Hohe Investitionen - Rente, Agrardiesel, Strom und mehr: So viel Klientelpolitik steckt im Merz-Plan mit der SPD

Der Kurs ist klar: In ihren Sondierungsrunden haben sich CDU, CSU und SPD darauf geeinigt, anpacken zu wollen. Dafür braucht es vor allem eins: viel Geld.

Dieses soll über ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro beschafft werden, das in der kommenden Woche im alten Bundestag verabschiedet werden soll. Das Ziel: Die deutsche Infrastruktur auf Vordermann zu bringen, also Straßen, Schienen, Stromnetze, Schulen, Universitäten und vieles mehr. Das ist bitter nötig.

Doch unter Ökonomen macht sich die Sorge breit, dass diese mögliche finanzielle Beinfreiheit auch für andere Ausgaben genutzt werden könnte – etwa nicht zwingend nötige Wahlgeschenke. „Man muss die Sorge haben, dass durch das Sondervermögen Spielräume im Haushalt geschaffen werden, die anderweitig genutzt werden können“, sagt die Vorsitzende der „Wirtschaftsweisen“, Monika Schnitzer.

Doch welche Geschenke finden sich im Sondierungspapier und welche Vorhaben sind Klientelpolitik? Ein Überblick.

„Rente mit 63“

Die Stabilität der Rente ist eines der zentralen Versprechen der SPD. Im Wahlkampf hatten die Sozialdemokraten darauf gepocht, dass mit ihnen das Rentenniveau von mindestens 48 Prozent bestehen bleibt und dass an der „Rente mit 63“ nicht gerüttelt werde. Langjährig Versicherte können dadurch ohne Abschläge früher in Rente gehen.

  • Monika Schnitzer ist Vorsitzende des Sachverständigenrates Wirtschaft („Wirtschaftsweise“) und Professorin für komparative Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Und es scheint, als habe sich die Partei damit durchgesetzt: Das Rentenniveau werde gesichert, heißt es im Ergebnispapier der Sondierungen zwischen Union und SPD. Zudem bleibe ein Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren auf vollem Niveau weiterhin möglich.

Das ist politisch verständlich, schließlich sind heute schon 40 Prozent der Wahlberechtigten über 60. Da überbringt keine Partei gerne schlechte Nachrichten.

"Eine Stabilisierung der Rentenbeitragssätze ist so nicht erreichbar, und der Bundeshaushalt wird noch mehr als bisher belastet" Ökonomin Monika Schnitzer, Vorsitzende der „Wirtschaftsweisen“, über die Rentenpläne von Union und SPD

Fragt man jedoch führende Ökonomen, dann widerspricht dieses Vorgehen der finanzpolitischen Vernunft. Das Rentensystem werde in den kommenden Jahren durch den demografischen Wandel und den Eintritt der geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge an seine Grenzen geraten, so die Argumentation. Es brauche dringend eine Reform.

Diese bleibt nun vorerst aus. Für Monika Schnitzer, Vorsitzende der „Wirtschaftsweisen“, ein schwerer Fehler, wie sie dem Tagesspiegel sagt: „Eine Stabilisierung der Rentenbeitragssätze ist so nicht erreichbar und der Bundeshaushalt wird noch mehr als bisher belastet.“ Sie befürchtet, dass diese „Wahlgeschenke“, wie sie sagt, dringend benötigte Zukunftsinvestitionen untergraben könnten.

Noch deutlicher äußert sich Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung: „Das ist pure Klientelpolitik“, sagt er. „Das wird finanziell nicht funktionieren. Schon jetzt fließt ein Gutteil der zusätzlichen Einnahmen des Bundes in die Zuschüsse zur Rente.“

Mütterrente

Im Zuge ihrer Rentenpläne zurrten Union und SPD bei ihren Sondierungen noch ein weiteres umstrittenes Instrument fest: die Mütterrente. Diese solle „vollendet“ werden, heißt es.

Dabei handelt es sich um eine ursprünglich von der CSU im Bundestagswahlkampf 2013 eingebrachte Maßnahme, die Müttern und Vätern von vor 1992 geborenen Kindern ein zusätzliches Jahr als Kindererziehungszeit anerkennt – finanziert aus den Rentenkassen, wohlgemerkt. Diese soll nun auch für Kinder gelten, die nach 1992 geboren wurden.

Das Problem: Die Mütterrente ist teuer und ihre Wirkung unter Fachleuten umstritten. Laut Berechnungen der Deutschen Rentenversicherung kostet sie in ihrer alten Form bereits 22 Milliarden Euro jährlich. Durch die nun geplante Ausweitung schlügen pro Jahr weitere 4,5 Milliarden zu Buche.

Expertin Schnitzer hält sie deshalb für „aus der Zeit gefallen“, wie sie kürzlich sagte. Und auch Kritikos glaubt nicht an das Instrument: „Wir müssen Frauen stärker in Erwerbspositionen bringen, etwa durch Verbesserung des Betreuungsangebots und Abschaffung des Ehegattensplittings“, sagt er.

Reduzierung des Strompreises

Union und SPD wollen zudem die Strompreise senken. In ihrem gemeinsamen Sondierungspapier haben sie festgehalten, sowohl die Stromsteuer nahezu abzuschaffen, als auch die sogenannten Übertragungsnetzentgelte zu halbieren.

