Putins große TV-Show: „Dann redet man eher über seine Gesundheit oder Doppelgänger“
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Expertin erklärt Putins große TV-Show: „Dann redet man eher über seine Gesundheit oder Doppelgänger“
Wladimir Putin wird am Donnerstag auch den Westen mit seiner Riesen-Pressekonferenz beschäftigen. Russland blickt offenbar gemischt auf das Event – oft gibt es Spott.
Der Westen mag im Ukraine-Krieg viele russische Exporte boykottieren – einem Moskauer Medienspektakel kurz vor Weihnachten öffnet er dennoch die Tore. Am Donnerstag (19. Dezember) hält Wladimir Putin seine traditionelle Jahrespressekonferenz. Dann werden jedenfalls die Nachrichtensender und -sendungen in Deutschland mit von der Partei sein. Phoenix etwa übertragt live.
Eine „Sommerpressekonferenz“ des Kanzlers gibt es in Deutschland auch. Aber die mehrstündige Putin-Show samt Bürgerfragen in Russland legt eine größere Bedeutung nahe. Hat sie die? Die in Russland aufgewachsene Slawistin und Medienexpertin Daria Krushcheva zieht das recht stark in Zweifel. Der Termin habe einmal kritische Relevanz besessen – mittlerweile habe er die aber eingebüßt, meint die Wissenschaftlerin der Ruhr-Uni Bochum im Gespräch mit IPPEN.MEDIA.
„Putin ist dafür da, das zu regeln“: Wie die Jahres-PK in Russland funktioniert
Als „Zeichen von gewisser Stabilität im Lande“ diene das Event vor allem, glaubt Krushcheva: „Putin kommt, Putin sagt, was so alles abläuft; Ergebnisse des zurückliegenden, Ziele des neuen Jahres.“ Kritische Fragen gebe es noch, allerdings nicht mehr in dem Ausmaß wie in früheren Jahrzehnten – als unabhängige Journalisten wie der spätere Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow von der Nowaja Gazeta Putin konfrontieren konnten.
„Heute ist da nichts mehr zu erwarten. Keine zufällig ausgewählten Menschen, keine Oppositionelle werden zugelassen“, sagt Krushcheva. „Das ist ein Spektakel, alles wird vorgespielt, das ist ganz klar.“ Muratow gilt dem Kreml mittlerweile als „ausländischer Agent“. Die 2024 zu erwartenden Antworten passen der ausgebildeten Journalistin Krushcheva zufolge in ein klares Inszenierungsschema: Putin werde den „guten Zar“ geben.

Russlands ewiger Präsident verkörpere im Schauspiel der Jahrespressekonferenz „Hoffnung auf Stabilität, gute Zukunft“. „Regionale Regierungen, regionale Administrationen sind dann die Bösen und schuld daran, dass man kein Geld, keine Heizung oder auch andere regionale Probleme hat“, erläutert Krushcheva. „Putin ist dann quasi dafür da, das zu regeln, den Menschen etwas zu versprechen.“ Bei Jahres-PK 2023 schien sogar ein eher kurioser Doppelgänger-Moment Putins in dieses Schema zu passen.
Kritische Fragen könne es auch 2024 durchaus geben. Etwa von den „Soldatenmüttern“, die angesichts des Einsatzes ihrer Söhne im Ukraine-Krieg vielerorts in Russland in Zorn und Sorge sind. Oder von gemeinnützigen Organisationen, denen mit dem Exodus der Mittelschicht aus Russland hinaus die Spendenbasis weggebrochen sei. „Darauf sind sicher auch Antworten vorbereitet“, sagt Krushcheva. Im Übrigen sei das Übliche zu erwarten: Lobpreis traditioneller Werte, der Heimat und der Solidarität in Krisenzeiten, Putins Verweis auf Feinde im Inneren und Äußeren.
Putins Jahres-Pressekonferenz: Ironie bricht durch – schon bei Raketen-Rede im November
Der Politologe Felix Jaitner erwartet zudem ein Hoch auf die wirtschaftliche Entwicklung aus Putins Munde. Die sei zwar in einigen Bereichen tatsächlich positiv, sagt Jaitner IPPEN.MEDIA. Eine wichtige Lokomotive sei vor allem die Rüstungsindustrie. Zugleich verschärften sich aber Entwicklungsunterschiede: „Die Regionen im Kaukasus und im europäischen Norden, um Murmansk etwa, fallen immer weiter zurück“, erklärt der Experte. „Darüber wird er mit Sicherheit nicht reden.“ Auch das Übergreifen des Ukraine-Krieges auf russisches Territorium werde schwer zu erklären sein.
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Nehmen die Menschen in Russland die Inszenierung ernst? Verfolgen sie sie überhaupt im Fernsehen? Krushcheva zufolge keine ganze leicht zu beantwortende Frage. „Ich glaube nicht, dass viele zuschauen“, sagt sie unserer Redaktion. „Wobei: wo das Fernsehen Hauptinformationsquelle ist, bei älteren Menschen, kann das im Hintergrund laufen, in der Küche etwa.“ Ernstlicher Gesprächsstoff sei die Jahrespressekonferenz womöglich für Angehörige von im Krieg befindlichen Soldaten. Ansonsten dominiere in etwaigen Debatten: Ironie.
Memes zum Termin mit Putin verbreiten sich im Netz stets schnell – 2023 etwa machte das Foto eines Lokalpolitikers mit Nudeln über dem Ohr die Runde. Das sei kein Einzelfall. Als Putin unlängst minutenlang eine Drohung mit Oreschnik-Raketen ausbreitete, sei ein Video seiner regungslosen Hände viral gegangen, berichtet Krushcheva. „Dann redet man eher darüber, ob er gesund ist, ob das ein Doppelgänger ist ...“. Teils sei der Spott bereits Gewohnheit, teils vielleicht psychologischer Selbstschutz angesichts bedrückender Rede-Inhalte und Sorgen. Kritik passiere jedenfalls teils anonym, teils bei Exilmedien wie Meduza, Dozhd oder Mediazona.
Putins Russland als Blackbox: Was denken die Menschen im Land über den Ukraine-Krieg?
Wie die Russinnen und Russen tatsächlich zum Ukraine-Krieg stehen, sei schwierig einzuschätzen – das räumten sogar Meinungsforschungsinstitute ein, erklärt Krushcheva. Das liege auch an „alten Instrumenten“ wie Umfragen übers Festnetztelefon. „Die Menschen denken: ‚Sie haben meine Rufnummer, meine Festnetznummer, sie wissen wahrscheinlich, wo ich wohne, wo ich arbeite, wo meine Kinder studieren. Warum soll ich jetzt sagen, dass ich Politik des Staates nicht unterstütze?‘“
Die Bochumer Forscherin meint: Die Menschen in Russland seien müde von Krieg und Hiobsbotschaften, sie hätten Probleme mit Sozialpolitik oder auch Heizung und Warmwasser im Winter. Einheitlich sei die Stimmungslage aber nicht. Bei ihren eigenen Russland-Aufenthalten stelle sie schon im Gespräch mit Familie, älteren Generationen, Nachbarn „Meinungspluralität“ fest. Das sei eine „interessante, wenn auch etwas traurige Beobachtung“. (fn)