Amerika nähert sich Russland an - „Bei Trump sind die Kleinen nur Verhandlungsmasse – auch wir Europäer“
Es sind Sätze, die erschauern lassen. Keith Kellogg, ehemaliger Generalleutnant der US-Armee und Sondergesandter für die Ukraine und Russland des US-Präsidenten Donald Trump, sprach sie am Donnerstag auf einem Symposium des Council on Foreign Relations in Washington.
Da argumentierte der 80-Jährige, die Ukrainer hätten sich die Aussetzung der US-Militärhilfe und des Geheimdienstaustauschs „selbst zuzuschreiben“. Dabei bezog er sich auf die Konfrontation des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit Trump im Weißen Haus am Freitag vor einer Woche.
Kellogg gestand ein, dass diese „Zwangsmaßnahmen“ für die Ukraine schmerzhaft seien, aber sie seien auferlegt worden, um die Ukraine zu einer Änderung ihrer Haltung zu bewegen. Und fügte hinzu: „Es ist so, als würde man einem Maultier mit einem Kantholz auf die Nase schlagen.“ Nur so habe man die „Aufmerksamkeit“ der Ukrainer gewinnen können.
Bei diesen Worten ging ein ungläubiges Raunen ging durch den vollbesetzten Saal, in dem sich mehr als hundert Botschafter und andere hochrangige Außenpolitik-Experten der amerikanischen Hauptstadt versammelt hatten.
"Es ist so, als würde man einem Maultier mit einem Kantholz auf die Nase schlagen" Keith Kellogg, ehemaliger Generalleutnant der US-Armee und Präsident Donald Trumps Sondergesandter für die Ukraine und Russland
Die Ukraine als dickköpfiges „Maultier“ zu beschreiben, muss einmal nach drei verlustreichen Jahren russischem Angriffskriegs, in dem die USA bis zum Regierungswechsel in Washington eng an der Seite des attackierten Landes standen, erst mal einfallen. Teilnehmer des Symposiums sprachen anschließend sarkastisch davon, dass man jetzt zumindest „Klarheit“ in Bezug auf die amerikanische Position erlangt habe.
Vor einer Woche, kurz nach dem Eklat im Oval Office, der mit dem Rauswurf Selenskyjs statt der Unterzeichnung eines Rohstoff-Deals endete, hatte die Trump-Administration zunächst angeordnet, die Lieferung von US-Militärhilfe zu stoppen. Kurz darauf folgte ein weitgehender Stopp des Austauschs amerikanischer Geheimdienstinformationen mit der Ukraine. Diese Informationen wurden bisher dafür genutzt, die Ukraine vor russischen Angriffen zu warnen und Informationen über Ziele auf russischem Gebiet zu liefern.
Dass diese Entscheidungen schnell wieder rückgängig gemacht werden, wird zunehmend unwahrscheinlich. Am Sonntag deutete Trump an, dass er von Selenskyj mehr als nur die Unterzeichnung des Rohstoffabkommens sehen will.
Der US-Sender NBC News berichtete, der US-Präsident habe in privaten Gesprächen deutlich gemacht, dass er wünscht, dass die Ukraine sich auch bereit erklärt, Zugeständnisse an Russland zu machen. Zudem solle die Ukraine die Weichen für Neuwahlen stellen.
Alina Polyakova, Präsidentin und Geschäftsführerin des Thinktanks Center for European Policy Analysis in Washington, sagte dem Tagesspiegel: „Es ist klar, dass die Ukrainer sehr unter dem Mangel an Informationen leiden, die die Vereinigten Staaten nicht mehr mit ihnen teilen.“ Das sei aber nicht alles, so Polyakova.
- Alina Polyakova ist Präsidentin und CEO des US-Thinktanks Center for European Policy Analysis (CEPA) in Washington sowie Senior Fellow an der School of Advanced International Studies (SAIS) der Johns Hopkins University.
„Ich fürchte, dass es eine Bereitschaft geben könnte, den Russen wichtige Informationen etwa über die Stellungen der ukrainischen Armee mitzuteilen“, – oder dass dies zumindest als Drohung benutzt werde, um Selenskyj wieder an den Verhandlungstisch zu bekommen.
