Experte warnt Merz vor Tempo-Versprechen bei Straßen und vor Grünen-Trugschluss
Verkehrsminister Patrick Schnieder dürfte im Moment ein glücklicher Politiker sein. Der CDU-Mann ist noch nicht lange Teil der Bundesregierung, da ist er schon ihr Investitionskönig. Den größten Teil dessen, was für den Haushalt 2025 aus dem Infrastruktur-Sondervermögen zur Verfügung steht, hat sich sein Ressort gesichert.
Milliarden-Investitionen in Autobahnen, Fernstraßen und Brücken
Schnieder kann aus dem Topf mit 11,7 Milliarden Euro rechnen, hinzu kommen Investitionsmittel in Höhe von 23,7 Milliarden aus dem regulären Haushalt. Bis 2029 stehen dem Verkehrsministerium insgesamt sogar 166 Milliarden Euro für Investitionen zur Verfügung. 52 Milliarden davon sollen in die Straßen fließen, ein Schwerpunkt liegt auf der Sanierung maroder Brücken.
Schnieders Freude in der gerade laufenden Haushaltswoche des Bundestags dürfte aber etwas getrübt werden, wenn seine Investitionspläne auf die Realität treffen. Denn dass das Geld jetzt auch "schnell auf die Straße gebracht wird" und die Deutschen merkbar davon profitieren, wie die schwarz-rote Regierung gerne beteuert, ist keineswegs ausgemacht. Das hat mehrere Gründe.
Verschiebe-Tricks machen Verkehrs-Etat weniger beeindruckend
Beim genaueren Blick auf den Haushaltsentwurf der Bundesregierung relativieren sich die beeindruckend klingenden Zahlen. Das liegt daran, dass Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) mit Verschiebe-Tricks arbeitet.
Zum Beispiel für Fernstraßen des Bundes: Dafür fließen 2,5 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen. Gleichzeitig sinkt die Ausgaben im regulären Haushalt aber um 1,9 Milliarden. Das wird ganz offen mit einer "Verlagerung in das Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität" begründet. So beläuft sich für Bundesfernstraßen am Ende das Plus nur noch auf rund 600 Millionen im Jahr 2025.
Dank der neuen Schuldenregeln bleibt ein Spielraum, bereits geplante Investitionen durch das Sondervermögen zu finanzieren, was Platz im regulären Haushalt an anderer Stelle schafft. Zudem können Investitionen in Straßen in den Verteidigungs-Etat verschoben und dort schuldenfinanziert werden, wenn diese theoretisch auch im Verteidigungsfall relevant würden, um zum Beispiel Truppen zu verlegen.
Es lauern Gefahren bei der Prioritätensetzung
Während bis 2029 rund 52 Milliarden Euro in die Straßen fließen sollen, sind die geplanten Investitionen in die Schiene doppelt so hoch. Gernot Sieg, Professor für Verkehrswissenschaft an der Universität Münster, warnt davor, die Straßen bei der Prioritätensetzung zu vernachlässigen. Deutschland werden sonst "unnötige Wohlstandsverluste erleiden", so Sieg zu FOCUS online.
Der Experte weist außerdem auf einen Trugschluss hin, dem vor allem von Grünen und Umweltaktivisten zu erliegen scheinen: dass Investitionen in den Straßenverkehr schlechter für das Klima seien. "Aufgrund der Antriebswende im Straßenverkehr, also dem Umstieg auf Elektromobilität bei Güter- und Personenverkehr, kann die Straße in dem größten Teil des Zeitraums, in dem die heute geplante Infrastruktur genutzt wird, genauso klimafreundlich wie die Schiene sein", erklärt Sieg.
Der Planungsprozess ist voller Hürden
Wenn es an die konkrete Umsetzung von Sanierungs- und Bauvorhaben geht, könnten Schnieders Investitionspläne ausgebremst werden. "Effizient und schnell, das wird beides nicht gehen", warnt Verkehrsexperte Sieg. Zum einen, weil es einen Zielkonflikt zwischen effizient und schnell gebe, und zum anderen, weil die vorhandenen Strukturen nicht für effiziente und schnelle Umsetzung von Bauvorhaben ausgelegt seien.
Sieg weist darauf hin, dass zum Beispiel eine schnelle Nachfrageerhöhung bei Material und Bauunternehmen in steigenden Preisen münden könnte. Die Straßen-Milliarden würden dann "verpuffen". Manche Beobachter fürchten, dass die Bauindustrie die Investitionswilligkeit des Bundes sogar gezielt ausnutzen könnte.
