Edeka ohne Lärm und Blinklicht: Stille-Aktion startet – Familien finden‘s „richtig angenehm“

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Welch‘ himmlische Ruhe: Die Kunden Walter und Cornelia Groß genießen die Ruhe im Edeka-Supermarkt während der Stillen Stunde. © Sabine Hermsdorf-Hiss

Stille Stunde im Edeka: Das heißt, Einkaufen ohne Lärmquellen, ohne Radiogedudel und andere Ablenk-Aktionen. Die Aktion einer ADS-Gruppe läuft an – mit Erfolg.

Wolfratshausen – Als Tim Naumann auf das Knöpfchen drückt, kann Gerty Schoelen ihr breites Lächeln nicht mehr verstecken. „Das ist fantastisch“, sagt sie, als es im Edeka-Markt dunkel wird. Das Licht wird für eine Stunde gedimmt, Lautsprecher-Durchsagen sind tabu, das Radio hat Sendepause: In der „Stillen Stunde“ soll nichts die Besucher ablenken. Die Expertin für das Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS), Gerty Schoelen, hat die Aktion initiiert, die im Supermarkt einige Wochen lang immer mittwochs getestet wird.

Edeka ohne Lärm und ohne Blinklicht: Aktion Stille Stunde startet - Familien begeistert

Um 14.52 Uhr steht sie im Kontrollraum im Obergeschoss des Supermarkts, direkt über dem Verkaufsraum, und freut sich merklich. „Mich haben ganz viele Leute angesprochen“, sagt sie. Die meisten lobten die Stille Stunde-Aktion, „die finden sie gut“, andere fragten nach weiteren Angeboten für ADS-Betroffene, zum Beispiel nach Plätzen in einer der Selbsthilfegruppen, die Schoelen betreut. Ein paar dieser Interessenten sind schon im Laden, als sich der plötzlich grundlegend verändert. Das Licht geht aus, die Musik bricht ab. „Es ist so viel ruhiger“, sagt Schoelen und blickt über ein Konservenregal in einen wenig beleuchteten Gang. „Ganz angenehm.“

Edeka Stille Stunde Tim Naumann
Auf Knopfdruck Stille: Tim Naumann schaltet Licht und Lärm im Edeka ab. © Sabine Hermsdorf-Hiss

Licht gedimmt, Lärm auf Minimum

So wie ihr geht es mehreren Besuchern. Die meisten gehen supermarktunüblich langsam durch die nicht beschallten Regalreihen. Ohne Radiogedudel und aufmerksamkeitsheischende Werbung schlendern viele Kunden mehr, als dass sie hetzen. „Alle sind irgendwie langsamer, nicht so hektisch“, hat eine ältere Dame bemerkt. „Der Einkauf ist sehr entspannt. Die meisten hier kommen wahrscheinlich direkt aus der Arbeit – da ist es doch schön, wenn man dann zumindest hier seine Ruhe hat.“

Sie legt ihren Einkauf aufs Förderband. Auch dort ist es stiller. Das Piepsen der Kasse ist nämlich auf minimale Lautstärke gedrosselt. „Das können wir öfter machen“, sagt ein Mitarbeiter beim Einscannen der Ware. Das Signal sei eh noch nie in voller Lautstärke genutzt worden, meistens wird eine mittlere Einstellung gewählt. „Ganz ausschalten können wir es nicht“, erklärt Marktmanager Naumann. Die Kassenmitarbeiter verlassen sich auf das Piepsen beim Scannen der Ware.

Einkaufen in Ruhe: „Sind deswegen hier“, sagt eine Betroffene

In einem helleren Gang kniet Walter Groß vor einem Regal und vergleicht Tierfutterdosen. Seine Familie ist gemeinsam zum Einkaufen gefahren – und besorgt die Alltagssachen eigentlich woanders. „Wir haben von der Stillen Stunde gehört und sind deswegen hier“, sagt seine Gattin Cornelia. Sie ist ADS-Betroffene – leidet also am Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom. Das H in ADHS steht für Hyperaktivität. Die hat Cornelia Groß nicht. Was sie noch nicht hat: Lust aufs Einkaufen im Supermarkt. Normalerweise zumindest. „Heute ist es richtig angenehm“, sagt sie und blickt durch den Laden. „Meistens ist es stressig für mich, und wenn ich an der Kasse stehe, merke ich, wie viel ich vergessen habe.“

