Rätsel um Ukraine-„Storm Shadows“ – doch der Krieg gewährt klare Indizien

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Verwirrende Signal im Ukraine-Krieg: Darf Kiew nun „Storm Shadow“ auch in Russland einsetzen? Militärexperte Gustav Gressel erklärt IPPEN.MEDIA die Lage.

London/Berlin – „Den Krieg nach Russland tragen“ – das forderte der CDU-Politiker und Ex-Bundeswehr-Kommandeur Roderich Kiesewetter schon vor Monaten als nötigen Schritt im Verteidigungskampf der Ukraine. Doch Schläge mit westlichen Waffen etwa gegen Flugplätze oder Militärlager in russischem Territorium gelten als „rote Linie“: Für Angriffe auf solche Ziele oder auch auf Raffinerien in Russland nutzt Kiew eigene Drohnen.

Dicke Fragezeichen hat nun aber Großbritanniens neue Regierung um den Sozialdemokraten Keir Starmer produziert: Man wolle den Einsatz von „Storm Shadow”-Marschflugkörpern auf russische Ziele zulassen, sagte Starmer schon am 10. Juli – jedenfalls zu Verteidigungszwecken und im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht. Es folgten Andeutungen, anonyme Dementis und doppeldeutige offizielle Auskünfte, zuletzt am Freitag (19. Juli). Was ist also ist Sachlage? Militärexperte Gustav Gressel hat IPPEN.MEDIA eine Einschätzung gegeben – und dabei vor allem taktische Fragen in der öffentlichen Kommunikation in den Fokus gerückt.

Realität im Ukraine-Krieg spricht klare Sprache: „Storm Shadow“ wohl weiter nur eingeschränkt

„Die Briten und Franzosen haben nicht öffentlich kommuniziert, dass sie Einschränkungen bei der Zielauswahl ihrer Waffen verhängt haben“, betonte Gressel in seinem Statement am Freitagabend (19. Juli). Aber: „Das heißt nicht, dass sie das nicht getan haben.“ Sprich: Allen teils für die Ukraine positiven, teil widerstreitenden Zeichen zum Trotz dürfte Kiew der Einsatz von „Storm Shadows” oder auch des französischen Pendants „SCALP“ in Russland weiterhin verboten sein. Gressel sieht dafür jedenfalls klare Anzeichen in der Kriegsrealität. 

Wolodymyr Selenskyj im Cockpit eines Kampfjets – „Storm Shadow“ werden aus der Luft abgeschossen. (Archivbild)
Wolodymyr Selenskyj im Cockpit eines Kampfjets – „Storm Shadow“ werden aus der Luft abgeschossen. (Archivbild) © Imago/UPI Photo/Ukrainian Presidential Office

„Wäre die Ukraine wirklich frei, mit SCALP oder Storm Shadow auf russisches Gebiet anzugreifen, hätten sie das schon getan, vor allem gegen Feldflugplätze“, erklärte der österreichische Politikwissenschaftler. Und: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hätte bei seinem Besuch in London am Freitag wohl auch kaum Starmer nochmal um eben diese Freigabe ersucht.

Der Termin hatte die Unklarheiten weiter befeuert. Trotz Starmers Statement vom 10. Juli bat Selenskyj die britische Regierung noch einmal ausdrücklich, Beschränkungen aufzuheben – gerade um blutige russische Angriffe auf Wohngebiete unterbinden zu können. Starmers Verteidigungsminister John Healey sagte der BBC zwar einerseits, Großbritannien untersage der Ukraine nicht, die Waffen gegen Ziele in Russland einzusetzen – erklärte aber andererseits auch, er werde sich nicht öffentlich zur Frage äußern, ob Kiew Storm Shadow gegen russische Ziele einsetzen dürfe. Es gebe „intensive Diskussionen” zu „komplexen Fragen”.