Gegen Preissteigerungen hat Verkehrsminister Schnieder aber wenig Handhabe. Nutzt der Bund seine Möglichkeiten, resultiert das in Verzögerungen: Bei der Sanierung der Bahnstrecke Berlin-Hamburg wurde die Ausschreibung wegen überteuerter Angebote gestoppt und musste dann neu gestartet werden.

Bremsen könnte zudem die Bürokratie. Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, mahnte im April, dass es oft an einem "schlanken Gesamtprozess" fehle. Er forderte daher unter anderem ein flexibleres Vergaberecht.
Der Bauprozess kann nicht plötzlich beschleunigt werden
Müller beteuert zwar, dass die Unternehmen bereitstehen: "Die Bauindustrie hat kein Kapazitätsproblem, im Gegenteil." Allerdings ist eine solche Aussage von einem Branchenvertreter kaum überraschend. Die Realität der Straßenbauer sieht anders aus.
"Eine Verdopplung der Projekte von heute auf morgen geht sicher nicht. Man kann die Kapazitäten nur langsam hochfahren", erklärt Verkehrswissenschaftler Sieg. Immerhin erleichtere es die Bundesregierung den Unternehmen aber, in dem sie der Branche durch das auf zehn Jahr angelegte Sondervermögen eine garantiert hohe Nachfrage beschere.
Von einfachen Lösungen hält Sieg nichts: "Der Bauprozess kann beschleunigt werden, aber die Idee, auf einen Baustellenbetrieb an 24 Stunden an sieben Tage die Woche überzugehen, kostet nicht nur sehr viel mehr in der Umsetzung, sondern führt auch zu organisatorischen und qualitativen Problemen bei intensivierter Nachtarbeit". Stattdessen sollte die ganze Last der Straßensanierung nicht nur auf deutschen Unternehmen ruhen, der Bund solle europaweit nach Anbietern suchen.
Es gibt zunächst eine Verschlimmerung bei Baustellen
Autofahrer werden in den kommenden Jahren starke Nerven haben müssen. "Klar ist, dass die Anzahl der Baustellen auf unseren Autobahnen noch einmal deutlich zunehmen wird. Das wird für die Verkehrsteilnehmer, auch für unsere Logistiker noch einmal zur Herausforderung", erklärt Björn Simon, der verkehrspolitische Sprecher der Unionsfraktion auf Anfrage von FOCUS online. Ähnliche Töne sind auch vom Verkehrsminister zu vernehmen – die Koalition setzt in diesem Punkt auf ehrliche Kommunikation.
Simon betont jedoch auch, dass "die Quantität von Maßnahmen jedoch ganz klar zur steigenden Qualität unserer Verkehrsinfrastruktur" führen wird. Auch Experte Sieg sieht das so: "Ohne Baustellen wäre die Belastung vielleicht erstmal geringer. Aber wenn die nicht sanierte Brücke dann gesperrt wird, ist die Belastung höher als sie bei einer Sanierung mit eingeschränkter Nutzung gewesen wäre. Kurzfristig wird es schlechter, damit es langfristig besser wird."
Ein Autobahn-Unternehmen wird jetzt entscheidend
Angesichts der zahlreichen Herausforderungen bei Sanierung und Neubau von Straßen muss die Bundesregierung um Kanzler Friedrich Merz, Finanzminister Klingbeil und Verkehrsminister Schnieder aufpassen, mit überzogenen Tempo-Versprechen keine Erwartungen zu enttäuschen. Wohl auch deshalb gibt sich CDU-Verkehrspolitiker Simon demütig: "Diese Investitionssumme stellt uns vor enorme Herausforderungen."
Der verkehrspolitische Sprecher ist aber auch zuversichtlich. Mit der Autobahn GmbH des Bundes habe man "eine enorm starke Institution geschaffen, die in der Lage ist, diese Herausforderungen zu meistern". Die bundeseigene Gesellschaft ist für Planung, Bau, Betrieb, Verkehrsmanagement, Erhaltung, Finanzierung und vermögensmäßige Verwaltung der Autobahnen und Fernstraßen in Deutschland zuständig – 13.000 Kilometer liegen in ihrer Verantwortung.
Auch Verkehrswissenschaftler Sieg schreibt der Autobahn GmbH eine zentrale Rolle zu. Er hat deshalb schon in der Vergangenheit gefordert, das Unternehmen selbstständig aufzustellen, sodass es langfristig planen könne.