Schon der Titel klingt düster. "Zerstörungslust" - so heißt ein neues Buch der Soziologen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey, das mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet wurde. Darin setzen sich die beiden Autoren mit rechten Wählern auseinander - nicht nur in Deutschland, sondern auch den USA.
Nachtwey und Amlinger befragten hierzulande insgesamt 2600 Menschen. Mehr als die Hälfte davon wiesen keine destruktiven Tendenzen auf. Das erklärten die beiden in einem Interview mit dem "Spiegel".
"Eine Gruppe von 12,5 Prozent aber sehr wohl. Die haben wir uns dann genauer angeschaut und mit 41 der Menschen gründliche Gespräche geführt. Das ist nicht repräsentativ, ergab aber doch ein vielschichtiges Bild", so Nachtwey.
"Nullsummen"-Denken spielt eine zentrale Rolle
Destruktiv kann in diesem Zusammenhang heißen, drakonische Strafen als Mittel zur Lösung sozialer Probleme zu sehen oder Gewalt zu befürworten. Dabei spielt auch das sogenannte "Nullsummen"-Denken eine Rolle.
Das bedeutet: Verluste der eigenen Gruppe werden als Gewinne der anderen interpretiert und umgekehrt. Ressourcen gelten als begrenzt. Ein klassisches Beispiel für eine solche Denkweise ist die Vorstellung, dass Migranten den Einheimischen die Arbeitsplätze wegnehmen.
"Uns ging es um die Frage, warum sich heute faschistische Fantasien etablieren", sagte Amlinger dem "Spiegel" mit Blick auf das gemeinsame Buch. "Da gibt es viele Unterschiede zum historischen Faschismus, aber auch eine große Ähnlichkeit: das Gefühl, in einer Gesellschaft zu leben, die sich im Niedergang befindet."
Versprechen unserer Zeit werden als hohl wahrgenommen
Viele Menschen würden zentrale Versprechen unserer Zeit - also etwa sozialer Aufstieg und gesellschaftliche Teilhabe - als hohl wahrnehmen. "In den unteren Klassen, aber auch in der Mittelschicht ist das Gefühl entstanden, dass die besten Tage hinter uns liegen", so Amlinger.
Interessant ist, dass viele Befragte den Eindruck des Niedergangs in den Interviews offenbar mit Alltagsbeobachtungen begründeten, nicht zwangsweise mit globalen Krisen.
"Unsere Gesprächspartner hatten das Gefühl, dass sich die Ressourcen verknappen, dass der eigene Wohlstand langsam Risse im Putz bekommt", berichtete Amlinger. "Allein die große Lebensfrage des Eigenheims! In ihr verdichtet sich oft das Gefühl, dass alles schlechter wird."
Daher kommt die "Zerstörungslust"
Auch, was genau mit "Zerstörungslust" gemeint ist, thematisierten die beiden Autoren im Interview mit dem Nachrichtenmagazin. Amlinger erklärte, bei vielen Befragten habe sich ein Gefühl des blockierten Lebens breitgemacht. "Ein starker Impuls in den Interviews war der Hass auf Menschen, die als leistungsschwach wahrgenommen werden, die dem Staat und damit allen anderen auf der Tasche liegen."
Zerstörungslust habe oft im Zusammenhang mit persönlichen Krisen gestanden, so die Soziologin. Also etwa Scheidung, Kündigung oder der Zwangsversteigerung des geliebten Eigenheims. Die Betroffenen wollen also zerstören, was sie tatsächlich oder vermeintlich in eine Notlage gebracht hat.
"Es herrscht soziale Klaustrophobie: das Gefühl, nicht mehr atmen zu können, den Befreiungsschlag setzen zu müssen, jetzt, sofort." Im Schweizer "Tagesanzeiger" machte Amlinger auf eine interessante Beobachtung aufmerksam. "'Es hat sich alles verschlechtert' war der Satz, den wir in unseren Interviews am häufigsten hörten", so die Soziologin.
"In den USA hohe Zerstörungswut unter schwarzen Männern"
Viele Befragte hätten den Glauben verloren, ihren sozioökonomischen Status selbstständig verbessern zu können. Vielmehr fühlten sie sich ausgeliefert, gefangen in einer Gesellschaft mit schwindenden Lebens- und Zukunftschancen.
Übrigens dreht sich "Zerstörungslust" nicht nur um die Situation und Meinungen einiger Wähler in Deutschland. Nachtwey und Amlinger beschäftigen sich auch mit den Zuständen in den Vereinigten Staaten.
"In den USA wurde auch unter schwarzen Männern eine hohe Zerstörungswut beobachtet", so die Forscherin im Gespräch mit dem "Tagesanzeiger". "Sie zielte darauf ab, eine Gesellschaft niederzubrennen, in der sie sich systematisch benachteiligt fühlen." Weiße Männer hingegen hätten den Institutionen vorgeworfen, ihre Privilegien abzubauen - und wollen sie deshalb aus dem Weg räumen.