Polyakova ist sich sicher: „Die Ukrainer sollen in eine Lage gebracht werden, in der sie sich gezwungen sehen, ein Abkommen zu akzeptieren, das ihnen weder kurz- noch mittel- oder langfristig Vorteile bringt.“
Experten schätzen, dass die Ukraine etwa fünf Prozent der weltweiten Vorkommen kritischer Rohstoffe besitzt. Die USA wiederum verfügen nur ein bis zwei Prozent, obwohl sie zwölfmal so groß sind.
Trumps Nationaler Sicherheitsberater Mike Waltz hatte am Mittwoch gesagt, dass die Unterbrechung der militärischen und geheimdienstlichen Unterstützung aufgehoben werde, sobald ein Termin für Friedensgespräche mit Russland feststehe.
In dieser Woche soll es nun erst mal ein amerikanisch-ukrainisches Treffen in Saudi-Arabien geben. Dabei soll nach US-Angaben ein „Rahmen für ein Friedensabkommen und einen ersten Waffenstillstand“ besprochen werden.
Trump-Regierung sieht Engagement mit Russland als strategisch notwendig an
Kellogg offenbarte bei seinem Auftritt, wie die Trump-Regierung die Kriegsparteien in der Ukraine inzwischen sieht – und ihre Rolle. Das Engagement der Trump-Administration mit Russland liege im „vitalen nationalen Interesse“ der Vereinigten Staaten, sagte er. Er kritisierte die Vorgängerregierung von Joe Biden für ihre Weigerung, mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu verhandeln.
„Bei Präsident Trumps Vorgehen in diesem Krieg ist eine weitreichende Strategie im Spiel, die von der Erkenntnis geprägt ist, dass die Vereinigten Staaten die Beziehungen zu Russland neu gestalten müssen“, sagte er.
„Die fortgesetzte Isolation und der Mangel an Engagement mit den Russen, während der Krieg in der Ukraine weiterging, ist keine praktikable oder nachhaltige Strategie mehr, und es ist sicherlich kein verantwortungsvoller diplomatischer Ansatz für die Vereinigten Staaten, diese fortzusetzen.“
Beide Seiten müssten an den Tisch gebracht werden, um eine Friedenslösung zu finden, sagte Kellogg weiter. Dazu müssten „carrots and sticks“, Zuckerbrot und Peitsche, auf beiden Seiten zum Einsatz kommen.
Auf die Frage, mit welcher „Peitsche“ die USA in jüngster Zeit Druck auf Russland ausgeübt hätten, verwies Kellogg auf Sanktionen gegen den russischen Energiesektor und die „Schattenflotte“ von Öltankern sowie auf die Drohung, eingefrorene russische Vermögenswerte zur Unterstützung der Ukraine einzusetzen.
Peitsche für die Ukraine, Zuckerbrot für Russland?
Aus Sicht der Europäer, der Ukraine und vieler Experten hat die Trump-Regierung allerdings bisher nur auf die Ukraine Druck ausgeübt. Nach einem verheerenden Angriff drohte Trump am Freitag zwar auch einmal Russland und erklärte, er ziehe Sanktionen und Zölle gegen Russland „stark in Erwägung“, um es an den Verhandlungstisch zu zwingen. Aber kurz darauf äußerte er wieder Verständnis für das Vorgehen Putins.
Bei der Diskussion nach Kelloggs Auftritt sagte die Russlandexpertin Fiona Hill, in Trumps erster Amtszeit Direktorin für europäische und russische Angelegenheiten beim Nationalen Sicherheitsrat, Teile der US-Regierung hätten „sowohl die russischen Argumente als auch die russischen Positionen vollständig übernommen“.
Man müsse sich bei Verhandlungen mit Russland aber klar darüber sein, dass „je nach Beschaffenheit der Karotten diese entweder gegessen oder einem auf den Kopf geschlagen werden“.
