Zur Ansiedlung des Waldrapp: Zugvögel reisen in Gleitschirm-Begleitung nach Südspanien

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Wie Haustiere sammeln sich die Vögel um ihre Ziehmutter Barbara Steiniger. Links Pilot und Projektleiter Johannes Fritz. © Christine Wiucha

Um den seltenen Waldrapp wieder anzusiedeln, muss dem Zugvogel wieder beigebracht werden, wie das funktioniert mit dem Flug in den Süden. Deshalb begleitet ein Team die Vögel per Para-Gleitschirm. Der Flugplatz in Paterzell war erster Etappenort.

Paterzell – Ein Raunen geht durch die rund 20 Schaulustigen, die sich das seltene Spektakel auf dem Flugplatz nicht entgehen lassen wollen: Von Osten her, relativ dicht über den Baumwipfeln, nähert sich das Ultraleichtflugzeug mit seinem gelben Schirm. Und direkt dahinter ist der Schwarm Waldrappe zu sehen.

Herwig Jansen, Vorstandsmitglied vom Luftsportverein Weilheim-Peißenberg, hatte in der vereinsinternen WhatsApp-Gruppe informiert, dass am Dienstagvormittag etwas ganz anderes als die gewohnten Segelflieger bei ihnen landen wird. „Wir wurden vor rund zwei Wochen angefragt, ob das möglich ist, und für unsere gefiederten Freunde machen wir das natürlich“, sagt er schmunzelnd. Der Flugbetrieb, der sich ohnehin dem Saisonende nähert, ist an diesem Tag natürlich eingestellt.

Zur Ansiedlung des Waldrapp: Seltener Zugvogel reist in Begleitung nach Südspanien

Während sich Pilot und Projektleiter Johannes Fritz mit seinem Fluggerät schnell der Landebahn nähert, kreisen die Vögel noch etwas unentschlossen. Erst, als mit Barbara Steiniger eine der beiden Ziehmütter ausgestiegen ist und auf die angrenzende Wiese gelaufen ist, gehen die Waldrappe in den Sinkflug. Jubelnd steht sie da, während die Vögel, die alle einen Namen haben, neben ihr landen und sie umringen wie eine neugierige Schar Kinder. „Super, gut gemacht!“, ruft sie den Vögeln zu und teilt als Belohnung erste Mehlwürmer aus, die die Vögel begierig aufpicken. Zwei Mal zählt sie die insgesamt 36 Vögel durch – „ich glaube, es sind alle da. Das war eine tolle erste Etappe“, freut sie sich.

Auch Fritz jubelt mehrmals, als ob er das zum ersten Mal machen würde. Dabei hat der 57-Jährige das Projekt vor mehr als 20 Jahren mitbegründet und ist seitdem jedes Jahr mit Jungvögeln unterwegs auf dem Weg nach Süden. „Wir hatten guten Rückenwind, das hat uns einiges erspart“, sagt er.

Wetter muss passen: Bei Regen fliegen die Tiere nicht

So weit wie dieses Jahr sind sie noch nie unterwegs: Zum zweiten Mal geht es nach Südspanien nahe Gibraltar, und während es vergangenes Jahr am Bodensee losging, war der Startort dieses Mal Taching im Landkreis Traunstein. Wie Lisa-Maria Weber, die sich um die Organisatorin kümmert und als Pressesprecherin fungiert, sagt, sind 23 Etappen geplant. „Wir werden für die 2800 Kilometer wohl sechs bis sieben Wochen unterwegs sein.“ Denn das Wetter muss passen, bei Regen etwas bleiben die Tiere am Boden.

Die Waldrappe sind Fleischfresser, deshalb ist im Begleitfahrzeug ein großes Kühlfach mit Nahrung: „Wir haben 200 Kilo dabei, unter anderem Eintagesküken und Ratten. das sollte für das erste Drittel reichen“, so Weber lachend. Aber die Vögel fühlen sich in Paterzell pudelwohl und picken mit ihren langen Schnäbeln fleißig nach Regenwürmern in der Wiese. Denn der Transporter, der auch eine zwölf mal 15 Meter große Voliere mitbringen wird, in dem die Vögel die Nächte verbringen, ist noch nicht da. Dafür ist die zweite Ziehmutter eingetroffen, Helena Wehner, die zu ihrer Kollegin Steiniger eilt und sie freudig umarmt, dass alles gut geklappt hat.