Insgesamt soll der Strom so für alle um mehrere Cent pro Kilowattstunde billiger werden.

Die Maßnahme zielt aber weniger auf private Haushalte, die pro Jahr rund 200 Euro sparen könnten, sondern auf energieintensive Industrien. Diese hatten sich seit Ausbruch von Russlands Krieg gegen die Ukraine zunehmend über hohe Belastungen durch volatile Strompreise beklagt, diese gefährdeten die Wettbewerbsfähigkeit. Und auch ausländische Unternehmen überdachten aufgrund der teuren Energie zuletzt zunehmend ihre Investitionen in Deutschland.

"Die Energiekosten spielen nur für einen kleinen Teil deutscher Unternehmen eine relevante Rolle" Ökonom Alexander Kritikos

Ist das Vorhaben von Union und SPD also eine gute Idee? Experten sind sich uneins. Kritikos sieht in der Maßnahme eine falsche Priorisierung – und Klientelpolitik: „Die Energiekosten spielen nur für einen kleinen Teil deutscher Unternehmen eine relevante Rolle, nämlich die Autoindustrie und Teile des verarbeitenden Gewerbes“, sagt der Ökonom. „Die freuen sich jetzt natürlich.“

  • Alexander Kritikos ist Forschungsdirektor „Entrepreneurship“ am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)
     

Tatsächlich bestätigen mehrere Umfragen, dass nur ein Bruchteil die teure Energie als größtes Hindernis sieht. Vielmehr stehen bei den allermeisten Betrieben übermäßige Regularien und Bürokratie im Vordergrund. „Das ist eine Frage, die alle Unternehmen betrifft“, sagt Kritikos.

Schnitzer hingegen begrüßt die Kostensenkung beim Strom. Dies sei eine sinnvolle Maßnahme, sagt sie, die die Industrie unterstütze. „Aber es ist unklar, wer für die Halbierung der Netzentgelte die Kosten tragen soll“, sagt Schnitzer.

Entlastung der Gastronomie

Union und SPD wollen zudem eine Senkung der Umsatzsteuer für Speisen auf dauerhaft sieben Prozent.

"Angesichts der Haushaltslage sollten sich solche Geschenke auf Pump eigentlich von selbst verbieten" Ökonomin Monika Schnitzer über eine Senkung der Umsatzsteuer

Das ist als konjunkturelle Maßnahme gedacht, die einerseits die Verbraucher entlasten und andererseits der seit der Pandemie gebeutelten Gastronomie unter die Arme greifen soll. Diese leidet nicht nur besonders unter der Inflation, sondern auch unter dem zurückhaltenden Konsumverhalten der Bevölkerung.

Monika Schnitzer hält von einer Absenkung der Umsatzsteuer wie bereits zu Pandemiezeiten dennoch wenig: „Angesichts der Haushaltslage sollten sich solche Geschenke auf Pump eigentlich von selbst verbieten“, sagt sie.

Erhöhung der Pendlerpauschale

Ein erklärtes Ziel von Union und SPD ist es, „die breite Mittelschicht zu entlasten“, wie es im Sondierungspapier heißt. Das wollen die möglichen Koalitionäre unter anderem mit einer Maßnahme erreichen: Einer unkonkreten Reform der Einkommenssteuer – samt Erhöhung der Pendlerpauschale.

Diese ist seit Jahren umstritten. Mit ihr können Arbeitnehmer die Kosten der Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bei der Steuererklärung als Werbungskosten geltend machen. Konkret heißt das: Es gibt zunächst 30 Cent je Kilometer, dann jeweils 38 Cent vom 21. Kilometer an. Zudem kommt sie vor allem Autofahrern zugute, denn wer mit dem Auto pendelt, bekommt noch einmal mehr.

Das kritisieren Experten seit langem. Die Pauschale fördere lange Arbeitswege mit dem Auto, was weder Arbeitnehmern noch Umwelt guttäte, hieß es schon vor Jahren in einer Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft.

Und sie ist teuer. Die Steuerausfälle als Folge der Entfernungspauschale betrugen laut Schätzung des Bundesfinanzministeriums bereits 2018 etwa sechs Milliarden Euro. Schon heute dürften sie wesentlich höher liegen – und nach den Plänen der Sondierer weiter ansteigen.

Förderung von Agrardiesel

Eigentlich war die Rückvergütung für Agrardiesel schon abgewickelt. Die Ampel hatte die Subvention für Landwirte Ende 2023 abgeschafft, nach der Agrardiesel um fast die Hälfte niedriger besteuert wird als regulärer Diesel. Bis 2026 sollte dies schrittweise enden.

Dagegen gingen Anfang vergangenen Jahres Zehntausende Bauern auf die Straße – offenbar mit Erfolg. Denn im Grundsatzprogramm der Union fand sich wenig später die Forderung, die Rückerstattung wieder in vollem Umfang einzuführen. Und eben das steht nun auch im Sondierungspapier von Union und SPD.

Es ist ein klares Zugeständnis an die Landwirte, die ohnehin mit niedrigen Produktpreisen und vielen Regularien zu kämpfen haben – aber eines, das vergleichsweise günstig zu haben ist. Auf nur rund 450 Millionen Euro Ersparnis hatte der Bund zuletzt die Abschaffung der Förderung taxiert.

Von Dennis Pohl