- Ben Hodges Generalleutnant a. D., war Befehlshaber der US-Armee in Europa.
Der ehemalige US-General Ben Hodges sagte dem Tagesspiegel, Putin könne nur gewinnen, wenn das Weiße Haus ihm helfe. „Denn die Russen stecken derzeit in großen Schwierigkeiten.“ Wenn Trump erkläre, Putin habe ihm versichert, er wolle auch Frieden, dann sei das schlicht falsch.
„Russland will auch weiterhin den Nachbarländern seinen Willen aufzwingen und ist von seinen Kriegszielen kein bisschen abgewichen. Dazu gehören die Zerstörung der Ukraine als Staat und die Zerstörung der Idee der Ukraine als Staat.“
Die Russen zeigten keinerlei Anzeichen dafür, dass sie tatsächlich an einem friedlichen und fairen Ergebnis interessiert sind, so Hodges. Da die US-Regierung das auch wisse, verstehe er nicht, warum sie diesen Weg weiterverfolge.
"Nie im Leben hätte ich mir träumen lassen, dass die Vereinigten Staaten Russland gegen eine europäische Nation unterstützen würden" US-General Ben Hodges
„Wenn man zynisch ist, kann man sagen: weil sie viel mehr daran interessiert ist, die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland wieder zu öffnen und Gebiete aufzuteilen, als wäre es das 18. Jahrhundert.“ Vor Europa wiederum habe Trump keinen Respekt.
Die Entscheidung der Vereinigten Staaten, den Informationsaustausch mit der Ukraine einzustellen, kritisierte Hodges scharf. „Ich weiß nicht, inwiefern dies den Interessen Amerikas dient.“ Dadurch werde der Eindruck erweckt, dass Washington eindeutig Partei für Russland ergriffen und kein Interesse daran habe, der Ukraine zu einer günstigen Verhandlungsposition zu verhelfen. „Nie im Leben hätte ich mir träumen lassen, dass die Vereinigten Staaten Russland gegen eine europäische Nation unterstützen würden.“
- Claudia Major ist ab März Senior Vice President beim transatlantischen Thinktank German Marshall Fund. Zuvor leitete sie die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
So sieht das auch Claudia Major, Sicherheitsexpertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die Aussagen Kelloggs könne man nicht mehr falsch verstehen, sagte sie dem Tagesspiegel. Es gehe um einen Reset, eine Neuausrichtung der Beziehungen mit Russland. „Bei solch einer Großmachtpolitik sind die Kleinen nicht auf Augenhöhe, sondern Verhandlungsmasse“ – und das gelte auch für die Europäer.
Der Wegfall des Geheimdienstaustauschs treffe die Ukrainer sehr, das könnten sie nur teilweise ersetzen, so Major weiter. „Es geht vereinfacht gesagt um Augen und Ohren der Streitkräfte, um Aufklärung und Zielerfassung.“ Das Problem sei das Gesamtpaket: „Die finanzielle Hilfe fällt weg, die militärische, und die politische. Und die USA werden vom Verbündeten Kiews zum Partner von Moskau.“
Anders als Trump nannte Kellogg am Donnerstag zwar Russland als Aggressor. „Russlands Handlungen waren ein Katalysator für eine umfassendere Krise in ganz Europa, zu der auch die anhaltende Energieversorgung von Flüchtlingen, Sicherheit, Nahrungsmittelknappheit, Inflation und Probleme mit der Verteidigungsbereitschaft in der gesamten Gemeinschaft gehören.“ Er habe „die Zerstörung durch Russlands Krieg“ mit eigenen Augen gesehen.
Aber in der Regierung ist inzwischen von dem „russisch-ukrainischen Krieg“ die Rede – und die USA stimmten vor anderthalb Wochen gegen eine Resolution der Vereinten Nationen, die Russland als Aggressor in diesem Krieg bezeichnete.
Von Juliane Schäuble
Das Original zu diesem Beitrag "Amerika nähert sich Russland an: „Bei Trump sind die Kleinen Verhandlungsmasse – auch wir Europäer“" stammt von Tagesspiegel.