Erstes Zeugnis für Merz-Klingbeil-Team: So bewerten Bürger die neue Regierung

Die schwarz-rote Koalition ist mit großen Ambitionen angetreten. "Wir werden uns keine 100 Tage Zeit lassen, sondern unsere Zielvorgabe sind die ersten 70 Tage", versprach Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) im Mai. In dieser Zeit solle es "wesentliche Schritte vorwärts" gehen. Die selbstgesetzte Frist läuft in dieser Woche ab. 

Nehmen die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland tatsächlich solche Schritte nach vorne wahr? Ein aus 13 Fragen bestehender Regierungsmonitor des Meinungsforschungsinstituts Civey für FOCUS online zeigt, wie die Stimmung derzeit ist. Er soll in den kommen Monaten auch offenbaren, ob und wie sich diese verändert. Eine erste Auswertung legt nahe, dass noch viel Skepsis in der Bevölkerung bezüglich der Merz-Regierung herrscht. Es gibt aber einen kleinen Hoffnungsschimmer. 

Zufriedenheit mit Bundesregierung auf Ampel-Niveau

Die schwarz-roten Koalitionäre sind im Geiste angetreten, es besser als ihre Vorgänger zu machen. Die Ampelregierung war in Umfragen chronisch unbeliebt. Nach zwei Monaten wird die neue Bundesregierung in den Augen vieler Bürgerinnen und Bürger ihrem Anspruch aber noch nicht gerecht.

  • Nur 29 Prozent sind mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden. Dem gegenüber stehen rund zwei Drittel, die unzufrieden sind. Die Werte sind ähnlich schlecht wie die der Ampelkoalition zwei Monate nach deren Start.
  • Nur die Anhänger der Union sind mehrheitlich zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung. Anhänger aller anderen Parteien sind überwiegend unzufrieden – auch die des Koalitionspartners SPD. Die Regierung schafft es also noch nicht, die Menschen über das eigene Lager hinweg für die eigene Politik zu begeistern.
  • Die Union kommt in der Koalition besser weg als die SPD. Während 34 Prozent mit der Arbeit von CDU/CSU zufrieden sind, liegt der Wert für die Sozialdemokraten bei nur 18 Prozent. Selbst mehr als jeder vierte SPD-Anhänger ist unzufrieden mit der Arbeit seiner Partei.

Bürger spüren negative Veränderungen durch Migrationspolitik

Der Bundestagswahlkampf war nach mehreren schweren Straftaten von Zuwanderern geprägt von Diskussionen um die Migrationspolitik und innere Sicherheit. Der neue Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat eine "Migrationswende" ausgerufen, die sein Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) unter anderem mit Zurückweisungen an den Grenzen umsetzen will. Eine Wende in der Meinung der Bürgerinnen und Bürger hat das bislang aber nicht zur Folge.

  • Nur jeder Vierte ist zufrieden mit der Migrationspolitik der Bundesregierung. Erwartungsgemäß stehen nur geringe Anteile der Anhängerschaft von Grünen, Linken und AfD hinter der Politik – den einen dürfte sie zu hart sein, den anderen zu wenig hart. Überraschend ist aber, dass auch fast die Hälfte der Unionsanhänger unzufrieden ist.
  • Der Grund für die mehrheitlich negative Bewertung der Migrationspolitik dürfte auch darin liegen, dass durch sie 52 Prozent der Bürgerinnen und Bürger negative Veränderung in ihrem Alltag wahrgenommen haben. Welche das sind, wurde nicht abgefragt. Denkbar ist aber beispielsweise, dass die verschärften Grenzkontrollen bei Pendlern und Urlaubern zu Wartezeiten führen können. Es ist interessant, dass über die Anhängerschaft aller Parteien hinweg die negativen Veränderungen die positiven überwiegen. Selbst bei denen, die die Union wählen würden, haben 38 Prozent negative Veränderungen wahrgenommen.
  • Die Regierung verbindet das Thema Migration mit dem Thema innere Sicherheit. Auch in diesem Politikfeld ist das Urteil der Bürger deutlich negativ: Nur rund ein Viertel ist zufrieden mit Blick auf zum Beispiel Kriminalitätsbekämpfung und Polizei. Mehrheitlich zufrieden ist keine der Partei-Anhängerschaften.

Zufriedenheit bei äußerer Sicherheit ist Hoffnungsschimmer

Verstärkte russische Angriffe auf die Ukraine, weitere Kämpfe in Gaza, der Krieg zwischen Israel und dem Iran mitsamt Einmischung der USA: Die internationale Sicherheitslage war in den ersten 70 Tagen der neuen Regierung sehr instabil und bedrohlich.. 

Auch deshalb war Kanzler Merz viel im Ausland unterwegs. Sein Außenminister Johann Wadephul (CDU) versuchte sich im Iran-Konflikt an einer diplomatischen Lösung, musste aber auch Kritik wegen seiner Äußerungen zu Israel einstecken. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat außerdem einen Gesetzesentwurf zum Wehrdienst vorgelegt.

