Von Tomate bis Mammut: Vortrag beim „Zukunftsbündnis Allgäu“ warnt vor Risiken der neuen Gentechnik
Das Zukunftsbündnis Allgäu hatte Gentechnik-Experten und -Kritiker Dr. Christoph Then sowie IG-Für-Gründer Georg Sedlmaier für einen Vortrag über die neue Gentechnik nach Kempten eingeladen.
Kempten – Es klingt unmöglich, doch haben es sich eine US-Firma und ein Forschertrupp vorgenommen: Sie wollen das Erbgut von Elefanten mittels neuer Gentechnik so verändern, dass sie ein Fell entwickeln wie ein Mammut; mit dem Ziel, sie in Sibirien freizulassen, damit diese nun gegen Kälte geschützten Tiere die Erde feststampfen. So erhoffen sie sich, dass der Permafrost langsamer auftaut, die Treibhausgase länger im Boden verbleiben und sich der Klimawandel verlangsamt. „Es wird etwas gemacht, was spektakulär ist, wo man sagen kann, da retten wir die Welt“, sagte Dr. Christoph Then zur Zielrichtung. Das „wofür“ sei dagegen oft nicht sehr überzeugend.
Then ist Tierarzt und wissenschaftlicher Direktor der NGO Testbiotech und wirkt im wissenschaftlichen Beirat der „Interessensgemeinschaft für gesunde Lebensmittel IG FÜR“. Der BR24 betitelt ihn als den „einflussreichsten Kritiker der Gentechnik“. Das Zukunftsbündnis Allgäu hatte ihn und IG-FÜR-Gründer Georg Sedlmaier zu einem Vortrag über die neue Gentechnik (Neue genomische Techniken, NGT) ins Margaretha- und Josefinenstift geladen. Denn ganz aktuell liegt ein Gesetzesvorschlag der EU-Kommission zur Deregulierung von Pflanzen aus NGT auf dem Tisch. Kritiker befürchten, dass sie ohne Risikoprüfung, ohne Zulassungsverfahren und Kennzeichnung auf die Felder und den Markt gelangen.
Sedlmaier zum Vorschlag der Deregulierung von Pflanzen aus neuer Gentechnik: „Das verwischt alles“
Vor allem der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und den Vertretern der Biobranche graben die Verhandlungen auf EU-Ebene die Sorgenfalten auf die Stirn. „Das verwischt alles“, sagt Sedlmaier und kritisiert die fehlende Wahlfreiheit für Verbraucher. Ärzte aus der IG FÜR sorgten sich wegen etwaiger gesundheitlicher Folgen, erzählte er.
Christoph Then verdeutlichte das neue Verfahren und mögliche Folgen und griff zunächst auf ein Beispiel aus alter Gentechnik zurück, denn die Risiken alter und neuer Technik seien vergleichbar: In Papaya-Bäume wurde in den 90er-Jahren das Erbgut eines Virus eingebaut, der sie resistent machte gegen das Ringspot-Virus. Die Bäume samten aus und verbreiteten sich, gleichzeitig wurde das Virus resistent und passte sich an. Man fand solche verwilderten transgenen Papaya-Bäume, die noch ein anderes Virus in sich trugen. Beide zusammen könnten die Bildung neuer Viren befeuern, „ein Biotop für die Ausbreitung des Virus“. „Oft passieren die Schäden erst viele Jahre später“, sagte der Experte, „aber dann ist es zu spät, die Bäume wachsen überall weiter.“
Die alte Gentechnik beschränkte sich im Allgemeinen darauf, durch das Einpflanzen von Genen über die Artgrenzen hinweg, Ackerpflanzen wie Mais und Soja resistent zu machen gegen Herbizide oder Krankheiten. Dazu wurde oft ein Insektizid-Gen eingebaut.
