Erding: Geschlägert, gepöbelt, bespitzelt
Auch in Erding hatten die Nazis Orte der Macht. Darüber informierte Historiker Giulio Salvati bei einem Stadtspaziergang.
Aufmärsche, Ausbildungsstätten, Treffpunkte: Auch in der Stadt Erding haben sich die Nationalsozialisten in den 1920er bis 1940er Jahren breit gemacht. Während es viele Informationen zur NSDAP und ihrer Sturmabteilung SA im Allgemeinen gibt, ist wenig bekannt über ihren Einfluss vor Ort. Der promovierte Historiker Giulio Salvati will das ändern. Er führte bei einem Stadtrundgang eine Gruppe von mehr als 20 Interessierten zu den „Orten der Macht“.
Gekommen waren auch einige Teilnehmer aus dem Raum Dorfen und München, um die Forschungsergebnisse des Experten zu hören. „Wir haben am Gymnasium Erding zwar viel über den Nationalsozialismus gelernt, aber nichts über seine Auswirkungen hier in Erding“, stellte Salvati fest.
Er startete den Spaziergang am ehemaligen Landgestüt, wo er die Zuhörerinnen und Zuhörer schätzen ließ, wie viele Parteimitglieder es im Landkreis mit seinen damals rund 50 000 Einwohnern wohl gegeben habe. 10, 20 oder 50 Prozent wurden als Antworten genannt. Doch tatsächlich waren es nur 2500 Personen, das entsprach fünf Prozent der Bevölkerung.
SA-Einheiten am Landgestüt
„In Großstädten gab es einen Sicherheitsapparat zur Bespitzelung, doch in den Kleinstädten war der Handlungsspielraum der Menschen größer“, begründete das Salvati. Schließlich waren hier nicht einmal 40 Gendarmen und Polizisten zur Überwachung des gesamten Landkreises stationiert.
Am Landgestüt standen damals nach Abzug der Pferdezucht die Gebäude leer. Sie wurden zur Unterbringung von SA-Einheiten genutzt. Die Straße wurde umbenannt in „Helferplatz“ nach dem bayerischen SA-Führer Wilhelm Helfer. Dort wurden Kurse vom Hilfswerk der SA abgehalten, „bei denen Teilnehmer aus ganz Bayern das Marschieren, Exerzieren, Grüßen und Salutieren lernten“, erläuterte Salvati anhand großformatiger Fotos.
Später war hier auch die Wachstandarte der SA für den Ehrentempel am Münchner Königsplatz zur Erinnerung an die 1923 beim Hitlerputsch Getöteten untergebracht. Die Gruppen junger Männer verursachten in Erding viel Unruhe, es wurde viel getrunken, und es kam oft zu Schlägereien und Pöbelei in Erdinger Gasthäusern, wie in alten Polizeiakten zu lesen ist.
Die wenigen Polizisten konnten die Verfolgung der Straftaten kaum bewältigen und beantragten personelle Verstärkung, so Salvati. Gerne besuchten die SA-Truppen seinen Worten zufolge das Gasthaus zur Post, das Rathaus-Café, den Münchner Hof und die Bahnhofsgaststätte. Für größere Veranstaltungen sei oft der Lex-Saal an der Friedrich-Fischer-Straße genutzt worden.
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Ein wichtiger und zugleich vergessener Ort in der NS-Zeit war das alte Gesundheitsamt an der Prielmayerstraße. Dort seien Gutachten über behinderte Personen oder Menschen am Rande der Gesellschaft erstellt worden, die dann schlimmstenfalls zur Zwangssterilisation oder zur Euthanasie führten.
120 Sterilisationen, 80 Euthanasie-Opfer
„Im Landkreis gab es 120 Fälle von Sterilisation und 80 Personen, die der Euthanasie zum Opfer fielen, davon zehn in Erding“, konkretisierte Salvati. Beispielhaft stellte er den Schüler Hermann Butz mit Bild vor. Geboren 1921 in Erding, sei ihm schon bald „angeborener Schwachsinn“ attestiert worden. Butz wurde in die Anstalt Schönbrunn (Gemeinde Röhrmoos) verbracht und 1940 in Hartheim (Österreich) vergast.

Butz hatte zuvor die Grundschule am Grünen Markt besucht. Dort traf sich auch die Hitlerjugend, ehe das HJ-Gebäude bei der Schiaßn (heute Kindergarten) gebaut wurde. Im heutigen Bräuhausviertel stand früher der Gefängnisturm (auch Hexenturm genannt). Ob er für die vielen Inhaftierten zur NS-Zeit genutzt wurde, ist laut Salvati nicht bekannt, doch waren die Gefängnisse zu dieser Zeit überfüllt. Auf alten Listen ist zu sehen, dass auch bekannte Persönlichkeiten wie Politiker aller Couleur, besonders der Kommunistischen Partei, inhaftiert wurden. Auch nach der Freilassung blieben sie unter Beobachtung.
Gerne hielt die NSDAP auch in Erding große Aufmärsche ab, die nach Nürnberger Vorbild inszeniert wurden. Anhand von Bildern zeigte der Historiker, wie schon damals mit geschickter Fototechnik beeindruckende Propagandaaufnahmen gelangen.
NS-Bürgermeister Emil Breitenstein, der seinen Vorgänger Max Lehmer mit Gewalt aus dem Amt verdrängt hatte, residierte von 1933 bis 1945 im Erdinger Rathaus. Um die Aufmärsche besser verfolgen zu können, ließ er sich an der Schrannenhalle extra einen Balkon bauen, wie Salvati erzählte.
Am Widnmann-Palais erläuterte er die Rolle des Landrats, der als Vertreter der Gauleitung fungierte. Eingesetzt war von 1939 bis 1943 Konrad Häfner, ein ehemaliger Weggefährte von Heinrich Himmler, der immer wieder neue Berichte über Kirchenvertreter und Mitglieder anderer Parteien in der Region verfasste.