Putin-Dilemma in Nahost: Russland büßt massiv an Einfluss ein – „sehr, sehr viel verloren“
Wladimir Putin weiß sich und Russland jahrelang als wichtiger Player im Nahen Osten zu positionieren. Binnen weniger Monate kassiert er aber mehrere Nackenschläge.
Moskau – Erst Syrien, nun der Iran. Für Wladimir Putin läuft es im Nahen Osten seit einiger Zeit gar nicht mehr nach Plan. In Damaskus wurde der vom Kreml-Chef unterstützte Diktator Baschar al-Assad Ende vergangenen Jahres vom Thron gefegt. Und in diesem Sommer wurde Teherans Führung vor den Augen der Welt zurechtgestutzt, nachdem sie sich auf einen Luftkrieg mit Israel einließ und US-Präsident Donald Trump mit bunkerbrechenden Bomben offenbar das Atomprogramm in Schutt und Asche legen ließ.
Putin, der nichts so sehr zu verabscheuen scheint wie schwindende Macht oder abnehmenden Einfluss, blieb untätig. Offenbar, weil ihm gewissermaßen die Hände gebunden waren. „Russland ist militärisch nicht in der Lage, einen Zwei-Fronten-Krieg zu führen“, verwies der österreichische Politikwissenschaftler Gerhard Mangott im „Presse“-Podcast auf die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf andere Regionen, in denen Russlands Präsident durchaus als wichtiger Player gilt.
Putin und der Nahe Osten: „Russland hat sehr, sehr viel verloren“
Moskau habe weder Luftabwehr noch Jets an den Iran schicken können. Denn die werden im Angriffskrieg auf den Nachbarn benötigt. Kiew war es erst vor Wochen mit einem aufsehenerregenden Luftschlag gelungen, Dutzende russische Flieger am Boden zu zerstören – teilweise hunderte Kilometer hinter der Grenze. Auf derlei schmerzhafte Verluste reagiert Putin mittlerweile gewohnheitsmäßig mit umfassenden Bombardements auf die ukrainische Infrastruktur und damit auch die Bevölkerung.
Auch im syrischen Bürgerkrieg kannte er an der Seite von Assad nur die Sprache der Gewalt. Doch als die Rebellen-Allianz schließlich Damaskus einnahm, konnte Putin nichts anderes tun, als seinem Verbündeten zur Flucht zu verhelfen. Denn auch in diesem Fall waren zu viele russische Kräfte im Ukraine-Krieg gebunden, um Einheiten entbehren zu können, ist Mangott sicher. Er betont rückblickend: „Russland hat sehr, sehr viel verloren. Syrien war sicherlich der Hauptakteur in der Region, mit dem man zusammengearbeitet hat.“
Russland wird aus Syrien gedrängt: „Würde gewaltigen Einflussverlust in der Region bedeuten“
Die Folgen von Assads Sturz bekam Putin aber seither noch deutlicher zu spüren. Denn für Russland seien vor allem die genutzten Militärstützpunkte in Syrien von Bedeutung, die Marinebasis Tartus und der Militärflugplatz Hmeimim.
„Nur zeigt sich jetzt im Laufe der letzten Monate, dass die Führung in Syrien alles tut, um Russland aus diesen Stützpunkten zu verdrängen“, verrät der Russland-Experte: „Es gab da auch schon militärische Zwischenfälle. Und das würde dann natürlich einen gewaltigen Einflussverlust für Russland in der Region, vor allem in Syrien, bedeuten.“
Putin und Israel: Russland-Experte sieht Beziehungen deutlich verschlechtert
Für Putin entwickelt sich also im Nahen Osten so einiges in die falsche Richtung. Auch wenn wohl nicht von der Hand zu weisen ist, dass ihm dortige Konflikte durchaus entgegenkommen, lenken sie doch von seinem Ukraine-Krieg ab und führen zumindest in Washington zu Überlegungen, die Unterstützung für Kiew zugunsten von Israel zu drosseln.

Aber auch mit Blick auf Jerusalem könnte sich Putin verkalkuliert haben. „Ich glaube, eine ganz wichtige Achse, die bröckeln könnte, die man beobachten muss, sind die russisch-israelischen Beziehungen, die lange Zeit sehr, sehr gut waren, aber sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert haben“, gibt Mangott zu bedenken: „Das hing auch damit zusammen (...), dass die russische Regierung eine sehr stark pro-palästinensische Haltung eingenommen hat, vor allem nach der israelischen Reaktion auf das Terror-Massaker vom 7. Oktober 2023.“
Mit der Konsequenz, dass Israel einige der Sanktionen des Westens gegen Russland übernommen hat. „Eine Vollübernahme westlicher Sanktionen würde Russland sicherlich treffen. Eine Verschlechterung der Beziehungen würde dann auch innenpolitische Konsequenzen haben, zumal wir in Israel eine große starke russischsprachige Community haben“, warnt der 58-Jährige.
Putin kann bei US-Schlag gegen den Iran nur zuschauen: „Trump hat ihn düpiert“
Womöglich hielt sich Putin auch deswegen weitgehend zurück, als die Situation zwischen Israel und dem Iran jüngst eskalierte. Wobei sich Moskaus Machthaber zumindest für die Rolle als Vermittler angeboten hatte. Doch was auch immer er damit bezweckte, diesmal sah er gegenüber dem mächtigsten Mann der Welt, der bislang zuweilen wie ein Bewunderer Putins auftrat, richtig alt aus.
„US-Präsident Donald Trump hat Putin düpiert“, urteilt Wolfgang Richter im Gespräch mit Focus Online. Der Oberst a. D. und Associate Fellow beim Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (GCSP) erklärt: „Noch vor wenigen Tagen hat er nach einem Telefonat mit dem Kreml-Chef dessen Vermittlungsbereitschaft gelobt und den Eindruck erweckt, er würde zunächst abwarten, um zu sehen, wie sich solche diplomatischen Versuche auswirkten.“
Stattdessen wurde Putin – wie auch die Europäer – vor vollendete Tatsachen gestellt. Richter ist sicher, dass Russland diese Niederlage nicht so einfach abschütteln wird: „Unabhängig von der weiteren militärischen Lageentwicklung und der Zukunft des iranischen Atomprogramms zeichnet sich ab, dass Moskau einen massiven Reputationsverlust in der Region erleiden dürfte.“

Putin kassiert Rückschläge in Nahost: „Russlands Partner werden einer nach dem anderen besiegt“
Ähnlich äußerte sich Nikita Smagin in einem Beitrag für die US-Denkfabrik „Carnegie Endowment for International Peace“, der bereits vor dem US-Luftangriff auf die iranischen Atomanlagen erschien. Der Experte für iranische Innen- und Außenpolitik sowie Russlands Rolle im Nahen Osten erwähnte darin, dass Putin es schon in Syrien erleben muss, wie sein Land trotz jahrelanger Investitionen rausgedrängt wird. Gleiches drohe nun im Fall des Iran.
Zwar könnten die steigenden Ölpreise infolge des Konflikts zwischen Israel und dem Iran Moskau dabei helfen, „den diesjährigen Haushalt ohne größere Defizite auszugleichen. Doch der Reputationsschaden wird deutlich länger anhalten. Russlands Partner werden einer nach dem anderen besiegt, wodurch Moskau an ihrer Seite an Einfluss verliert.“ (mg)