„Partnerin von“, „Ex-Frau von“ oder „Anhängsel von“: In 82 Prozent aller Medienberichte geht es um Männer
Frauen kommen in Artikeln deutlich seltener vor als Männer. Das liegt nicht daran, dass es nur wenige Chefredakteurinnen gibt, sagt Journalist Stefan Mair. Doch woran sonst?
Im Jahr 2021 schrieb die Politikerin und Publizistin Marina Weisband über ein Phänomen, für das es bis heute keinen Begriff gibt. Es ging in dem Beitrag, der im Deutschlandfunk erschienen ist, um den Mechanismus, dass Frauen in journalistischen Artikeln oft nur als „Partnerin von“, „Ex-Frau von“ oder „Anhängsel von“ benannt werden. Sie bekommen keinen Nachnamen und keine Funktion. Weisband listete einige Beispiele für diese These auf, doch etwas Entscheidendes fehlte: Belege. So drückte sie in erster Linie ein Gefühl aus – das Weisband allerdings nicht exklusiv hat.
Auch Stefan Mair hatte ein Bauchgefühl, doch der Journalist von der Schweizer Handelszeitung wollte es genau wissen. „Ich beschäftige mich viel mit Wirtschaftsthemen, womöglich bin ich deshalb sehr auf Zahlen, Daten und Fakten fokussiert“, sagt er im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. Gemeinsam mit Annabella Bassler, Finanzchefin des Ringier-Verlags, untersuchte er, wie oft Frauen in den Medien abgebildet werden. Mithilfe einer Software haben sie jeden Artikel des Ringier-Verlags ausgewertet. Herausgekommen ist ein Buch („Ein Ratgeber für mehr Diversität und Gleichberechtigung in den Medien“) und ein schockierendes Ergebnis: Medienberichte in der Schweiz handeln zu 77 Prozent von Männern. Laut dem Global Media Monitoring Project 2021 liegt der Anteil weltweit sogar bei 82 Prozent.
Frauen reagieren zögerlicher auf Medienanfragen
Bei der Suche nach Gründen kommt Mair schnell auf ein Problem zu sprechen, das hausgemacht scheint. „Von vielen Journalisten weiß ich, dass sie bei einer Interview-Anfrage nicht auf das Geschlecht achten. Allerdings merke ich selbst auch oft, dass Frauen zögerlicher auf Anfragen reagieren, mehr Nachfragen stellen. Welche Zitate werden verwendet? Welches Foto zeigt ihr? Da sind wir Journalisten in der Pflicht, Ängste zu nehmen.“ Für die Ängste, zum Beispiel bei der Auswahl der Fotos, gebe es Gründe. „Wir haben Expertinnen genau dazu befragt. Dabei kam heraus, dass sie in den Kommentarspalten sehr oft nach ihrem Aussehen bewertet werden“, sagt Mair.
Die Gleichstellungsinitiative „Pro Quote“ erhebt jedes Jahr, wie viele Frauen in den Führungspositionen deutscher Leitmedien arbeiten. Der Anteil steigt langsam. Bei der letzten Zählung im Juli 2023 bestand die Leitung der betrachteten Redaktionen (u.a. Spiegel, Süddeutsche Zeitung und Frankfurter Allgemeine Zeitung) zu durchschnittlich 39,3 Prozent aus Frauen. Das sind 0,4 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Erstmals lag der sogenannte Frauenmachtanteil bei fünf der neun betrachteten Redaktionen über 40 Prozent. Zum Vergleich: Im Jahr 2012 lag die Quote noch bei 13,7 Prozent.
Journalisten-Netzwerke sind oft von Männern dominiert
Stefan Mair glaubt nicht, dass es einen direkten kausalen Zusammenhang zur Art der Berichterstattung gibt. „Wir müssen nicht die Zahl der Chefredakteurinnen erhöhen. Ich glaube nicht, dass Frauen und Männer grundsätzlich unterschiedlich arbeiten“, sagt Mair. „Das Problem ist doch eher, dass Journalisten und Journalistinnen oft ein Netzwerk aus Personen haben. Da werden dann immer wieder die gleichen Personen angerufen – und das sind in den entscheidenden Machtpositionen eben nach wie vor oft Männer.“
Eine Quote lehnt Mair ab. Er sieht sich mit seinem Projekt nicht in der Position, Forderungen aufzustellen, sondern eher den Ist-Zustand abzubilden. „Wir wollten erstmal die Möglichkeit dafür schaffen, dass Redaktionen schwarz auf weiß herausfinden können, wie unterschiedlich oft Männer und Frauen zu Wort kommen“, sagt er. Was aus diesem Befund folgt, obliege der jeweiligen Redaktion.
KI im Journalismus: „Sexistisch“ geprägt
Die Frage nach der Abbildung von Geschlechtern ist vor dem Hintergrund der rasenden KI-Ausbreitung hochaktuell. Vielerorts wird im Journalismus gerade mit künstlicher Intelligenz experimentiert – etwa bei der Vorbereitung von Interviews, der Texterstellung und auch der Bildgestaltung (auch bei IPPEN.MEDIA). „Gerade da sehen wir, wie sexistisch die KI arbeitet“, sagt Mair.„Wenn wir uns im Kontext von Wirtschaftsthemen ein Bild generieren lassen, stellen wir immer wieder fest, dass Frauen tiefe Ausschnitte haben und hohe Schuhe tragen. Das ist ja auch nachvollziehbar, die KI kann nur mit dem arbeiten, was bereits vorhanden ist – und unsere Analyse zeigt ja, dass Frauen sehr lange nicht gleichwertig in den Medien abgebildet wurden und werden.“