Vortragsabend in Kempten: So funktioniert die Neue Gentechnik
Bei NGT sei das nicht unbedingt der Fall. Zum einen betrifft sie neben Kulturpflanzen auch Wildpflanzen und Tiere, zum anderen geschehen die Veränderungen im pflanzen- oder tiereigenen Erbgut selbst. Oftmals „ein komplexer Vorgang, mit vielen Fehlern behaftet“, so Then: Mittels einer Genanalyse kann man ein Gen für eine bestimmte Eigenschaft lokalisieren. Dann wird eine spiegelbildliche RNA des DNA-Abschnitts erstellt.
Der synthetisierte RNA-Abschnitt findet den entsprechenden Abschnitt in der DNA. Anschließend schneidet die Genschere CRISPR/Cas (ein Enzym). Die Zelle versucht, die ursprüngliche Genfunktion zwar wieder herzustellen, aber die Schere schneidet so lange, bis die Funktion verschwunden ist. „Oft wird ein DNA-Abschnitt verändert, der mehrere Gene reguliert“, erklärte Then. Zum Beispiel wachse eine fiktive Pflanze schneller und könne gleichzeitig krankheitsanfälliger sein.
Am Ende müsse man Züchtungen anstellen, um die Genschere, die zuerst eingeschossen wurde, wieder herauszubekommen.
Nur wenige Änderungen im Erbgut reichten, um drastische Wirkungen zu erzielen, die in der Natur auch durch zufällige Mutationen nicht vorkämen. Zum Beispiel entstünden Pflanzen, deren arteigene Merkmale, wie die Blüten, verändert sind.
Beispiele mit NGT-veränderten Pflanzen
Mit nur sechs Veränderungen im Erbgut hätte man zum Beispiel aus einer Wildtomate eine neu domestizierte Tomate erhalten, allerdings mit anderen Inhaltsstoffen, die nicht so sicher seien wie die von lange gezüchteten Sorten. Eine andere Tomate, die sogenannte GABA-Tomate, die in Läden in Japan zu finden ist, weist einen sehr hohen Gehalt an Gamma-Aminobuttersäure auf und soll blutdrucksenkend wirken. Nach Informationen von Testbiotech seien weder diese Wirkung noch gesundheitliche Risiken überprüft worden. Sie würden aber mit dem Hinweis verkauft, dass Schwangere und Stillende sie nicht verzehren sollen.
Leindotter, der gentechnisch verändert als Agrosprit verwendet werden soll, fehlen die mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Diese sind aber notwendig für die Lernprozesse von Bienen und deren Fortpflanzung. Gleichzeitig würden die Tiere den Pollen und so die Pflanze kilometerweit verbreiten.
Gentechnik-Kritiker Dr. Christoph Then zu den Deregulierungsbestrebungen: „Ich finde das bedrohlich“
Beim Versuch, einen glutenfreien Weizen zu kreieren, wurde an 45 Stellen gleichzeitig geschnitten. Dabei kam es laut dem Mann von Testbiotech zu unvorhergesehenen Reaktionen. An manchen der geschnittenen Stellen produzierte das Gen ein neues Eiweiß, an anderen baute die Pflanze das Erbgut der Genschere ein.
Die EU-Kommission regt nun eine Deregulierung von NGT-Pflanzen an. Dazu will sie sogenannte „Kategorie 1“-Pflanzen einführen, die dem Vorschlag zufolge gleichwertig mit konventionell gezüchteten Pflanzen sein sollen. Sie müssten nicht gekennzeichnet werden, keine Risikobewertung durchlaufen und wären von der Überwachung befreit. Bis zu 20 genetische Veränderungen wären in Kategorie 1 erlaubt. „Es gibt keine Beweise“ für diesen Schwellenwert, erklärte Then. Die ganze Lebensmittelkette sei dann betroffen. Ohne Nachweisverfahren „kann man nur vermuten, was in den Lebensmitteln drin ist“. Noch wird der Vorschlag der Kommission auf EU-Ebene allerdings im Trilog verhandelt.