West-Waffen gegen Ziele in Russland: Geht das UK „intelligenter“ vor als Deutschland?

Liegt der Knackpunkt also irgendwo zwischen „nicht untersagt“ und „erlaubt“? Möglich scheint, dass ein nicht unerwünschter Nebeneffekt der verwirrenden Debatte ist, Wladimir Putins Militär im Unklaren zu lassen. Aus Gressels Sicht sind solche offenen Fragen jedenfalls gar nicht mal kontraproduktiv.

„Ich halte die britisch-französische Haltung, den Russen Einschränkungen nicht auf die Nase zu binden und öffentlich breitzutreten, auch für die intelligentere Methode als die deutsch-amerikanische Verkündigungspolitik“, erklärte er IPPEN.MEDIA. Denn, so ließ es Gressel durchblicken: Die offensichtliche Sorge Deutschland und der USA vor russischen Drohungen mit Atom-Gegenschlägen spiele Putin in die Karten. Aus den deutsch-US-amerikanischen Debatten – ein Beispiel ist das monatelange Tauziehen um die deutschen Taurus-Marschflugkörper – leite Russland „einen Glaubwürdigkeitsanspruch seiner nuklearen Abschreckung ab, der letztendlich nicht zu halten ist“ erklärte Gressel. 

Putins „rote Linien“ schon mehrfach überschritten: Meiste Einschränkungen „Unsinn“

Tatsächlich sind viele zwischenzeitliche „rote Linien“ des Kreml im Ukraine-Krieg sukzessive überschritten worden. Sei es der Einsatz von „schweren Waffen“ des Westens, von Panzern verschiedener Art oder nun wohl auch zunehmend von modernen westlichen Kampfjets wie dem F-16.

Gressels Urteil zu dieser höchstöffentlichen Salami-Taktik fällt recht klar aus: Die meisten dieser Einschränkungen seien ohnehin „Unsinn“ und müssten „früher oder später widerrufen“ werden. Der Westen hatte im Sommer etwa nach langem Hadern Schläge auf Ziele im russischen Hinterland der heftig aus der Luft attackierten Region Charkiw gestattet. Zum Unmut Russlands, aber ohne harte Gegenreaktion aus Moskau.

„Storm Shadow“ im Ukraine-Krieg: Experte Gressel sieht Nutzen – ohne weitere „Eskalation“

Gressel hält die Option von Schlägen gegen bestimmte Ziele auf russischem Territorium für sinnvoll; etwa mit Blick auf Militärflugplätze, Flugzeug-Reparaturwerkstätten, militärische Kommandozentralen oder Stütz– und Abschusspunkte weitreichender Waffen Russlands. All diese Ziele könne die Ukraine zwar attackieren, aber nur mit eigenen Waffen – die wesentlich weniger Schaden an Waffen, Ausrüstung und Ressourcen der russischen Angreifer anrichten. 

Massivere Schläge könnten Russland zwingen, seine Waffen weiter ins Hinterland zurückzuziehen – und damit Angriffe auf die Ukraine erschweren, meint der Experte. Das habe sich etwa auf der Krim gezeigt. Die Halbinsel gilt als besetztes ukrainisches Territorium, hier darf die Ukraine also westliche Waffen einsetzen und habe damit Erfolg erzielt, sagte Gressel bereits Ende Mai in einem YouTube-Video zum Thema. 

Dass eine Erlaubnis für Schläge auf russische Ziele ein wahlloses Bombardement der Ukraine in Russland zur Folge haben würde, glaubt Gressel nicht. Ein solches gebe es in den besetzten Gebieten schließlich auch nicht. Auch eine russische Eskalation sei nicht zu erwarten: „Für Russland ist das ein vollumfänglicher Krieg, in dem es bereits vollumfänglich seine Kräfte einsetzt“, sagte er damals: „Wir leben bereits in der Eskalation.“ Anderslautende Expertenstimmen gibt es allerdings auch. (fn)

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