Rückzug aus privaten Gründen - Nach Baerbock-Aus stehen die Grünen vor Dilemma - und die Zweifel beginnen schon
Das Gespür fürs richtige Timing hat Annalena Baerbock nicht verlernt. Nur wenige Stunden nach der Rede von US-Präsident Donald Trump und der Entscheidung von Schwarz-Rot, ein milliardenschweres Sondervermögen aufzusetzen und die Schuldenbremse reformieren zu wollen, meldet sich die Außenministerin am Mittwochmorgen in einem Brief an die Bundestagsfraktion zu Wort.
Auf knapp zwei Seiten erklärt sie darin ihren Abschied aus der ersten Reihe der Grünen. Aus persönlichen Gründen habe sie sich entschieden,„erst einmal einen Schritt aus dem grellen Scheinwerferlicht zu machen und mich für kein führendes Amt in der Bundestagsfraktion zu bewerben”, schreibt Baerbock darin.
Von dem Beben um Baerbock nimmt kaum jemand Kenntnis
Für die Grünen ist es – nach dem Rückzug von Robert Habeck – ein weiteres Beben. Nach dem enttäuschenden Abschneiden der Grünen bei der Bundestagswahl ziehen damit nun die beiden prominentesten Gesichter Konsequenzen und wechseln vom Rampenlicht auf die parlamentarische Hinterbank.
Doch von dem Beben nimmt am Dienstag kaum jemand Kenntnis. Kaum würdigende Tweets von Parteifreunden, keine Petition gegen ihren Rückzug. Zu aufgewühlt die Weltlage, zu bewegt die ersten Schritte einer sich anbahnenden neuen Koalition.
Der Zeitpunkt dürfte Teil von Baerbocks Kalkül sein. In ihrem Abschiedsschreiben betont Baerbock, sie habe bewusst die Hamburg-Wahl abwarten wollen. „Auch weil ich nach Jahren auf Highspeed ein paar Tage nachdenken wollte, was dieser Moment für meine Familie und mich bedeutet.” Für die Jahre an der Spitze der Partei und als oberste Diplomatin Deutschland habe sie auch einen „privaten Preis” gezahlt.
Einen intimen Einblick hatte Baerbock im „Zeit”-Magazin, das sie über fünf Jahre begleitet hatte, vor wenigen Wochen gegeben. Ihre Kinder hätten zeitweise von Sicherheitsleuten beschützt werden müssen, sie habe Urlaube mit der Familie abgesagt, es gab einen Stalkingversuch.
Im vergangenen November war zudem die Trennung von Baerbock und ihrem Mann bekannt geworden.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass in den Tagen nach der Bundestagswahl Unmut über Baerbock laut geworden war. Vor allem in ihrem eigenen Realo-Flügel hatten es zahlreiche Grüne kritisch gesehen, dass die langjährige Parteivorsitzende und Außenministerin das frische Gesicht für den Neuanfang werden sollte. In der Fraktionssitzung habe sie belehrend gewirkt, hieß es hinter vorgehaltener Hand.
Es waren neue Töne aus der Partei, die Baerbock lange treuer ergeben war als Robert Habeck. Anders als der Norddeutsche, der erst mit Mitte 30 als Quereinsteiger bei den Grünen eintrat, galt Baerbock immer als Kind der Partei.
Noch während ihres Studiums machte sie ein Praktikum bei einer Europaabgeordneten der Grünen – und war schon wenig später deren Büroleiterin.
Auf Parteitagen kam Baerbock immer besser an als Habeck
Ebenso schnell machte Baerbock Karriere innerhalb der Partei. Mit 28 Jahren wurde sie Landesvorsitzende der Grünen in Brandenburg, mit 32 zog sie erstmals in den Bundestag ein, mit 37 Jahren Parteivorsitzende.
„Wir wählen hier heute nicht nur die Frau an Roberts Seite”, machte sie schon bei ihrer Wahl damals deutlich und eroberte damit die feministischen Herzen der Grünen. Über Jahre kam Habeck in der Öffentlichkeit besser an, doch auf Parteitagen holte Baerbock die besseren Ergebnisse, bekam mehr Applaus.
Baerbock verstand es, nicht nur den Ton zu treffen, sondern auch flügelübergreifend mächtige Netzwerke in der Partei zu knüpfen. Schon in der Zeit, in der sie in der Antragskommission die inhaltlichen Vorschläge der Basis bearbeitete, sammelte sie fleißig Telefonnummern. Der Grundstein für ihre Kanzlerkandidatur 2021, bei der sie Habeck düpierte.
Baerbock hatte sich immer mehr von den Grünen entfernt
Doch in den vergangenen Jahren hat sich Baerbock immer weiter von der Partei entfernt. Als Außenministerin konnte sie nicht mehr auf jedem Landesparteitag persönlich vorbeischauen.
Aber auch programmatisch musste Baerbock – etwa bei den Waffenlieferungen an Saudi-Arabien und der Zustimmung für ein gemeinsames europäisches Asylsystem – Kompromisse machen, die ihre Partei kritisch sah.
Neustart mit einer gespaltenen Fraktion wäre für Baerbock keine Option gewesen
Zwar sind sich viele Grüne sicher, dass Baerbock bei einer Kampfabstimmung in der Fraktion noch einmal eine Mehrheit für sich bekommen hätte, doch die Stimmung hat sich zuletzt verändert. Ein Neustart mit einer gespaltenen Fraktion – das wäre für Baerbock wohl keine Option gewesen.
Die Frage, wie es nach der Ära Habeck und Baerbock bei den Grünen weitergeht, hat die 44-Jährige in ihrem Brief bereits beantwortet.„Mit zwei starken Frauen an ihrer Spitze beginnt jetzt ein neues Kapitel für unsere Fraktion”, schrieb sie mit Verweis auf Britta Haßelmann und Katharina Dröge. Die beiden Frauen, die die Fraktion schon durch die Ampel-Jahre führten, sollen diesen Job auch weiterhin übernehmen.
Sorgen bei Grünen: Wer künftig das Gesicht der Partei wird, ist völlig unklar
Dabei sind die Zweifel auch in der Partei groß. Dröge und Haßelmann wird eine integrative Kraft bescheinigt, die Fraktion würden sie gut zusammenhalten.
Doch ihre Außenwirkung sei überschaubar, heißt es diplomatisch. Wer künftig das Gesicht der Grünen wird, ist völlig unklar.
Ihr Mandat will Baerbock jedoch weiter ausfüllen, heißt es aus ihrem Umfeld. In einer der hinteren Reihen im Parlament dürfte sie dann wieder auf Robert Habeck treffen. Zumindest für den Moment.
Als Außenministerin habe sie sich ein beeindruckendes Telefonbuch zugelegt, heißt es. Die internationale Politik ist ihr neues Netzwerk. Vielleicht findet sich für die 44-Jährige ja schon bald eine neue Herausforderung.
Von Felix Hackenbruch
Das Original zu diesem Beitrag „Baerbocks Abschied: Das Ende einer Netzwerkerin” stammt von Tagesspiegel.