Der Wochenendeinkauf bedeutet für sie viele lästige Umwege im Laden. Das liegt an der Kombination aus ADS und der Reizüberflutung im Markt. Gerne würde ihr Mann öfter für die Familie einkaufen. Beruflich schafft sie es aber besser als er – und macht „dann viele doppelte Wege“. Der Sohn der Familie hat den Einkauf im ruhigen Supermarkt gut durchgehalten. Er sucht sich ein Eis aus der großen Kühltruhe aus – die ist einer der wenigen Orte, die in voller Helligkeit strahlen. Einer jungen Kundin fällt die Stille gar nicht auf. Sie hat Kopfhörer im Ohr. „Ich höre die Musik und die Durchsagen eh nie beim Einkaufen“, sagt sie. Das würde sie sonst nur nerven.

Edeka-Chef ist zufrieden mit Aktion: „Blende die Geräusche immer aus“

Mario Sostaric ist viel unterwegs in dieser Stunde im Supermarkt. Er wird oft angesprochen. „Eine Kundin hat mich gefragt, ob wir Strom sparen müssen, weil es so dunkel und so still ist.“ Als der Marktbetreiber ihr die Aktion erklärt, findet sie das gut. Das sagen Sostaric alle, „die mit mir gesprochen haben“. Einige seien extra dafür gekommen, hat er erfahren. „Es gibt aber auch Kunden, die mögen die Musik beim Einkaufen – und dass es sonst sehr hell hier drinnen ist.“

Vielleicht bleiben die mittwochs zwischen 15 und 16 Uhr weg. Der Markt ist für einen Nachmittag an einem Werktag aber gut gefüllt. Sostaric selbst merkt den Unterschied nur am Anfang. „Wenn wir die Musik aus- und einschalten, fällt es mir auf. Sonst blende ich die ganzen Geräusche aber immer aus.“ Ein Angestellter nickt zustimmend. Naumann gefällt die Aktion auch. „Ich könnte das öfter vertragen. Man kommt in einen ruhigeren Modus.“

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Ein paar Veränderungen gibt es für das Personal. Die größte ist die Kommunikation, weil Durchsagen via Lautsprecher strikt verboten sind. „Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir das Handy nehmen, wenn es dringend ist.“ Und wenn das aus irgendwelchen Gründen scheitert, muss man halt eben durch den Laden laufen. „Das geht schon.“ Gelaufen wird in dieser ersten stillen Stunde ziemlich wenig im Supermarkt.

Initiatorin ist zufrieden, der Edeka-Chef auch

Das gefällt Brigitte Klug aus Waldram. „Ich finde die ganze Aktion sehr gut.“ Sie sei nicht betroffen von ADS, „aber ein bisschen empfindlich bei Lautstärke und wenn alles blinkt.“ Gemeinsam mit ihrem Mann fuhr sie extra für die Aktion zum Edeka an der Sauerlacher Straße. Die Ausführung hält sie für gelungen: „Gerade das Piepsen an der Kasse – das könnte man immer so leise stellen.“

Gerty Schoelen ist nach der Aktion sehr zufrieden. „Es war so, wie ich es mir vorgestellt habe“, sagt die Leiterin einiger Selbsthilfegruppen. An der Kasse hat sie mehrere Leute angesprochen, wie sie die Aktion fanden. Für die Initiatorin gibt es viel Lob. „Das hat mich gefreut.“ Einige Wartende hätten gar nicht gewusst, dass sie zur Stillen Stunde eingekauft haben – „manche haben dann erst gemerkt, woran es liegt, dass sie es so angenehm beim Einkaufen fanden.“

An den drei kommenden Mittwochnachmittagen – auch am morgigen Mittwoch – wird die Testaktion fortgesetzt. Zwischen 15 und 16 Uhr sind die Lautsprecher im Edeka-Markt an der Sauerlacher Straße ausgeschaltet.

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