Ziehmütter sind rund um die Uhr da

Die Waldrapp-Eier stammen aus dem Partner-Tierpark Rosegg in Kärnten/Österreich. Nach drei bis acht Tagen werden die frisch geschlüpften Küken auf die Ziehmütter geprägt, sagt Weber. „Die sind dann rund um die Uhr für sie da.“ Gleichzeitig werden sie auch an den Para-Gleiter und dessen Geräusch gewohnt. Wenn die Tiere flügge werden, drehen sie hinter dem Ultraleichtflugzeug die ersten Runden, die immer weiter gesteigert werden. „Die Generalprobe waren 70 Kilometer, heute sind sie in drei Stunden 130 Kilometer geflogen“, sagt Weber.

Am heutigen Mittwoch soll es auf die nächste Etappe gehen, wieder ein Stück weiter zum Ziel. Für Fritz und Steiniger, die im Ultraleichtflugzeug sitzen, ist jeder Flug stressig – sie stehen unter ständiger Anspannung, weil immer etwas passieren kann. „Heute zum Beispiel ist ein Vogel fast in den Rotor gekommen, ich habe ein Knallen gehört“, sagt Fritz. Zum Glück sei alles gut gegangen.

Die größte Gefahrenquelle sei aber sowieso eine andere: Strommasten. „Weil die Vögel recht groß sind, können sie mit den Flügeln eine Überspannung auslösen“, sagt Fritz. Fast die Hälfte der Tiere sterben an Stromschlägen.

Waldrapp Zwischenstation in Paterzell
Im Anflug auf Paterzell: Das Ultraleichtflugzeug mit dem Vogelschwarm hintendran. © Christine Wiucha

Auf den Spuren von „Ingrid“

Seit dem Beginn des von der EU geförderten Waldrapp-Projekts gingen die Begleit-Flüge immer nach Italien, wo in der südlichen Toskana eine Kolonie existiert. Im Frühjahr kamen die Vögel zurück in die Brutgebiete Überlingen am Bodensee, Krimml im Salzburger Land und Burghausen, wo zuletzt das 20-jährige Bestehen des Projekts gefeiert wurde. Die Nachkommen der Waldrappe, die schon mal im Süden waren, schafften den Weg dann meistens auch alleine.

Doch der Klimawandel ist ein Problem: „Früher sind die Vögel von hier Ende September in den Süden aufgebrochen. Aber wegen der milden Winter und des guten Nahrungsangebots hat sich das bis in den November verschoben“, sagt Projektleiter Johannes Fritz. Das Problem: Die Thermik fehlt dann, viele Tiere kamen nicht mehr über die Alpen, strandeten dort und starben oder mussten – dank Sender gut lokalisierbar – von Helfern eingesammelt werden.

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Vor zwei Jahren, bei einem Begleitflug Richtung Italien, ging ein Jungtier verloren, das schließlich ganz allein nördlich an den Alpen vorbeiflog und in Südspanien landete, wo es eine stationäre Waldrapp-Kolonie gibt, also keine Zugvögel. „Da haben wir gesagt: Wir probieren es mal mit Spanien“, sagt Pressesprecherin Lisa-Maria Weber. Vergangenes Jahr war die Premiere, dieses Jahr folgt der zweite Trupp, der mit 36 Tieren so groß ist wie noch nie.

Dabei ist noch gar nicht klar, ob die Waldrappe im Frühjahr den deutlich weiteren Weg von Spanien zurück in die Brutgebiete schaffen. Denn es dauert zwei, drei Jahre, bis die Tiere geschlechtsreif werden. Doch Hoffnung macht ein Tier namens „Ingrid“: Dieser Waldrapp flog dieses Frühjahr aus Südspanien auf direktem Weg zurück Richtung Heimat. „Die hat am Tag 400 Kilometer zurückgelegt“, sagt Fritz. „Sie wusste, wo ihr Brutgebiet ist.“ Leider fiel „Ingrid“ in den Pyrenäen einem Greifvogel zum Opfer, weshalb der endgültige Beleg fehlt. Aber aufgrund des Verhaltens der Tiere vor Ort, das genau analysiert werde, ist sich Fritz sicher, dass die vergangenes Jahr nach Spanien begleiteten Vögel nächstes Frühjahr zurückkehren werden – auf den Spuren von „Ingrid“.

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