Der große Münchner Filmemacher Michael Verhoeven ist mit 85 Jahren verstorben. Die Münchner Kulturwelt verliert einen ihrer Besten.
Wie wird das künftig werden, wenn Premiere ist in München? Jetzt nicht die der großen Blockbuster, sondern die der kleinen, feinen Kinofilme. In den Arthouse-Kinos, im City, im Arri, im Rio. Wenn es nicht ums Sehen und Gesehenwerden, sondern um echtes Interesse an der Filmkunst geht. Da war er immer da. Michael Verhoeven, dieser uneitle große Mann des Kinos, hat die Liebe zur Kultur gelebt. Nun ist er im Alter von 85 Jahren verstorben. Wie sein Sohn Simon Verhoeven bestätigte, starb sein Vater zu Wochenbeginn und wurde bereits beigesetzt.
Eine nichtöffentliche Trauerfeier, ohne großes Gewese, das passt zu Michael Verhoeven. Wollte man den Münchner Regisseur und Produzenten erreichen, musste man nicht komplizierte Wege über abblockende Agenturen gehen. Man rief einfach bei der Sentana Filmproduktion in München an. Entweder er nahm ab oder einer seiner zwei Söhne. Michael Verhoeven bedeutete immer auch: Familie Verhoeven.
Dabei war das nun wahrlich nicht vorherzusehen gewesen damals Anfang der Sechziger. 1960 lernte Michael Verhoeven, der seit seiner Kindheit im Theater und in Filmen wie „Das fliegende Klassenzimmer“ (1954) oder „Der Pauker“ (1958) mit Heinz Rühmann gespielt hatte, die aufstrebende Schauspielerin Senta Berger kennen. Köstlich beschreibt sie in ihrer lesenswerten Autobiografie „Ich habe ja gewusst, dass ich fliegen kann“, wie arrogant sie diesen Michael Verhoeven damals fand. Wie sie sich bei ihrem Kennenlernen auf der Berlinale furchtbar stritten. Und wie sie dann 1963 ihren ersten gemeinsamen Film miteinander drehten, „Jack und Jenny“. Gleich in der ersten Einstellung sollte Verhoeven die Berger küssen. Und wollte nicht bloß so tun, als ob. Bei den Proben brach der junge Schauspieler die Szene immer kurz vor dem Filmkuss ab. Doch als dann gedreht wurde, küsste er sie richtig. Es hat Wirkung gezeigt: Von 1966 bis zu seinem Tod waren Senta Berger und Michael Verhoeven verheiratet, haben es geschafft, in fast 60 gemeinsamen Jahren eigenständige Karrieren zu führen. Da war er modern im besten Sinne: ein Mann, der seiner Frau den Rücken stärkte. Als Berger nach Hollywood ging, war er es, der ihr folgte. Und das nicht etwa als Schauspieler, was dann ja auch ihm zum Vorteil hätte gereichen können. Sondern als Arzt.
Gegen den Willen seines Vaters studierte Michael Verhoeven Medizin
Das ist eine hübsche Geschichte, die alles darüber erzählt, aus was für einer Familie dieser 1938 in Berlin geborene Michael Verhoeven kam. Sein Vater war der große Paul Verhoeven (1901-1975), von 1945 bis 1948 Intendant am Bayerischen Staatsschauspiel, später viele Jahre Schauspieldirektor an den Kammerspielen; als Filmregisseur bekannt durch Klassiker wie „Das kalte Herz“ (1950) oder „Heidelberger Romanze“ (1951). Als der Sohnemann seinem Vater verkündete, er wolle Arzt werden, war der: dagegen. Wo andere Eltern Sorge haben, dass die Kinder sich ihre Zukunft mit brotloser Kunst verbauen, war es bei den Verhoevens genau andersherum. Und so entschloss sich der Junior gegen den Willen seines Vaters, Medizin zu studieren, promovierte 1969 über „Psychiatrische Maskierung von Gehirntumoren unter besonderer Berücksichtigung irreführender Befunde“ und arbeitete einige Jahre als Arzt, unter anderem eben in den USA. Seiner großen Liebe wegen.
Als Michael Verhoeven und Senta Berger 1969 nach Europa zurückkehrten, gründeten sie ihre eigene Produktionsfirma. Verwirklichten viele auch international erfolgreiche Filme wie „Die weiße Rose“ (1982), „Das schreckliche Mädchen“ (1990) oder „Mutters Courage“ (1994). Regie jeweils: Michael Verhoeven. Nein, es waren nicht die seichten Stoffe, die ihn interessierten. Ob wie bei „Die weiße Rose“ über die Widerstandsgruppe der Geschwister Scholl oder beim „schrecklichen Mädchen“ über eine Schülerin in Bayern, die für einen Aufsatz über ihre „Heimatstadt im Dritten Reich“ recherchiert und vor dem mangelnden Erinnerungsvermögen der Mitbürger kapitulieren muss: Kritisch blickte Verhoeven zurück auf deutsche Geschichte; letztlich auch auf die der eigenen Familie: Sein Vater Paul hatte während der NS-Zeit Regime-unkritische Unterhaltungsfilme gedreht. Der Sohn wurde für seine politischen Werke mehrfach ausgezeichnet, „Das schreckliche Mädchen“ etwa gewann den Silbernen Bären, den BAFTA als Bester fremdsprachiger Film und war für einen Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert.
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Doch das ganze Können eines Filmemachers zeigt sich eben, wenn man alle Facetten beherrscht – vom Drama bis zur Komödie. Und so bleibt einer von Verhoevens größten Publikumserfolgen die Serie „Die schnelle Gerdi“. In der Hauptrolle als Münchner Taxifahrerin: Senta Berger. Er wusste seine Frau zu inszenieren, nicht nur vor der Kamera, auch am Mikrofon: Wenn die Berger ihr Können als Hörbuchsprecherin zeigte, dann saß meist ihr Ehemann in der Regie.
Die Liebe zum Film haben die zwei an ihre Kinder weitergegeben. Simon Verhoeven (51) ist Regisseur und Drehbuchautor, sein jüngerer Bruder Luca Verhoeven (45) Produzent. Beide Söhne begannen als Schauspieler und arbeiten auch im Familienunternehmen Sentana. Einer ihrer gemeinsamen Hits ist die Komödie „Willkommen bei den Hartmanns“ (2016), Simon schrieb das Buch, führte Regie und produzierte, Michael war Ko-Produzent und Senta Berger spielte eine der Hauptrollen. Erlebte man die ganze Sippe zusammen, ging einem das Herz auf. So unprätentiös, so liebevoll im Umgang miteinander. Unvergessen die Momente, wenn Berger in München auf der Bühne stand. Bei Lesungen zur Vorweihnachtszeit im Münchner Prinzregententheater beispielsweise. Da saßen ihr Mann und die Söhne, später auch die jeweiligen Partnerinnen und Enkel ganz selbstverständlich im Publikum. Und Michael Verhoevens Augen leuchteten verliebt wie am ersten Tag, wenn seine Senta zu sprechen begann. Künftig bleibt sein Platz leer. Das Münchner Kulturleben hat einen seiner Besten verloren.