sich erstreiten kann, das wird man dann rund um den Jahreswechsel im Film „Tamas Traum“ sehen können. „Und natürlich drehen wir für die große Kinoleinwand“, versicherte Leptihn, der bis vor kurzem noch Produktionsleiter für „Schule der magischen Tiere 3“ war, der aber auch schon mehrere Krimis und die fantasievollen Historien-Serien „Kudamm 56“ und „Kudamm 59“ leitete.
Fragt sich natürlich noch, wie ausgerechnet Weilheims „blaue Villa“ in den Fokus der Berliner „Zeitgeist Filmproduktion GmbH & Co. KG“ geriet. Am Set gab es dazu nur Vermutungen, unter anderem „ein paar Parkplätze in der Nähe sind wichtig für unsere ,Base’“, wie eine Ausstatterin meinte.
Meine news
Schließlich outete sich die Münchnerin Ute Platzer als zuständiger Location-Scout – ein seltener Beruf, der darauf aus ist, mögliche Drehorte zu finden und bei Bedarf vorzuschlagen. „Ich interessierte mich immer schon für Architektur und studierte dann in Rosenheim Szenografie“, also etwas, das früher als „Bühnenbildnerei“ bekannt war. Das Gespür für Gebäude und für die Wirkung von atmosphärischen Hintergründen verbanden sich zu ihrer Berufswahl.
„Dazu kam der Zufall, dass meine Schwester irgendwann einmal in Weilheim gelebt hat“, sagt die gebürtige Oberfränkin. Einige Weilheimer Altstadt-Motive habe sie seitdem in petto, wann immer von Filmproduktionen eine Kleinstadt-Szenerie gesucht werde. Und die Villa an der Augsburger Straße sei ihr natürlich auch aufgefallen: „Die ist schon seit gefühlten Ewigkeiten in meinem Archiv, wohl seit 2015.“
Drehort Weilheim lange umstritten
Für den Film „Tamas Traum“ sei die Wahl des Drehorts für die Kinderbetreuungseinrichtung ein langer Pingpong-Prozess zwischen verschiedenen Orts-Ideen gewesen. Denn alles, was weiter weg von den Filmstädten Berlin und München liege, fresse Anfahrtszeit und somit wertvolle Drehstunden. Von daher war Weilheim zunächst keine naheliegende Option. Dass dann doch die Wahl auf das Weilheimer Gebäude fiel, sei ein echtes Kompliment an die „tolle alte Villa“ in der Augsburger Straße 4, welche der Denkmalschutz als einen „historisierenden Gruppenbau mit Walm- und Schopfwalmdach sowie polygonalem Eckturm mit Zwiebelhaube“ charakterisiert und mit einem Baujahr von 1900 einstuft.
Ein weiterer Vorteil sei, dass das Haus ohne bayerische Stilelemente erscheine, denn im Film soll es ja in Berlin stehen. Den Ausschlag gab zuletzt, dass für die Kinderthematik einfach alles zusammenstimmte: „Inneres und Äußeres, das passt hier beides“, lobt Ute Platzer Weilheims verwunschenes „Kindernest“.
Etwas verwunschen findet der teilzeit-echte Berliner Polizist Peter Kupka im Grunde aber die ganze Stadt: „Was mir schon aufgefallen ist beim Herumgehen: Die Leute in Weilheim sind so unfassbar freundlich, hier würde ich wirklich gerne Streife fahren.“ Vielleicht ist es am Ende dann doch etwas schade, dass nur Eingeweihte in „Tamas Traum“ den Drehort Weilheim erkennen werden.
Andreas Bretting