  • Die unermüdlichen Bemühungen scheinen sich ausgezahlt zu haben. Zwar sind etwas mehr Bürgerinnen und Bürger mit der Arbeit der Regierung im Bereich äußere Sicherheit unzufrieden als zufrieden. Doch die schwarz-rote Koalition hat hier die besten Werte aller abgefragten Politikfelder aufzuweisen.
  • Das hat auch damit zu tun, dass die Unterstützung für den bisherigen Kurs unter der Anhängerschaft vieler Parteien hoch ist. Jeweils mehr als zwei Drittel der Unions- und SPD-Unterstützer bewerten die Bemühungen rund um Bundeswehr und Nato positiv. Selbst bei der Anhängerschaft der oppositionellen Grünen ist eine Mehrheit positiv gestimmt. Deutlich negative Werte gibt es nur bei den Unterstützern von Linken, AfD und BSW.

Viel Geld für Infrastruktur, aber niedrige Zufriedenheit

Noch bevor die schwarz-rote Koalition stand, haben Union und SPD ein 500 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz beschlossen. Ein Großteil davon erhält Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) für Straßen, Schienen und Wasserwege.

  • Bislang schlagen die geplanten Milliarden-Investitionen noch nicht auf die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger durch. Nur 24 Prozent sind mit der Arbeit der Regierung bei der Verbesserung der Infrastruktur zufrieden. Die Anhänger aller Parteien sind skeptisch. Auch die Unterstützer der Union bewerten die Arbeit nur zu knapp der Hälfte positiv. Womöglich hängt das auch damit zusammen, dass die Investitionen in die Infrastruktur größtenteils schuldenfinanziert sein sollen. Und natürlich dauert es, bis hier konkrete Projekte angeschoben wurden.
  • Nur sechs Prozent nehmen wahr, dass sich in ihrer Region der Zustand von Straßen, Schienen und öffentlichen Verkehrsmitteln im Vergleich zu vor einem Jahr verbessert hat. Etwas mehr als die Hälfte beobachtet hingegen eine weitere Verschlechterung. Nach rund 70 Tagen liegt das kaum in der Verantwortlichkeit der neuen Regierung – es wird aber interessant zu beobachten sein, ob der Wert sich künftig signifikant verbessert.

Bürger machen Handlungsdruck in Wirtschaftspolitik deutlich

Die Bundesregierung mit Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) als Nachfolgerin von Robert Habeck (Grüne) ist mit der Aussicht auf ein drittes Jahr Rezession gestartet. Ein zentrales Projekt der Koalition ist daher der sogenannte Wachstumsbooster, der vor Beginn der parlamentarischen Sommerpause beschlossen wurde. Für Aufregung hat gesorgt, dass die Senkung der Stromsteuer für alle vorerst nicht kommen wird. Bei der Entlastung der Bürgerinnen und Bürger bleibt die Regierung damit hinter ihren Ankündigungen zurück.

  • Nur 27 Prozent bewerten die Wirtschaftspolitik der Regierung positiv, rund zwei Drittel hingegen negativ. Nur die Anhänger der Union sind mehrheitlich überzeugt.
  • Dass die Regierung unter Handlungsdruck steht, zeigen andere Zahlen: Nur 13 Prozent der Bürgerinnen und Bürger geben an, dass sich ihre persönliche finanzielle Lage in den vergangenen zwölf Monaten verbessert hat, 40 Prozent geben eine Verschlechterung an, bei 46 Prozent ist die Lage unverändert. Vor allem die Anhänger von Linkspartei, AfD und BSW nimmt die finanzielle Lage als schlechter wahr.

Sozialpolitik ist Sorgenkind vieler Bürger

In der Sozialpolitik will die Regierung beim Bürgergeld sparen und dafür unter anderem bei der Rente und Pflege Verbesserungen erreichen. Hier stehen unter anderem Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) und Gesundheitsminister Nina Warken (CDU) unter Zugzwang.

  • Die Sozialpolitik ist das Sorgenkind vieler Bürgerinnen und Bürger: Nur 17 Prozent sind zufrieden – der schlechteste Wert bei den abgefragten Politikfeldern. Die Anhängerschaften der Parteien sind sich in der Bewertung weitestgehend einig, keine bewertet die Sozialpolitik mehrheitlich positiv.
  • Ein klarer Auftrag sind die Zahlen im Gesundheitsbereich: Etwas mehr als die Hälfte gibt an, dass sich die Versorgung in ihrer Region im vergangenen Jahr verschlechtert hat. Nur drei Prozent nehmen eine Verbesserung wahr. 

Über die Umfrage

Civey hat für FOCUS online vom 7. Bis 9. Juli rund 5000 Bundesbürgerinnen und -bürger ab 18 Jahren befragt. Die Ergebnisse sind aufgrund von Quotierungen und Gewichtungen repräsentativ unter Berücksichtigung des statistischen Fehlers von 2,6 Prozentpunkten (Gesamtergebnis). Die 13 Fragen sind Teil eines fortlaufenden Regierungsmonitors.