Ärger um Schöffen - Nach Eskalation im Stuttgarter Bandenkrieg droht ein kurioser Prozess-Abbruch
Erschrocken zuckt einer der Schöffen zusammen, als plötzlich ein Verteidiger die Befragung einer Zeugin durch die Vorsitzende Richterin unterbricht. Der Schöffe zieht sein Handy zurück, an dem er soeben herumgefingert hatte. Zum wiederholten Mal, moniert der Anwalt.
Und das könnte nun verhängnisvoll werden für den Prozess um die Schüsse in Zuffenhausen, bei denen im Frühjahr 2023 ein mutmaßliches Führungsmitglied einer rivalisierenden Gruppierung lebensgefährlich verletzt wurde.
Fünf Verhandlungstage bei der 14. Jugendstrafkammer des Stuttgarter Landgerichts drohen zum Muster ohne Wert zu werden.
Alles noch mal von vorn? In der bewaffneten Dauerfehde zweier multiethnischen Gruppierungen werden drei Angeklagte im Alter von 21 und 22 Jahren als mutmaßliche Angehörige der Gruppe Esslingen-Plochingen-Ludwigsburg beschuldigt, am 17. März 2023 in der Burgunderstraße in Zuffenhausen am Attentat auf einen 32-Jährigen beteiligt gewesen zu sein.
Dieser soll zur Chefetage der Gruppe Zuffenhausen-Göppingen gehört haben. Er überlebte, sitzt seither querschnittsgelähmt im Rollstuhl.
Warum nun eine Rote Karte droht
Seit dem ersten Verhandlungstag am 28. Oktober hat die 14. Jugendkammer unter der Vorsitzenden Richterin Verena Alexander bereits zahlreiche Zeugen gehört. Auch das Schüsse-Opfer selbst wurde unter großen Sicherheitsvorkehrungen zum Vorfall befragt.
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Zuletzt, am fünften Verhandlungstag, hatten die Waffenexperten von Landes- und Bundeskriminalamt das Wort, die feststellten, dass mehr Schützen als bisher bekannt im Spiel gewesen sein müssen.
Am Ende des Tages geriet dann aber ausgerechnet ein Schöffe in der Richterbank ins Visier. Weil er sich, während der Befragung einer 21-jährigen Zeugin über ihre Begegnung mit zwei mutmaßlichen Schützen auf der Flucht, mit seinem Handy beschäftigte. Hatte er etwa die vielen technischen Begriffe von Kalibern, Waffentypen und Marken nachträglich gegoogelt oder eine Stelle im Gesetzestext gesucht? Oder doch private Mails gelesen?
Darüber wird er eine dienstliche Stellungnahme abgeben müssen. Es droht ihm die Rote Karte. Und der Kammer ein kompletter Neustart. Wie kann das sein?
Die Waffen der Verteidigung
Beweis- und Befangenheitsanträge, auch gegen die Richterbank, gehören schon immer zum juristischen Waffenarsenal der Strafverteidiger. Einen Antrag zur Einstellung des Verfahrens wegen angeblich rechtswidriger Abhörmaßnahmen im Gefängnis hat die Vorsitzende Richterin Alexander bereits zurückgewiesen.
Eine Entscheidung über den Antrag, dass die Inhalte der abgehörten Gespräche in der Verhandlung weder erhoben und verwertet werden dürfen, hat die Kammer noch nicht bekannt gegeben.
Nun kommt die Sache mit dem Schöffen hinzu. Die Verteidiger der drei Angeklagten haben jeweils einen Befangenheitsantrag gestellt. „Bisher ist noch keine Entscheidung über diese Ablehnungsgesuche ergangen“, erklärt ein Sprecher des Landgerichts auf Anfrage.
Die Kammer hat dazu 14 Tage Zeit, wird außerhalb der Hauptverhandlung dienstliche Stellungnahmen einholen und die Verfahrensbeteiligten hören.
Droht einem ehrenamtlichen Schöffen eine Strafe?
Das Gesetz verlangt von der Richterbank, zu der auch die ehrenamtlichen Schöffen gehören, volle Aufmerksamkeit, um alle Aspekte der Wahrheitsfindung aufzunehmen. Die Grenzen sind freilich manchmal fließend – zumal heutzutage alle Prozessbeteiligten nebenbei an ihren Laptops hantieren. Eindeutiger ist da ein Fall im Berliner Landgericht, bei denen eine Schöffin bei einem Minutenschlaf ertappt wurde.
Die Verteidigung warf ihr fehlendes Verantwortungsbewusstsein bei der Entscheidung über Schuld oder Unschuld vor. Die Berliner Richter kamen dem Ablehnungsgesuch in diesem Fall aber auch wegen fehlender kognitiver Fähigkeiten nach.
Die Verteidiger im Schüsse-Prozess lehnen den Schöffen „wegen Besorgnis der Befangenheit“ ab. Die Strafprozessordnung sieht dies vor, „wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit zu rechtfertigen“.
Dies gilt für Richter und Schöffen gleichermaßen. Sollte der Schöffe weichen müssen, drohen ihm übrigens keine Sanktionen – auch wenn er dem Verfahren erheblich geschadet hätte. „Das Gesetz sieht keine unmittelbare Konsequenz vor“, sagt ein Sprecher des Landgerichts, „also auch keine Pflicht zur Kostentragung, auch kein Bußgeld.“
Von Wolf-Dieter Obst
Das Original zu diesem Beitrag "Schüsse-Prozess droht kurioser Abbruch" stammt von Stuttgarter Zeitung.