„Man sollte wissen, was man macht, und die Kontrolle behalten, bevor man es einführt!“
Möglich seien mittlerweile auch Änderungen an Tieren. Die Richtung, in die sie weisen, befand der Forscher für ethisch sehr fraglich. Da sei zum Beispiel eine Seebrasse, deren Wirbelsäule durch übermäßiges Muskelwachstum gekrümmt sei, „Tierquälerei“, wie er fand. Die Manipulation an Tieren brächten außerdem zahlreiche Tot- oder Krankgeburten mit sich, weil die Embryonen in Leihmütter eingepflanzt werden.
Nun bestehe die Angst, dass beim Aufeinandertreffen von gentechnisch Veränderten Lebewesen Wechselwirkungen entstehen, die nicht vorherzusehen sind. Wie beim Klimawandel, der die Ökosysteme in ihrer Anpassungsfähigkeit überfordere, könnte es bei zu vielen gentechnisch veränderten Organismen dazu kommen, dass Interaktionen nicht mehr möglich seien.
Die Entwicklung sei rasant. So warne der KI-Pionier Mustafa Suleyman in seinem Buch vor der Verbindung von KI und NGT, weile sich damit besonders infektiöse Viren generieren ließen. „Man sollte wissen, was man macht, und die Kontrolle behalten, bevor man es einführt!“, forderte Then.
Gentechnik Patente: Es geht ums Geld
Und wo Gentechnik draufsteht, sind immer Patente drin. Georg Sedlmaier, Lebensmittelkaufmann, IG-FÜR-Gründer und Buchautor engagiert sich seit 1997 für vitale und natürliche Lebensmittel und hat der Gentechnik seither den Kampf angesagt. Mittlerweile hat der 80-Jährige 700 Menschen, Institutionen, Unternehmen und Vereine der „Interessensgemeinschaft für gesunde Lebensmittel“ versammelt. Eindringlich warnte er: „Natürliche Pflanzen, Weizen, Reis, Kartoffeln, Roggen, Soja, werden technisch nachgebaut. Und darauf gibt es Patente. Und die Patentinhaber können dann sagen, wer zu welchem Preis etwas bekommt.“ Sein Appell: „Jeder Einkauf ist ein Stimmzettel!“
Das etwa 50-köpfige Publikum beim Vortrag zeigte sich sehr interessiert. Einige Zuhörerinnen schrieben eifrig mit. Zahlreiche Fragen wurden laut, zum Beispiel von Dr. Sarah Verweyen vom veranstaltenden „Zukunftsbündnis Allgäu“. Sie hatte sich mit Wissenschafts-Podcasts auf den Vortrag vorbereitet. Dort habe es immer geheißen, die NGT sei essenziell für die Klimaanpassung. Sie fragte Then nach seiner Meinung dazu. Man müsse nicht alles verbieten, sagte der. Aber es gehe darum, ob die Pflanzen, die verändert werden, im Klimawandel eine Rolle spielen. Die Tomate zeige, „man verkauft einfach etwas, was man für sicher hält, um Kasse zu machen“. Auch im Kommissionsvorschlag würden keine Pflanzen bevorzugt, die sich im Klimawandel als hilfreich erweisen. Außerdem habe man versäumt, eine unabhängige Begleitforschung aufzubauen. „Alle, die sich damit auskennen, kriegen Geld dafür.“ Der Experte sprach sich stattdessen für mehr Vielfalt auf dem Acker aus, die auch bei wechselnden klimatischen Bedingungen für Stabilität sorge.
Mit dem Kreisbote-Newsletter täglich zum Feierabend oder mit der neuen „Kreisbote“-App immer aktuell über die wichtigsten Geschichten informiert.
Feste, Konzerte, Ausstellungen: Was man in Kempten und Umgebung unternehmen kann, lesen Sie im Veranstaltungskalender.